Bundespräsident:Würde, Weihrauch und Wehmut

Joachim Gauck ist der Verzicht auf eine zweite Amtszeit sehr schwer gefallen. Diese Entscheidung hat aber mit seinem Respekt vor dem Amt zu tun. Das ehrt ihn.

Von Heribert Prantl

Das Amt ist wenig, die Person ist alles; das Amt ist arm an Kompetenzen, aber reich an Erwartungen, die in dieses Amt gesetzt werden. Joachim Gauck hat dem höchsten Staatsamt in den zurückliegenden vier Jahren alles gegeben, was er hatte; das war viel, und vieles davon brauchte und braucht dieses Amt. Es braucht Würde; Gauck hat sie ihm nach dem Fall seines Vorgängers Christian Wulff wiedergegeben. Es braucht die Kraft des Wortes; Gauck hatte sie und hat sie. Ein wenig braucht das Amt auch die Theatralik, über die Gauck verfügt; und ein wenig braucht es sogar die Ergriffenheit von der Würde dieses Amtes, die man Gauck immer wieder anmerkt.

Man spürte diese Ergriffenheit in den paar Mittagsminuten am Montag, als er vor großer Kulisse erklärte, warum er, trotz des Werbens und Drängens vieler Regierungspolitiker, nicht mehr für eine zweite Amtszeit zur Verfügung steht. Es hat dies mit seinem Respekt vor diesem Amt zu tun: Gauck ahnt, dass er als Achtzigjähriger womöglich die Kondition, Tatkraft und Verve nicht mehr hat, die das Amt verlangt. Es ist ihm nicht leicht gefallen, dieser Erkenntnis zu folgen.

Einer seiner Vorgänger, Johannes Rau, hat vor 13 Jahren seine Entscheidung, kein zweites Mal mehr zu kandidieren, ohne sichtbare Anstrengung, fast nebenbei bekannt gegeben, im warmherzig-ironischem Plauderton, am Rande eines Sommerfestes im Garten des Schlosses Bellevue, Fernsehkameras waren gar nicht erst zugelassen. Rau war ein gewiefter sozialdemokratischer Politiker und wusste, dass die Schwarzen, die damals in der Bundesversammlung die Mehrheit hatten, ihm keine zweite Amtszeit geben würden. Er hatte es nicht in der Hand, sich noch einmal wählen zu lassen. Gauck dagegen wäre mit ganz großer Mehrheit wiedergewählt worden. Umso höher ist sein Verzicht zu werten, der lange brauchte, bis er gereift war. Es ist zwar eine großväterliche Weisheit, dass man aufhören soll, wenn es am Schönsten ist; aber auch Großväter tun sich schwer damit. Und Pastoren zitieren zwar bei feierlichen Gelegenheiten gern den Bibelspruch, dass "ein Jegliches seine Zeit" hat. Aber zwischen einer Predigt und ihrer Umsetzung liegt das Leben - auch bei einem Bundespräsidenten, der so schön predigen kann wie Gauck. Er ist ein politischer Präsident, der das Leben im Amt genießt; er ist aber keiner, der selber Politik machen will. Das hat ihn frei gemacht, frei im Herzen, frei in der Rede. Die Kanzlerin hätte es gern gesehen, wenn Gauck noch etwa zwei Jahre verlängert hätte. Er wollte das nicht, mit gutem Grund: Schon die zwei Bundespräsidenten vor ihm haben vorzeitig, in laufender Amtsperiode, aufgehört - ein dritter vorzeitiger Rücktritt hätte dem Amt geschadet. Das höchste Staatsamt ist kein Amt auf Abruf; die Amtszeit sollte weder von den Medien noch von der Bundesregierung bemessen werden.

Nun beginnt die Rasterfahndung nach dem Nachfolger oder der Nachfolgerin. Die Politik soll sich Zeit lassen. Eine kluge Suche gehört zur Würde des Amtes.

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