Bundespräsidentenwahl vs. Bundesliga:Stille Sehnsucht

Viele der Wahlmänner werden am Samstag nervös auf ihrem Stuhl herum rutschen: Der Termin der Bundespräsidentenwahl kollidiert mit dem dramatischen Finale der Fußball-Bundesliga.

Nico Fried

Ottfried Fischer hat's gut. Für den Schauspieler ist die wichtigste fußballerische Entscheidung schon gefallen: Mit einem 1:1 hat sich der TSV 1860 München am vorigen Wochenende gegen Aachen den Klassenerhalt in der Zweiten Liga so gut wie gesichert. Der Löwen-Fan Fischer kann sich am Samstag recht entspannt in den Reichstag begeben, um als von der SPD nominierter Wahlmann vermutlich Gesine Schwan seine Stimme zu geben. Andere werden dagegen auf ihrem Stuhl rumrutschen - und zwar umso hippeliger, je länger die Bundespräsidentenwahl in die Verlängerung geht.

Bundespräsidentenwahl vs. Bundesliga: Peter Struck ist Sozialdemokrat und im Beirat von Borussia Dortmund. Für die SPD soll er am Samstag Gesine Schwan zur Bundespräsidentin wählen, während der BVB zeitgleich um den Uefa-Cup spielt.

Peter Struck ist Sozialdemokrat und im Beirat von Borussia Dortmund. Für die SPD soll er am Samstag Gesine Schwan zur Bundespräsidentin wählen, während der BVB zeitgleich um den Uefa-Cup spielt.

(Foto: Foto: AP)

Der erste Wahlgang in Berlin beginnt um 12.15 Uhr. Da alle 1224 Delegierten namentlich aufgerufen werden, zieht sich die erste Runde wohl gut zwei Stunden hin. Wenn dann keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit hat, wird ein zweiter Durchgang notwendig. Der dürfte wegen allfälliger Fraktionssitzungen und sonstiger Besprechungen frühestens um 15 Uhr beginnen.

Eine halbe Stunde später aber wird in neun Stadien der letzte Spieltag in der Fußball-Bundesliga angepfiffen, einer der spannendsten seit vielen Jahren: In Wolfsburg reicht Felix Magaths VfL wohl ein Unentschieden zur ersten Meisterschaft; in München kicken die Verfolger FC Bayern und VfB Stuttgart um einen sicheren Platz in der Champions League - oder sogar noch um den Titel, falls Wolfsburg verliert.

Heimlich Köhler wählen

In Mönchengladbach, Cottbus, Bielefeld und Karlsruhe kämpfen die Gastgeber jeweils gegen den Abstieg, mancher ihrer Gegner hingegen noch um die Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb. Während also um 17.15 Uhr auf diversen grünen Rasen Emotionen Bahn brechen, könnten unter der Reichstagskuppel die Delegierten noch monoton Anfangsbuchstabe für Anfangsbuchstabe aufrufen.

Ausgerechnet rund um Ottfried Fischer, also in den Reihen der Schwan-SPD, sitzen auffallend viele, deren Platz an diesem Tag eigentlich im Stadion sein müsste: Martina Müller, Frauen-Nationalspielerin in Diensten des VfL Wolfsburg; Erwin Staudt, Präsident des VfB Stuttgart, aber auch Peter Struck, Fraktionschef der Sozialdemokraten und Mitglied im Beirat der Dortmunder Borussia, die nach großer Aufholjagd noch eine Chance auf die Teilnahme am Uefa-Cup hat.

Sie alle könnten - natürlich nur rein theoretisch! - im ersten Wahlgang heimlich Horst Köhler wählen, um dem Amtsinhaber zu einer schnellen Titelverteidigung zu verhelfen und selber wenigstens rechtzeitig vor den Fernseher zu kommen. Struck indes hat bereits frühzeitig nicht nur für sich, sondern für seine gesamte Fraktion die Unterstützung Schwans verbürgt, was besonders pikant ist, weil gerade er eigentlich nie in der Fankurve der Kandidatin zu finden war.

Über die Straße abgehauen

Wer wissen will, wie wichtig Politiker Fußball im Zweifel nehmen, kann mal Lothar Bisky fragen. Als im Oktober 2000 Gabriele Zimmer in Cottbus zur neuen Vorsitzenden der damaligen PDS gewählt worden war, erhielt sie ihre Glückwünsche vom seinerzeit noch eher unbedeutenden Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch. Ihr Vorgänger Bisky war mit Partei-Promi Gregor Gysi über die Straße ins Stadion der Freundschaft abgehauen, wo Energie Cottbus gegen Bayern München spielte. Die Blumen von Bisky erhielt Gabi Zimmer in einer späteren Zeremonie, die nach dem Schlusspfiff (1:0 für Cottbus) eigens für die Fernsehkameras nachgestellt wurde.

Wenn Bisky und Gysi also im Reichstag nicht zu finden sind, sitzt das Sozialisten-Duo womöglich fraktionsübergreifend in einer Kneipe mit Abo des Senders Premiere. Im Reichstagsgebäude selbst wird es keine Fußball-Übertragung geben, wie Guido Heinen versichert, der Sprecher von Bundestagspräsident Norbert Lammert. Heinen lässt erkennen, dass man die Würde des staatspolitischen Aktes nicht wirklich als mit dem sportlichen Ereignis vereinbar ansieht. Sollte es sogar einen dritten Wahlgang geben, bleibt den Fußball-Fans im Reichstag nur noch das Sport-Studio. Das beginnt um 22 Uhr im ZDF.

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