Bundespräsident Wulff in Italien:"Wie konnte es so weit kommen?"

Christian Wulff ist auf Staatsbesuch in Italien. Dort will der Bundespräsident über Europa und die Krise reden, doch das gelingt nicht ganz. Die Affäre um vergünstigte Hauskredite und Urlaubseinladungen verfolgt den Bundespräsidenten bis ins Ausland - doch der gibt sich kämpferisch.

Claus Hulverscheidt, Mailand

Es ist keine drei Stunden her, dass Christian und Bettina Wulff die Gangway des Luftwaffen-Airbus Konrad Adenauer herabgestiegen sind, da weiß die Präsidentengattin, dass diese vermaledeite, nicht enden wollende Geschichte sie und ihren Mann auch hier im fernen Rom eingeholt hat. Ein Lächeln umspielt ihre Lippen. Es ist nicht dieses Zahnpasta-Lachen, das die Wulffs wie so viele andere Politikerpaare auf Knopfdruck an- und ausschalten können. Es ist ein eher wissendes, irgendwie kämpferisch erscheinendes Lächeln, das sagt: War ja klar, dass das früher oder später passieren würde - aber kleinkriegen werdet ihr uns nicht.

Wulff auf Staatsbesuch in Italien

Küsschen am Valentinstag: Bundespräsident Christian Wulff wird bei seinem Besuch in Italien von seiner Frau Bettina begleitet. Hier sind die beiden auf dem Mailänder Flughafen zu sehen.

(Foto: dpa)

Christian Wulff steht nur einige Meter von seiner Gattin entfernt im Spiegelzimmer des Quirinalspalasts, in einem dieser unzähligen prachtvollen Säle, die die ehemalige Papstresidenz im Herzen der Ewigen Stadt so einzigartig machen. Es funkelt und blinkt um den Bundespräsidenten herum, es ist ein Zusammenspiel von Kronleuchtern, Lüstern und Spiegeln, umrahmt von weiß und golden verkleideten Wänden, die in ein farbenprächtiges Deckengemälde im Stile Michelangelos münden. Ein Prunk und ein Pomp, wie er in der nüchternen Berliner Republik weder passend noch vorstellbar wäre.

Erst wenige Stunden zuvor ist Wulff zu seinem dreitägigen Staatsbesuch in Italien aufgebrochen, es ist überhaupt das erste Mal seit Beginn der Affäre um vergünstigte Hauskredite und Urlaubseinladungen von Unternehmern, dass der Präsident offiziell ins Ausland reist. Schon auf dem Flug nach Rom hat er gesagt, er wisse natürlich, dass ihn die mitreisenden Journalisten "nicht wegen Italien" begleiteten, obwohl das Land doch so großartig sei und die deutsch-italienischen Beziehungen so überragende Bedeutung hätten. Helfen werde das aber nichts. Es sei gute Sitte, dass sich Politiker im Ausland nicht zu "innenpolitischen Problemen" äußerten.

Nun sind Wulffs private Erklärungsnöte nicht im klassischen Sinne "innenpolitische Probleme". Dennoch kommt der Präsident mit seiner eher dürftigen Erklärung zunächst davon, denn just in diesem Moment bittet der Kabinenchef den "sehr geehrten Herrn Bundespräsidenten", die "gnädige Frau" und die "verehrten Fluggäste" per Lautsprecherdurchsage, zur Landung wieder die Plätze einzunehmen und sich anzuschnallen.

Wenig später also steht Christian Wulff in besagtem Quirinalspalast, dem Amtssitz des italienischen Staatspräsidenten, und lauscht den Worten des Hausherrn. Er verehrt den mittlerweile 86 Jahre alten Giorgio Napolitano nach eigenem Bekunden sehr. Beide haben soeben eine Dreiviertelstunde miteinander gesprochen, eine Unterredung, über die der greise Italiener sagt, dass er sie gerne "noch stundenlang weitergeführt hätte". Das aber lässt das Protokoll nicht zu. Es besagt vielmehr, dass die beiden Staatsoberhäupter nun Fragen deutscher und italienischer Journalisten beantworten müssen. Vier Wortmeldungen sind zugelassen, zwei von jeder Seite.

Zunächst geht es um die Staatsschuldenkrise und die fragile Wirtschaftsentwicklung in Europa - ganz direkt mag dann doch niemand den Bundespräsidenten in Anwesenheit Napolitanos auf Großburgwedel, Sylt, den Q3 und die Geerkens ansprechen. Dann aber meldet sich einer der mitgereisten deutschen Reporter und fragt, ob zu den größten Hemmnissen für Wachstum und Wohlstand nicht auch die Korruption zähle. Es ist eine Frage mit Hintersinn, doch Wulff tut so, als erkenne er diesen nicht. Deutschland, so sagt er, habe strenge Gesetze und ein hohes internationales Renommee in Fragen der Korruptionsbekämpfung. Und Napolitano tut seinem deutschen Kollegen gar den Gefallen und fügt an, dass die Dinge in Italien weit weniger günstig stünden als beim nördlichen Nachbarn. Es ist der Moment, in dem Bettina Wulffs Lächeln noch ein wenig breiter wird.

Schauspiel mit grotesken Zügen

Das Schauspiel, das die beiden Präsidenten aufführen, trägt Züge einer Groteske. Auf der einen Seite Napolitano, der honorige, ehrenwerte Schlossherr, der jüngst die Ablösung des triebgesteuerten Regierungschefs Silvio Berlusconi durch den grundanständigen Universitätsprofessor Mario Monti einfädelte und damit bewies, dass auch in einer repräsentativen Demokratie der Präsident weit mehr sein kann als nur der Grüßonkel oder gar der Depp vom Dienst. Der eine Nation anführt, die vor einer der größten Herausforderungen ihrer 150-jährigen Geschichte steht und der der neue Ministerpräsident Monti in den kommenden Monaten und Jahren einiges an wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen zumuten wird.

Wulff visits Italy

Christian Wulff mit Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano (re.).

(Foto: dpa)

Auf der anderen Seite Wulff, der immer noch so jungenhaft wirkende Mann aus der niedersächsischen Provinz mit seiner noch ein bisschen jüngeren Frau, dem nach eineinhalb Jahren im Amt immer noch keine rechte Überschrift für sein präsidiales Wirken eingefallen ist. Ein Staatsoberhaupt, über das sich die Leute auf der Straße das Maul zerreißen und der den immer gleichen Protagonisten im Sabbel-Fernsehen seit Monaten den nötigen Treibstoff liefert, weil er sich womöglich von Managern aushalten ließ, die er für Freunde hielt. Der einem Land vorsteht, das die Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrise bisher so gut gemeistert hat, dass es sich solche Diskussionen anscheinend leisten kann. Einer Republik, deren Probleme so klein sind, dass die kleinen Probleme ihres Präsidenten daneben ganz groß wirken.

Es ist eine verkehrte Welt: Seit Monaten wird an den internationalen Kapitalmärkten darüber spekuliert, ob Wulffs finanzkräftige Landsleute dem chronisch klammen Volk des Präsidenten Napolitano eines Tages unter die Arme werden greifen müssen. Und nun ist es Napolitano, der den Schutzschirm über Wulff aufspannt, einen Schirm aus Integrität, Aura und tadelloser Reputation.

Am Tag darauf spricht der Bundespräsident in Mailand vor Studenten, es geht, auch hier, um die Schuldenmisere in Europa. "Viele fragen sich: Wie konnte es so weit kommen?", heißt es im vorab verbreiteten Manuskript seiner Rede. "Tun wir genug, um eine weitere Zuspitzung der Krise zu verhindern?" Wulff meint den Euro, mancher Leser aber denkt an Sylt. Der höchste Mann im Staat kann nichts mehr sagen, ohne dass seine Worte in den Hinterköpfen vieler Bürger in einen anderen Kontext gerückt werden. Interessanterweise lässt er genau diese beiden Sätze später in seiner Rede weg.

Feigheit vor dem Feind, immerhin, kann man dem Präsidentenpaar nicht vorwerfen. Sie gehen den Journalisten, von denen sie sich seit Wochen verfolgt fühlen, nicht aus dem Weg, sondern begrüßen jeden einzelnen mit Handschlag. Als einer der Reporter ohne jede Vorwarnung auf die Affäre zu sprechen kommt und fragt, was es denn mit diesem und jenem Detail auf sich habe, verziehen die Wulffs keine Miene. "Wenn es einer herausbekommt", sagt der Bundespräsident, "dann Sie!" Das Lächeln, das er dabei zeigt, ist das gleiche, das seine Frau wenige Stunden später aufsetzen wird.

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