Bundesregierung:Entsetzen über Aggression in Afrin

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Die Türkei wirft der in Afrin/Syrien bislang dominierenden Kurdenmiliz YPG eine Nähe zur Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in der Türkei vor. (Foto: Omar Haj Kadour/AFP)

Union, SPD und Opposition fordern klare Haltung Berlins zu türkischem Vormarsch in das bisher von Kurden kontrollierte Gebiet.

Von Mike Szymanski, Berlin

Die Bundesregierung gerät wegen ihrer Zurückhaltung im Umgang mit dem türkischen Einmarsch in der nordsyrischen Stadt Afrin zunehmend unter Druck. Unions-Fraktionschef Volker Kauder zeigte sich am Dienstag "entsetzt" angesichts der dramatischen Lage nach dem Vorrücken türkischer Truppen und ihrer Verbündeten in das bisher von Kurden kontrollierte Gebiet. Die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles sagte: "Das völkerrechtswidrige Verhalten der Türkei in Afrin kann keinesfalls geduldet werden. Wir fordern die Bundesregierung auf, hier entsprechend auch Maßnahmen einzuleiten." Wie diese aussehen könnten, führte sie nicht näher aus. Zuvor hatte einer ihrer Stellvertreter, Rolf Mützenich, von der Regierung verlangt, diese "völkerrechtswidrige Aggression" zu verurteilen. Er wünsche sich deshalb eine eindeutigere Haltung der Bundesregierung in der Nato und den Vereinten Nationen.

Auch die Opposition setzt die Koalition unter Zugzwang. FDP-Fraktionschef Christian Lindner sagte, er halte eine "klare Grenzziehung" für unbedingt erforderlich. Das türkische Vorgehen könne von deutscher Seite nicht "widerspruchlos" hingenommen werden. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan arbeite auf eine "autoritäre Präsidialdiktatur" in seinem Land hin. Für ihn stelle sich angesichts des Schweigens der Bundesregierung die Frage, ob es für die Freilassung deutscher Journalisten wie jüngst des Welt-Korrespondenten Deniz Yücel möglicherweise "ein Entgegenkommen" Berlins gegeben habe.

"Deutschland muss die türkische Offensive im Nato-Rat zum Thema machen."

Die Grünen forderten die Bundesregierung ebenfalls auf, Konsequenzen aus der dramatischen Lage nach dem Einmarsch türkischer Truppen in das Kurdengebiet Afrin zu ziehen. "Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie sich sehr eindeutig zu Afrin äußert", sagte die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt. Sie verlangte, keine Rüstungsgüter mehr in die Türkei zu exportieren, "und zwar sofort". Berlin müsse Erdoğan klarmachen, "dass er als Nato-Partner überhaupt kein Recht hat - im völkerrechtlichen Sinn, aber auch ansonsten - einen solchen Angriff in Afrin zu fahren", sagte Göring-Eckardt. Die Situation dort sei eine Katastrophe. "Wenn wir vor anderen Situationen in dieser Welt fast ohnmächtig stehen, ist das eine, wo wir was tun können." Sie hoffe, dass das bei der Generaldebatte im Bundestag am Mittwoch eine Rolle spiele.

Der Verteidigungspolitiker ihrer Partei, Tobias Lindner, sagte der Süddeutschen Zeitung: "Deutschland muss die türkische Offensive im Nato-Rat zum Thema machen." Er stellte zudem zur Debatte, deutsche Soldaten, die in der Türkei stationiert sind, abzuziehen. Es geht um die Besatzungen von Awacs-Aufklärungsfliegern, die im türkischen Konya stationiert sind und den Einsatz der Nato-Staaten gegen die Terrormiliz Islamischer Staat überwachen. Lindner sagte, er habe Zweifel, ob der Einsatz angesichts dieser Lage fortgesetzt werden könne.

Die türkische Armee hatte am Sonntag nach zweimonatigen Kämpfen Afrin eingenommen, nachdem sich die YPG-Miliz kampflos zurückgezogen hatte. Die Türkei betrachtet die Gruppe wegen ihrer engen Verbindungen zur PKK-Guerilla als Bedrohung und will sie von der türkischen Grenze vertreiben. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) berichtete am Dienstag von einer dramatischen Lage. Besonders stark betroffen seien Kinder, Frauen und Ältere. Tausende seien in den vergangenen Tagen "verzweifelt und in Panik" aus Afrin geflohen, twitterte der Regionaldirektor des IKRK, Robert Mardini. Sie hätten keine Unterkunft sowie kaum Nahrung, Wasser und Medizin. Die Vereinten Nationen meldeten, etwa 100 000 Menschen seien in der Region bereits seit Längerem auf der Flucht. Bis zu 50 000 weitere seien nun hinzugekommen. Auch von Plünderung ist die Rede. Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu sagte: "Wir reagieren empfindlich auf Plünderungen und unmenschliche Behandlung und werden sie nicht erlauben."

© SZ vom 21.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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