Bundespräsident:Von der Tugend der Langeweile

Lesezeit: 3 min

Bundespräsident Steinmeier steht für eine Politik, die den Dingen lange Weile gönnt. Das ist nötig in Zeiten einer kurzatmigen und polternden Politik des kurzen Prozesses.

Kommentar von Heribert Prantl

Keiner seiner Vorgänger kannte die Welt und ihre Krisenherde so gut, wie Frank-Walter Steinmeier sie kennt. Die Bundesrepublik Deutschland bekommt einen erfahrenen Politiker als Bundespräsidenten. Und Steinmeier ist auch noch mehr ein Berufspolitiker, als jeder seiner Vorgänger es war.

Gestern hätte das als Stigma gegolten; heute gilt das als Vorzug. Das liegt daran, dass die Welt, wie Steinmeier das formuliert, "aus den Fugen geraten" ist und deswegen Wörter wie Reife und Erfahrung wieder an Wert gewinnen. Es gibt ein neues Gefühl dafür, dass Kurzatmigkeit - in der Politik, in Wirtschaft und Arbeitsleben - wie eine Säure wirkt, die das Vertrauen und den Zusammenhalt in der Gesellschaft auflöst.

Wahl des Bundespräsidenten
:Merkel: Steinmeier wird "unser Land sehr gut begleiten"

Die Kanzlerin gratuliert dem neuen Bundespräsidenten. Mehrere Regierungschefs loben Steinmeiers diplomatisches Geschick.

Vor Kurzem noch war das Wort Berufspolitiker beinah ein Schimpfwort. In einer fiebrigen und fiebernden Welt wird das Wort Berufspolitiker zwar nicht gleich wieder zur Verheißung, aber doch zu einem Synonym für Berechenbarkeit. Steinmeier ist seriös und besonnen; er ist einer, dem die Ernsthaftigkeit von Politik ein Anliegen ist und der diese Ernsthaftigkeit in seiner Person und in seiner Politik repräsentiert.

Politik muss den Dingen lange Weile gönnen

Das Attribut "langweilig", das man Steinmeier gern verpasst, wird derzeit nicht so negativ an ihm kleben, wie es vor ein paar Jahren an ihm geklebt hätte. Es gibt Zeiten, in denen Langeweile gar eine Tugend ist - dann nämlich, wenn die Politik den Dingen lange Weile gönnen muss, statt eine kurzatmige, kurzentschlossene und polternde Politik des kurzen Prozesses zu betreiben.

Auch Menschen, die lange zuhören, bevor sie reden, gelten bisweilen als langweilig. Zu Unrecht. Zuhören kann der neue Bundespräsident, das gehört zu den Stärken seiner Diplomatie. Gewiss: Steinmeier wird wohl nie so eine grandios-furiose Rede halten, wie sie der Bundestagspräsident Norbert Lammert zum Auftakt der Bundesversammlung gehalten hat. Lammert hat in dieser Ansprache gezeigt, dass er, jedenfalls was die rhetorische Potenz betrifft, ein wunderbarer Bundespräsident geworden wäre.

Zwar hatte er seine Kandidatur aus persönlichen Gründen abgelehnt, aber seine Rede war erfüllt von präsidialem Feuer und der herrlichen Gabe, Nachdenklichkeit und Heiterkeit miteinander zu verbinden. Wie Lammert vor einem neuen Nationalismus und vor der Wiederkehr des Protektionismus warnte, wie er in diesem Zusammenhang Trump kritisierte, ohne ihn namentlich zu benennen, wie er für ein einiges Europa warb - das hatte politische Klasse, das hatte schier elektrisierende Wirkung. Den scheidenden Bundespräsidenten Joachim Gauck feierte Lammert in einer so respektvoll-würdigen Weise, dass dies die Bundesversammlung und den Geehrten gleichermaßen ergriff.

Bundespräsidentenwahl
:Olivia Jones in der Bundesversammlung: "Ich bin der Farbtupfer hier"

Die Dragqueen wählt auf Einladung der Grünen den neuen Bundespräsidenten mit. Weitere Prominente sind im Plenarsaal zusammengekommen. Der Wahltag in Bildern.

Lammert machte die Bundesversammlung zu einem Festtag für die Demokratie. Die Republik braucht solche Stunden des glücklichen Stolzes, weil es (das ist eine Erfahrung aus der Weimarer Republik) ohne ein solches Erleben schwer ist, die Republik und ihre Grundwerte zu verteidigen. Es war gut, dass am Sonntag die Giftigkeiten des beginnenden Wahlkampfes für ein paar Stunden in den Hintergrund traten. Und es wäre gut, wenn die Lust darauf, den politischen Gegner niederzukartätschen, wieder unterdrückt würde. Es ist ungut, wenn ein erfahrener Politiker wie Wolfgang Schäuble dem SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz aus Wahlkampfgründen die Maske des Trump umhängt.

Steinmeier wird noch oft Gelegenheit haben, Mut zu zeigen

Der neue Bundespräsident ist ein belesener und gebildeter Politiker, der aber in seinem Berufsleben nie etwas anderes gemacht hat als Politik - von seinen kleinen Anfängen als juristischer Hilfsreferent beim damaligen SPD-Ministerpräsidenten Gerhard Schröder bis hin zum Außenminister der Regierung Merkel.

Steinmeier ist noch viel mehr Berufspolitiker, als seinerzeit Johannes Rau einer war, der sich 1994 vergeblich und 1999 erfolgreich um das höchst Staatsamt bewarb; Rau wurde das seinerzeit verübelt. Er hatte zu kämpfen mit dem Ruf, im Panzer von politischen Befangenheiten zu stecken. Erst in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit gelang es ihm, aus diesem Panzer herauszukommen. Es hilft Steinmeier, dass er nicht als Innenpolitiker, sondern als Außenpolitiker in das höchste Staatsamt geht, als einer, der schon deswegen einen gewissen überparteilichen Ruf hat.

Steinmeiers Dankesrede nach der Wahl war von herzhafter Kürze: "Wenn das Fundament anderswo wackelt, dann müssen wir umso fester zu diesem Fundament stehen." Das war der schönste Satz seiner Rede, eingerahmt von der Aufforderung, "Mut" zu zeigen. Diesen Mut näher zu beschreiben und diesen Mut auch selbst zu zeigen - dazu wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier noch viel Gelegenheit haben.

© SZ vom 13.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Wahl zum Bundespräsidenten
:Steinmeier: "Lasst uns mutig sein"

Der ehemalige Außenminister ist zum Bundespräsidenten gewählt worden. In seiner Rede vor der Bundesversammlung ruft er die Deutschen auf, sich entschlossen für die Demokratie einzusetzen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: