Bundespräsident: Wulffs Antrittsrede:Präsident Schmeichelstein

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Ohne Spitzen, ohne Kanten: Christian Wulff hält eine wohltemperierte Antrittsrede, die sympathisch, aber auch harmlos daherkommt. Nur bei einem Thema flammt beim jungen Präsidenten etwas Leidenschaft auf.

Heribert Prantl

Es gibt Menschen, die tragen immer einen Schmeichelstein mit sich herum. Ein Schmeichelstein kann auch aus Holz sein - Hauptsache er ist wunderbar glatt, glänzend und liegt anschmiegsam in der Hand. Die Freunde des Schmeichelsteins schwören, dass so ein Stein Körper, Geist und Seele beruhigt. Das vermag künftig auch der neue Bundespräsident. Christian Wulff ist der Schmeichelstein in Schloss Bellevue.

In seiner Antrittsrede jedenfalls war der neue Präsident unglaublich wohltemperiert und unprätentiös (man könnte auch langweilig sagen, aber man darf am Anfang nicht zu streng sein). In diesem Tonfall jedenfalls hätte er hochumstrittene, gar provokative Dinge vortragen können, ohne dass jemand die Provokation bemerkt hätte. Der schäfchenweiche Ton des Bundespräsidenten Wulff kann wohl selbst brisante Sätze so wattieren, dass keiner ihre Spitzen und Kanten spürt. Solche Spitzen und Kanten enthielt aber die kurze Antrittsrede des neuen Staatsoberhaupts nicht. Das Ungewöhnlichste an ihr war ihre angenehme Kürze.

Er habe, so hatte Wulff in einem ZDF-Interview am Vorabend gesagt, nicht viel Zeit gehabt, seine Rede vorzubereiten. In der Rhetorik nennt man so eine Bemerkung eine "captatio benevolentiae" - der Redner wendet sich an das Publikum und bittet darum, doch das Folgende freundlich aufzunehmen. Boris Kositzke vom Tübinger Lehrstuhl für Allgemeine Rhetorik erklärt den Sinn und Effekt einer solchen "Erheischung des Wohlwollens" wie folgt: Die Wahrscheinlichkeit des Beifalls steigt "mit der geringen Erwartung des Publikums". Insofern, so sagt der Experte mit kritischer Delikatesse, "sollte Wulff es nicht schwer haben, sein Amt eben doch leidlich auszufüllen". Geklatscht wurde jedenfalls ziemlich oft in der kurzen ersten Rede, und zwar an ähnlichen Stellen, an denen einst auch Vorgänger Köhler Beifall bekommen hat. An diesen Stellen ist davon die Rede, dass Wulff "Alt und Jung" verbinden will und dass Bildung für alle ungeheuer wichtig ist.

Das Staatsoberhaupt trat sein Amt mit den Worten an: "Es wird mir wahrscheinlich niemand verübeln, wenn ich sage, das ist ein bedeutender Moment". Das war sympathisch harmlos. Aber dann fand Wulff, nach einem Dank an die Mitbewerber Luc Jochimsen und Joachim Gauck, nach einer kurzen Würdigung für den Vorgänger und nach einem schönen Rede-Einstieg über Christos Reichstagsverhüllung vor 15 Jahren zu dem Kernthema, das man allgemein erwartet hatte: Wulff hat vor zwei Monaten als Ministerpräsident von Niedersachsen Aygül Özkan zur ersten Landesministerin muslimischen Glaubens ernannt. Der junge Präsident sprach also vom neuen, vom bunten Deutschland, er sprach von Integration, davon, dass die größte Stärke "unseres Landes die Menschen sind, die hier leben", und dass ihre Vielfalt und ihre Talente "Deutschland lebens- und liebenswert machen". Das waren eher allgemeine Sätze, die man, wie gesagt, einst so ähnlich auch bei Horst Köhler gehört hatte, und mit denen üblicherweise alle im Bundestag vertretenen Parteien zufrieden sind.

Aber dann spürte man doch noch fast ein wenig Leidenschaft, als Wulff von seiner glücklichen Begegnung mit Aygül Özkans Vater erzählte, dessen "Augen strahlten vor Glück". Das war nun zwar keine besonders originelle Erinnerung, aber eine ihn bewegende. Wulff wünschte sich also ein Land, "in dem möglichst alle Eltern dieses Glück empfinden können". Nun können zwar nicht alle Eltern in Deutschland Eltern von Ministern und Ministerinnen werden, aber Wulff sagte schon recht deutlich, was das Ziel kluger Politik sein müsse: Dass jemand mit den gleichen Noten ganz selbstverständlich die gleichen Aussichten bei einer Bewerbung hat, "egal ob er Yilmaz heißt oder Krause". Es kann gut sein, dass er in dieser Passage seiner Rede die Grundlage dafür legte, auch heiklere Dinge zur Integrations- und Ausländerpolitik zu sagen.

Hier waren die Motive und Beispiele jedenfalls am besten herausgearbeitet, hier war tatsächlich von der Zuversicht und der Leidenschaft zu spüren, die der neue Präsident dem Land ein wenig dröge gewünscht hatte. Ansonsten wurde die Monotonie des Vortrags nur an wenigen Stellen lebendiger: wenn Wulff extemporierte und kolloquialer wurde, wenn er vom Blatt aufsah und von seinen Erfahrungen im Aufsichtsrat von VW erzählte. Da war er für ein paar Momente nicht mehr der Präsident der feierlichen Mattigkeit, sondern ein lebendiger junger Präsident, der etwas zu erzählen hat - so viel jedenfalls, dass Sigmar Gabriel, der SPD-Vorsitzende, der einst als Ministerpräsident in Niedersachsen gegen Wulff unterlag, seine mahlende Mimik nicht mehr ganz unter Kontrolle hatte.

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Horst Köhler hatte vor sechs Jahren in seiner ersten Antrittsrede vom "neuen Aufbruch" geredet und dem Sozialstaat "heutiger Prägung" vorgeworfen, er habe sich übernommen. Weil Köhler Deutschland richtigerweise wieder zu einem "Land der Ideen" machen wollte, hatte er sich in seiner Antrittsrede - es war ja Fußball-Europameisterschaft damals - den Ball als Beispiel genommen: der bei der EM genutzte, nahtlose Ball sei eine "Spitzenleistung deutscher Materialforschung". Nachfolger Wulff widerstand diesmal mannhaft der naheliegenden Versuchung, sich in Fußballweltmeisterschafts-Rhetorik zu ergehen - und nur an der Stelle, die davon handelte, wie aus Integration "Neues, Gutes" entsteht, addierte er das türkische Dribbling zum preußischen Pflichtgefühl, zur schwäbischen Gründlichkeit und zur rheinländischen Lebenskunst. Man muss in diesen Tagen kein Fußballkenner sein, um zu wissen, dass er den grandiosen Mesut Özil meinte, den türkischstämmigen Spielmacher der deutschen Nationalmannschaft.

Ansonsten ging der neue Präsident im Sauseschritt durch alle notwendigen Themen: Klimawandel und Finanzkrise, Migration, Terrorismus, Armut und Lissabon-Vertrag. Da fehlte kaum etwas, nur der Tiefgang, und den kann man von einer kurzen Antrittsrede nicht erwarten. Ein Bundespräsident muss kein Demosthenes sein, schon gar nicht am Anfang. Der berühmteste Redner des griechischen Altertums, der eigentlich einen Sprachfehler hatte, trainierte sich den dadurch weg, dass er mit Kieselsteinen im Mund die Meeresbrandung übertönte. Wer über die mangelnde Rhetorik deutscher Politiker lästert, tut das gern mit dem Hinweis, dass es da mit ein paar Kieseln nicht getan ist. Es wäre ein wenig ungerecht, den neuen Bundespräsidenten nach seiner ersten Rede mit solchen Sottisen zu traktieren. Gegen die kleine, sympathische Stotterei beim Amtseid hätten solche Rezepte eh nicht geholfen. Zu dem einen passt eben ein Kiesel-, zum anderen ein Schmeichelstein.

Der neue Präsident wird sich seinen Weg bahnen, so wie er ihn sich, ohne anzustoßen, in seiner Antrittsrede durch die Vielzahl der Themen gebahnt hat. Vielleicht wird er sich, das war der zweite kleine Schwerpunkt seiner Rede, vertieft damit beschäftigen, wie die Demokratie wieder lebendiger wird. Zu diesem Zweck wird es ihm nicht schaden, wenn er auch in seinen Reden ein wenig lebendiger wird. Er hat, in wechselnden parteilichen und öffentlichen Ämtern gelernt, dass Ämter eine Rolle sind, in die man hineinwachsen kann. Rolle heißt, so meint der Rhetorik-Wissenschaftler Kositzke, "die gegebenen Möglichkeiten zu sehen und zu nutzen."

Das tat am Tag der Vereidigung des Bundespräsidenten weniger der neue Amtsinhaber denn der Bundestagspräsident Norbert Lammert (der selbst gerne Staatsoberhaupt gewesen wäre). Er zog an diesem Tag alle Register seiner rhetorischen Kunst, launig, ja fast aufgekratzt. Hatte er in seiner Eröffnungsrede zur Wahl des Bundespräsidenten am Mittwoch noch heftige Kritik an der Flucht des Präsidenten Köhler aus seinem Amt geübt, so war er diesmal des Lobes über Köhler voll. Von der Würdigung der Verdienste Köhlers um die "Partnerschaft mit Afrika" muss man in der Tat nicht den kleinsten Abstrich machen.

Lammert demonstrierte an zwei Präsidententagen jedenfalls die Fülle seines Könnens und seiner Ambitionen. Er fühlte sich als der Dirigent des Symphonieorchester der deutschen Politik. Da kann und wird sich der junge Bundespräsident wohl noch etwas abschauen.

© SZ vom 03.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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