Bundespräsident:Steinmeiers Kür ist für Merkel ein Fiasko

Die CDU-Chefin hat sich erst nicht richtig um einen neuen Bundespräsidenten gekümmert - und dann keinen eigenen Bewerber gefunden. In einer Partei mit fast 450 000 Mitgliedern!

Kommentar von Robert Roßmann, Berlin

Es ist ein eigenartiger Widerspruch, der sich in diesen Tagen um Angela Merkel auftut. Im Ausland gilt die Kanzlerin als stark und unverzichtbar wie kaum einer ihrer Vorgänger. Die New York Times hat Merkel gerade "zur letzten Verteidigerin des freien Westens ausgerufen". In Zeiten von Viktor Orbán, Marine Le Pen, Norbert Hofer sowie des Brexits ist Merkel für viele der wichtigste Garant dafür, dass Europa nicht dem Nationalismus anheimfällt. Doch zu Hause in Deutschland gelingt der Kanzlerin immer weniger.

Merkel hatte in der CDU lange den Nimbus der Unfehlbarkeit. Die Basis hat oft nicht verstanden, warum die Vorsitzende diesen Kurswechsel oder jene Entscheidung verlangt. Weil am Ende die CDU aber fast immer besser dastand als zuvor, wuchs das Ansehen der Kanzlerin in erstaunliche Höhen. Diesen Nimbus, der auch ein Schutzpanzer gegen Kritiker war, hat Merkel im Streit um die Flüchtlingspolitik verloren. Die Unfehlbare mache auf einmal Fehler, klagen viele in der Union. Die Kür Frank-Walter Steinmeiers hat diese Sorgen in der CDU jetzt gewaltig verstärkt.

Für die Kanzlerin: eine Schmach. Für Deutschland: ein Gewinn

Am Montag bemühten sich zwar allerlei CDU-Politiker, das Votum ihrer Partei für Steinmeier als Bundespräsidenten schönzureden. Wolfgang Schäuble war ehrlicher, er sprach von einer "Niederlage". Verantwortlich dafür ist vor allem Merkel. Die CDU-Chefin hätte gewarnt sein müssen, sie hatte bereits bei der Kür der vergangenen drei Bundespräsidenten keine glückliche Hand. Trotzdem hat sie die Suche nach einem Nachfolger für Joachim Gauck auf erstaunliche Weise schleifen lassen.

Es ist fast ein halbes Jahr her, dass der Bundespräsident mitgeteilt hat, nicht mehr antreten zu wollen. Aber Merkel hat sich erst nicht mit der gebührenden Aufmerksamkeit um die Nachfolge gekümmert - und dann keinen einzigen willigen und aussichtsreichen Bewerber gefunden. In einer Partei mit fast 450 000 Mitgliedern!

Die Causa Bellevue zeigt aber auch, wie eng der Spielraum Merkels im Umgang mit der CSU geworden ist. Die Kanzlerin hätte nach der vergeblichen Suche nach einem CDU-Kandidaten gerne den Grünen Winfried Kretschmann zum Bundespräsidenten erkoren. Doch sie konnte sich nicht gegen das Veto der CSU durchsetzen. Schon bei der Reform der Erbschaftsteuer und der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs hatte die kleine CSU die große CDU vor sich hergetrieben.

Parteipolitisch betrachtet ist das Ergebnis der Bundespräsidenten-Suche für Merkel ein Fiasko: Sie musste Steinmeier akzeptieren, obwohl sie dem Außenminister bereits signalisiert hatte, dass die Union ihn nicht unterstützen werde. Nach dem Linksruck der Grünen auf dem Parteitag am Wochenende und der Abfuhr der Union für Kretschmann ist eine schwarz-grüne Koalition im Bund deutlich unwahrscheinlicher geworden. Genau das wollte die CSU erreichen - im Gegensatz zur Kanzlerin.

Gabriels größter Erfolg seit 2013

Was für Merkel eine Schmach ist, dürfte für Deutschland aber ein Gewinn werden. In Zeiten wie diesen ist der besonnene, erfahrene, international respektierte und zu Hause beliebte Steinmeier keine schlechte Wahl für das Schloss Bellevue. Ein Präsident, der auch die Kunst der Rede beherrscht, wäre zwar schön gewesen - aber man kann sich seine Staatschefs nicht schnitzen. Die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten und die Spaltung der USA lassen das gemeinsame Votum der großen Koalition für Steinmeier jetzt sogar wie eine gelungene Reaktion Berlins erscheinen. Dabei war die Kür des Außenministers lediglich der letzte Ausweg, den Seehofer der CDU-Chefin ließ.

Der größte Gewinner des Ringens um die Gauck-Nachfolge ist aber Sigmar Gabriel (abgesehen von Steinmeier selbst natürlich). Der SPD-Chef hat mit seinem Vorstoß für den Außenminister, gegen alle Absprachen, viel riskiert. Doch jetzt hat er es tatsächlich geschafft, Steinmeier durchzusetzen. Das ist Gabriels größter Erfolg, seit er seiner Partei 2013 die Zustimmung zum Koalitionsvertrag abrang.

Es spricht für Gabriel, dass er seinen Triumph nicht übermütig auskostet wie sein Vorgänger als Vizekanzler, der damalige FDP-Chef Philipp Rösler. Der hatte Merkel Gauck als Bundespräsidenten aufgezwungen und sich anschließend in Talkshows damit gebrüstet. Was für ein Unterschied zu Gabriel, der sagt: "Ich habe gar nichts geschafft, sondern die Person Frank-Walter Steinmeier hat überzeugt."

Diese Erklärung ehrt Gabriel, auch weil sie nur zum Teil stimmt. Ja, Steinmeier ist der beliebteste Politiker. Aber das ist nur ein Kriterium unter vielen. Steinmeier wird Bundespräsident, weil Gabriel die machttaktisch scheinbar unschlagbare Merkel bezwungen hat. Wer hätte das vor einem Jahr für möglich gehalten?

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: