Bundespräsident:Wulff oder Schäuble oder von der Leyen oder wer?

Hat Deutschland bald eine Frau an der Staatsspitze? Erst wird Arbeitsministerin Ursula von der Leyen hochgeschrieben, nun starten die Lager der Konkurrenten Wolfgang Schäuble und Christian Wulff die Gegenoffensive. Die Suche nach einem Nachfolger für Horst Köhler geht weiter - und sie gestaltet sich offenbar schwieriger als gedacht.

Thorsten Denkler, Berlin

Was gäbe man um ein Gerät, dass die Tausende SMS öffentlich lesbar machen könnte, die im Berliner Regierungsviertel derzeit durch die Luft gefunkt werden. Da simst womöglich Kanzlerin Angela Merkel an CSU-Chef Horst Seehofer und den FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle. Westerwelle simst einige Landesminister an, Seehofer simst mit der Landesgruppe im Bundestag und dem CSU-Fraktionschef im Landtag. Ab und zu bekommen vielleicht auch Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, Finanzminister Wolfgang Schäuble und Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff eine elektronische Kurzmitteilung auf ihr Mobiltelefon.

Der Tag nach Köhlers Rücktritt

Eine Fernsehkamera unter einem Regenschirm vor dem Schloss Bellevue in Berlin: Viele versuchen, ihren Lieblinkskandidaten nach vorne zu treiben, auch und vor allem mit gezielten Informationen und manchmal auch Desinformationen an die Presse.

(Foto: dpa)

Schwierig, allein aus dem Datenverkehr abzuleiten, wen die Kanzlerin angeblich noch in dieser Woche als den Kandidaten oder die Kandidatin der CDU für das Amt des Bundespräsidenten präsentieren wird. Gestern Morgen schien noch alles klar zu sein. Die Financial Times Deutschland war besonders mutig und titelte bereits: "Von der Leyen ist Merkels Mädchen". Die Bild-Zeitung machte ebenfalls mit von der Leyen auf, hüllte aber die Schlagzeile noch in die Frage: "Wird sie die Mutter der Nation?"

Taktische Spielchen

Gegen Mittag dann erste Ernüchterung in der Von-der-Leyen-Fraktion. Es sickern Gerüchte durch, dass sie es nun doch auf keinen Fall werde. Stattdessen werde zunehmend der Name eines Mannes gehandelt: Christian Wulff, Niedersachsens Ministerpräsident. Aber auch Finanzminister Wolfgang Schäuble soll nach wie vor im Rennen sein. Wenn er will, wird er es, heißt es aus seiner Umgebung.

Für Wulff spräche, dass er mit seinem jungenhaften Erscheinungsbild durchaus Aufbruchstimmung vermitteln kann und klug genug ist, die Grenzen des Amtes zu erkennen. Zudem hätte die Kanzlerin mit einem Präsidenten Wulff eine große Sorge weniger: Der Niedersachse gilt nach Roland Kochs Rückzug als derjenige Christdemokrat, der Merkel am gefährlichsten werden könnte. Vor allem sähe sich Merkel bei dieser Variante nicht genötigt, ihr Kabinett umzubilden.

Für von der Leyen müsste jemand ins Arbeitsministerium aufrücken. Um noch Chancen auf eine große Koalition in Nordrhein-Westfalen zu wahren, würde die CDU in NRW wohl darauf bestehen, dass sie Jürgen Rüttgers nach Berlin entsorgen kann. Das riecht doch arg nach taktischen Spielchen.

Lieblingskandidaten und Gegenoffensiven

Sollte Schäuble wiederum Anspruch auf das Amt erheben und dies womöglich noch kundtun, Merkel käme kaum um ihn herum, ohne ihn ein weiteres Mal zu düpieren. Schäuble wäre 2004 gerne Bundespräsident geworden. Die FDP hat ihn verhindert, ohne dass Merkel sich spürbar für ihn eingesetzt hätte. Dennoch hat er sich nicht schmollend zurückgezogen. Er diente Merkel erst als Innenminister und jetzt als Finanzminister - trotz gesundheitlicher Probleme. Andererseits verlöre Merkel mitten in der größten Finanz- und Haushaltskrise ihren wichtigsten Mann.

Heißen muss das alles nichts. Im Moment versucht jeder, seinen Lieblinkskandidaten nach vorne zu treiben, auch und vor allem mit gezielten Informationen und manchmal auch Desinformationen an die Presse. Vor allem der plötzliche Hype um von der Leyen hat manche aus dem Schäuble- und Wulff-Lager derart überrascht, dass umgehend mit der Gegenoffensive begonnen wurde. Dabei galt es aber auch von der Leyen zu schützen. Einmal in den Himmel geschrieben, "wäre es Wahnsinn, sie nicht zur Bundespräsidenten zu machen", sagt einer, der sie kennt, ihr aber politisch nicht nahe steht. Mit anderen Worten: Wäre der Hype weitergegangen, wäre von der Leyen massiv beschädigt worden, wenn Merkel einem anderen den Vorzug geben würde.

Nach allen Seiten absichern

Möglicherweise fällt an diesem Fronleichnams-Donnerstag die Entscheidung. Merkel kommt mit den CDU- Ministerpräsidenten zusammen, die wie immer an einem Donnerstag vor einer Bundesratssitzung in Berlin sind. Mit ihnen sollen die letzten Details besprochen werden. Es heißt, morgen werde womöglich die derzeit wichtigste Personalentscheidung des Landes verkündet werden.

Angeblich hat Merkel bei der Entscheidung freie Hand. Abgeleitet wird das aus der Ankündigung von CSU und FDP, keine eigenen Namen ins Spiel bringen zu wollen. Tatsache aber dürfte sein, dass Merkel kaum gegen ihre Koalitionspartner und die unionsgeführten Länder einen Kandidaten benennen kann. Sie wird sich nach allen Seiten absichern.

Hat das Land am Ende tatsächlich zwei Frauen in höchsten Staatsämtern? Einen nicht unwichtigen Fan hat von der Leyen offenbar schon. Der Berliner PR-Berater Lars M. Heitmüller hat sich 1998 die Internetadresse www.bundespraesidentin.de sichern lassen. Er kündigte an, sie im Fall der Fälle einer Bundespräsidentin zu schenken. Doch die Chancen dafür sinken.

Christian Wulff scheint nicht abgeneigt zu sein, ins Schloss Bellevue zu wechseln. Am Donnerstagnachmittag trat der Christdemokrat beim Seeschifffahrtstag in Cuxhaven auf. Die Journalisten bohrten, Wulff wich aus: "Ich fühle mich wohl als Ministerpräsident", sagte er.

An die Pressevertreter gewandt meinte er noch, "vielleicht weiß ich ja heute Abend mehr". Wulff wollte von Cuxhaven aus weiter nach Berlin reisen. Dort fällt die Entscheidung, wer das zehnte Staatsoberhaupt der Bundesrepublik wird.

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