Bundesratsabstimmung zum Asylrecht:Grüne Identitätskrise

Die Bundesregierung will drei Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsländern erklären. Das geht nicht ohne die Regierungs-Grünen in den Ländern. Die grüne Parteispitze würde sich am liebsten verweigern. Aber aus den Ländern wird Kompromissbereitschaft signalisiert. Das rührt an den Grundfesten grüner Asylpolitik.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Die Seite ist eine klare Kampfansage. Unter www.recht-auf-asyl.de kann jeder ein deutliches Bekenntnis zum bestehenden Asylrecht ablegen. Und zwar "ohne Kompromisse". Verantwortlich für den Aufruf ist die ehemalige Spitzenkandidatin der europäischen Grünen und Brandenburgerin, Ska Keller. Und so liest sich die Liste der Unterzeichner wie das Who-is-Who der grünen Spitzenpolitiker. Claudia Roth ist dabei, Volker Beck, Hans-Christian Ströbele, Agnieszka Brugger, Sven Giegold. Und mit Christian Meyer der amtierende niedersächsische Landwirtschaftsminister. Was in der dortigen rot-grünen Landesregierung für erhebliche Unruhe gesorgt haben soll.

Der Grund für die Aktion: An diesem Freitag soll im Bundesrat darüber entschieden werden, ob die drei Balkanstaaten Mazedonien, Serbien und Bosnien-Herzegowina künftig als sichere Drittstaaten gelten. Für Asylbewerber aus diesen Ländern würde das bedeuten, sie verlieren das Recht auf Prüfung ihres Einzelfalls. Nur in begründeten Ausnahmen können dann Asylbewerber in das normale Asylverfahren aufgenommen werden.

Für manche Grüne wäre es geradezu ein Sündenfall, wenn das Gesetz den Bundesrat passiert. Die Grünen kämpfen seit jeher gegen die Drittstaatenregelung. Das Grundrecht auf Asyl sei ein individuelles und könne nicht pauschal behandelt werden.

Kein x-beliebiges Thema

Ohne die Stimmen der Grünen aus den von ihnen mitregierten Ländern hat das Gesetz im Bundesrat keine Chance. Andererseits reicht es, wenn nur ein grün-regiertes Land zustimmt. Manche in der Partei befürchten, dass Baden-Württemberg dieses Land sein könnte. Anders als von den Bundesgrünen kommen von dort deutliche Signale der Verhandlungsbereitschaft. Dieser, wie vielen anderen Landesregierungen, sitzen die Bürgermeister im Nacken, die nicht wissen, wohin mit den vielen Flüchtlingen. Aus Sicht der Partei aber ist das Thema Asyl identitätsstiftend für die Grünen. Also kein x-beliebiges politisches Thema.

Der baden-württembergische SPD-Bundesratsminister Peter Friedrich versuchte am Mittag zu beruhigen. Es werde "keine Alleingänge" geben, versicherte er. Sein Ziel ist, alle Länder, in denen die Grünen regieren, in ein Boot zu holen. Und deshalb wird jetzt gefeilscht.

Drei Forderungen stehen im Raum: Viel Geld vom Bund für die Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern. Bundesweite Aufhebung der Residenzpflicht; Asylbewerber sollen sich in Deutschland frei bewegen können. Wegfall der Vorrangregelung, nach der Asylbewerber mit Arbeitserlaubnis einen Job nur dann bekommen sollen, wenn kein Deutscher für den Job gefunden wird. Würde der Bund sich hier deutlich bewegen, hätten manche Landesgrüne Schwierigkeiten, ein Nein noch zu rechtfertigen.

Es wird gefeilscht

Ein Vorschlag aus der Bundestagsfraktion der Grünen war außerdem, zumindest die Roma aus der Drittstaatenregelung herauszunehmen. Um die geht es nämlich vor allem. In ihren Heimatländern werden sie stark diskriminiert. Bundesratsminister Friedrich sieht dafür allerdings keine Chance. Schon rechtlich sei es kaum möglich, einzelne Bevölkerungsgruppen gesondert zu behandeln. Zum anderen würden die Roma in diesen Ländern faktisch "nicht politisch verfolgt", sagt Friedrich. Die unbestrittene soziale Diskriminierung müsse auf einem anderen Weg überwunden werden. Da sei die Europäische Union gefragt, Druck zu machen. Schließlich sei den drei Staaten von der EU der Weg in die Gemeinschaft eröffnet worden.

Bewegung gibt es in den Verhandlungen über eine neue Drittstaatenregelung kaum. Mehr Geld will der Bund nicht rausrücken. Die Residenzpflicht will er nicht antasten. Allenfalls die Vorrangregelung könnte reformiert werden. Wie da eine Lösung aussehen könnte, ist einen Tag vor der Bundesratssitzung völlig offen.

An diesem Nachmittag kommen die Verhandler zum zweiten Mal in dieser Woche im Kanzleramt zusammen. Am Abend treffen sich die Ministerpräsidenten in ihren traditionellen Kaminrunden, um ihre Strategien abzusprechen. Zur Not gibt es am Freitagmorgen noch die Gelegenheit, das gemeinsame Frühstück für den Feinschliff zu nutzen. Es hat auch schon Tage gegeben, an denen letzte Kompromisse noch während der Bundesratssitzung vereinbart worden sind.

Ohrfeige für Simone Peter?

Wahrscheinlich aber ist, dass der Tagesordnungspunkt 5, in dem es um die Asylfragen geht, entweder einfach abgesetzt wird, oder dass er keine Mehrheit im Bundesrat findet. Dann würde die Bundesregierung ziemlich sicher den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat anrufen, um eine Lösung zu finden.

In beiden Fällen ginge es darum, Zeit zu gewinnen. Das ist vor allem für die Grünen wichtig. Die Bundesgrünen sind derart auf den Bäumen, dass sie gar nicht so schnell wieder herunterkommen können, sollte es noch in der kommenden Nacht einen Kompromiss zwischen dem Bund und den rot-grünen Ländern geben. Das würde als deutliche Ohrfeige etwa für Simone Peter verstanden, die sich in der Frage eindeutig positioniert hat. Als "zynisch" bezeichnete Peter das ganze Vorhaben. Sie würde am liebsten die Ausgrenzung der Roma in den Balkanstaaten als eigenen Asylgrund anerkannt wissen.

Die Interessen der grün-regierten Länder und die der oppositionellen Bundesgrünen stehen mal wieder gegeneinander, so scheint es. Der Druck auf die Grünen im Bund ist dabei erheblich. Medienwirksam haben am Mittwoch Asyl-Aktivisten die Parteizentrale in Berlin besetzt. Grünen-Chef Cem Özedemir fand das nicht so lustig. "Wir sind da nicht die richtige Adresse", sagte er der Welt. Der morgige Tag wird zeigen, ob er damit recht behält.

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