Bundesregierung:Falsche Richtung, SPD!

Bundestag

Bundeswirtschaftsminister und SPD-Parteivorsitzender Sigmar Gabriel

(Foto: dpa)

Die Sozialdemokraten gehen auf Distanz zu Angela Merkels Flüchtlingspolitik. Dass diese Strategie der Partei hilft, ist mehr als zweifelhaft.

Kommentar von Nico Fried

Es bleibt natürlich der SPD überlassen, ihre schwindende Wählerschaft weiter zu verwirren. Die Sozialdemokraten werden sich schon etwas dabei denken, ihr Heil immer deutlicher in einer Distanzierung von der Flüchtlingspolitik zu suchen, die sie ein Jahr lang mitgetragen haben. Bei mancher Behauptung aus der sozialdemokratischen Spitze wundert man sich freilich schon, mal über den Inhalt, mal über die Rhetorik. Und bei Katarina Barley nun sogar über beides.

Die Generalsekretärin hat im eifrigen Bemühen, ihre Partei vor der gefürchteten Kontamination durch eine immer unpopulärer werdende Kanzlerin zu schützen, einen neuen Notausgang entdeckt: Es sei ein "entscheidender Fehler" Angela Merkels bei der Aufnahme der Flüchtlinge aus Ungarn am 4. September 2015 gewesen, so Barley nun in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass sie es verpasst habe, "unsere europäischen Partner in die Pflicht zu nehmen". Diese hätten deshalb mit der Schulter zucken und sagen können: "Ist euer Problem."

Nun ist es so, dass sich viele Europäer schon den ganzen Sommer über geweigert hatten, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán bezeichnete bereits am 3. September 2015 den Flüchtlingsstrom als deutsches Problem und ließ einen Tag später die Menschen schulterzuckend auf die Autobahn gen Österreich und Deutschland ziehen.

Europäische Solidarität zu erzwingen, war nicht Merkels Versäumnis, sondern ihr Fehler

Die Entscheidung, die Flüchtlinge aufzunehmen, ging der mangelnden Solidarität in Europa also nicht voraus, sie war ihr Ergebnis. Und es war nicht Merkels Versäumnis, sondern gerade Merkels Fehler, dass sie nach dem 4. September 2015 die Solidarität der Europäer erzwingen wollte. Den Beschluss zu einer Verteilung innerhalb der EU durchzusetzen, war formal zulässig, aber politisch verhängnisvoll. Er funktioniert auch nach einem Jahr noch nicht, belastet aber das Verhältnis zu vielen Regierungen bis heute.

Merkel habe nicht genug getan, findet Barley offenbar trotzdem. "In die Pflicht nehmen" - das ist auch eine interessante Formulierung. Was meint die Generalsekretärin damit? Beschimpfen? Bedrohen? Sanktionieren? Die Brücken abreißen, wie es ihr Parteichef einst mit den Griechen machen wollte? "In die Pflicht nehmen", das offenbart ein merkwürdiges Verständnis von Europa und seinen Entscheidungsprozessen. Hätte sich die Kanzlerin aufgeführt, wie es die SPD-Generalsekretärin von ihr rückwirkend fordert, wären die Sozialdemokraten zu Recht unter denen gewesen, die sie für ihr Verhalten kritisiert hätten.

Es wurden Fehler gemacht. Wie kann das anders sein bei einer solchen Aufgabe? Das eigentlich Bedauerliche an solchen Äußerungen gerade aus der SPD ist aber, dass der fortwährende Versuch, wem auch immer "entscheidende Fehler" in der Flüchtlingspolitik nachzuweisen, stets suggeriert, dass die Sache insgesamt schiefgegangen sei. Wen soll das motivieren? Die freiwilligen Helfer, die sich seit Monaten den Arsch aufreißen, und von denen viele zumindest mentale Sozialdemokraten sein dürften? Die Kommunalpolitiker der SPD? Die Wähler?

Die SPD könnte über die Flüchtlingspolitik auch so reden: "Man muss einmal überlegen, was das bedeutet: eine Million Menschen neu aufnehmen, integrieren, keine Steuererhöhungen, keine Defizite, keine schweren Verteilungskämpfe. Ich kenne kein anderes Land der Erde, das dazu so schnell in der Lage gewesen wäre."

Wer das gesagt hat? Sigmar Gabriel am Donnerstag im Bundestag, womöglich zur selben Zeit, als Katarina Barley ihr Interview gab. Der Parteichef oder die Generalsekretärin hätten sogar hinzufügen können: "Und dass Deutschland heute so gut dasteht, hat es ganz entscheidend auch der von Gerhard Schröder geführten rot-grünen Regierung und ihrem Mut zu Reformen zu verdanken."

Aber das ist natürlich von Sozialdemokraten ein bisschen viel verlangt.

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