Bundespräsident: Tag der Deutschen Einheit:Christian Wulff - nichts gewagt und nichts verloren

"Ich bin auch der Präsident der Muslime": Christian Wulff hat am 20. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung für mehr Miteinander geworben - und für sich selbst: Inwieweit es dem Bundespräsidenten gelungen ist, die hohen Erwartungen an seine Rede zu erfüllen.

Thorsten Denkler, Bremen

Gut, dass die Halle jetzt anders heißt. Der alte Name hätte Bundespräsident Christian Wulff nicht gerade zur Ehre gereicht. Die Bremen-Arena, in der an diesem Sonntag die versammelte deutsche Staatsspitze und einige tausend geladene Gäste den 20. Jahrestag der Deutschen Einheit feiern, hieß bis Januar noch AWD-Dome.

Tag der Deutschen Einheit in Bremen

Bei seiner Rede in Bremen setzt Bundespräsident Christian Wulff (CDU) auf Ausgewogenheit.

(Foto: dapd)

AWD ist jenes berüchtigte Finanzunternehmen, mit dem der Unternehmer Carsten Maschmeyer groß geworden ist. Auf dessen Anwesen auf Mallorca hatte Wulff in diesem Sommer seinen Urlaub verbracht, was allgemein als wenig präsidial empfunden wurde. Diese und andere Kleinigkeiten haben dazu geführt, dass Wulffs erste Monate im Amt des Bundespräsidenten häufig als Fehlstart deklariert werden.

Die Erwartungen an Wulffs Rede in der Bremen-Arena waren entsprechend hoch. Auch weil es seine erste Rede war, die ein wichtiges nationales Ereignis zum Anlass hat. Ein Befreiungsschlag sollte es sein, mutmaßten Beobachter. Die Rede sollte ihn aus der Kritik herauskatapultieren. Er selbst hat noch vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten angekündigt, dass er an diesem 3. Oktober die Gelegenheit nutzen wolle, die Marschroute seiner Präsidentschaft erkennbar zu machen. Festzuhalten ist: Katapultiert hat es hier niemanden. Schlimmer gemacht aber hat Wulff es auch nicht.

Knapp eine halbe Stunde spricht der Präsident. Im überwiegenden Teil der im Presseheft als "programmatisch" angekündigten Rede befasst er sich mit dem Thema Integration. Zu seinem Antritt hatte er noch die "bunte Republik Deutschland" ausgerufen und damit Beachtung gefunden. So ein Kunstgriff gelingt ihm heute nicht. Er sagt viel Richtiges zur Integration. Aber nichts, was nicht schon irgendwann einmal dazu gesagt worden wäre.

Als "Lebenslügen" etwa bezeichnet Wulff die Annahmen, die Gastarbeiter seien nur vorübergehend nach Deutschland gekommen, dass sich das Land lange nicht als Einwanderungsland definiert habe und dass es "multikulturelle Illusionen" gegeben habe.

Wulff hält sich präzise an sein Redemanuskript, die freie Rede liegt ihm ohnehin nicht. Aber er wirkt auch so, als sei ihm bewusst, dass er sich einen Fauxpas nicht leisten kann - erst recht nicht an diesem Tag. Etwas steif steht er hinter seinem Pult, klammert sich mit seinen Händen am selben fest. Wulff scheint zu wissen: Er steht mehr unter Beobachtung als wohl jeder andere Bundespräsident in seinen ersten Amtsmonaten.

Werbekampagne in eigener Sache

Er versucht dem Eindruck entgegenzuwirken, das höchste Staatsamt und die Person Wulff seien noch nicht eins. Einer der Kritikpunkte am Kandidaten Wulff war, dass er als Ministerpräsident noch zu sehr verstrickt sei in die Tagespolitik, als dass er von heute auf morgen über den Dingen stehen könnte, wie es von ihm verlangt werden wird.

Dass die Kritik nicht ganz unberechtigt war, zeigte sich, als er dem Duisburger Bürgermeister Sauerland den Rücktritt wegen der Toten auf der Love-Parade nahelegte. Später gab er dem Bundesbankvorstand nach Ansicht einiger Kommentatoren eine Spur zu deutlich zu verstehen, sich besser von Thilo Sarrazin als Mitglied zu trennen. In der Sarrazin-Debatte hatte er sich zur Sache mit keinem Wort geäußert. Der Präsident schien abgetaucht, geradezu sprachlos zu sein. Ein ziemliches Defizit in einem Amt, in dem nichts so wichtig ist wie die Sprache.

Als müsse er jetzt eine Werbekampagne in eigener Sache starten, berichtet Wulff in der Bremen-Arena von Briefen, die ihm Muslime geschrieben hätten. Folgende Botschaft hätten sie enthalten: "Sie sind unser Präsident." Wulff sagt, er habe "aus vollem Herzen" geantwortet: Ja, natürlich bin ich ihr Präsident! "Mit der gleichen Leidenschaft und Überzeugung, mit der ich Präsident aller Menschen bin, die hier in Deutschland leben."

Eine Botschaft, hinter der sich alle versammeln können sollten. Es funktioniert. Erstmals bekommt er so etwas wie nachhaltigen Applaus während seiner Rede.

"Auch der Islam gehört zu Deutschland"

An einer Stelle überzieht er es leicht mit der Idee, sich als Chefintegrator der Republik zu erfinden. Wohlwollend zählt er die Berufsgruppen auf, in denen Migranten arbeiten: die Ärztin, den Deutschlehrer, den Gemüsehändler - und eben auch "die Ministerin". Die bundesweit einzige Ministerin mit Migrationshintergrund ist derzeit die in Niedersachsen für Integration zuständige Aygül Özkan. Wulff hat seine Parteifreundin als Ministerpräsident selbst in das Amt gebracht.

Bei seiner Rede in Bremen setzt er auf Ausgewogenheit, er will es allen recht machen, nicht anecken. Kein Ruck, keine neuen Ideen, dafür Mut machen, Zuversicht ausstrahlen. In Wulffs Augen steht das Land in der Integrationsfrage besser da, "als es die derzeitige Debatte vermuten lässt". Andererseits gebe es "Nachholbedarf", womit er Sprachkurse für die ganze Familie, Unterrichtsangebote in den Muttersprachen und islamischen Religionsunterricht von hier ausgebildeten Lehrern meint. Von der Analyse kann sich keiner gestört fühlen.

Immerhin, so viel will er dann doch sagen: "Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christliche-jüdische Tradition. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland." Das scheint bei manchen noch nicht angekommen zu sein. Beifall jedenfalls gibt es an dieser Stelle nicht.

Der Fairness halber muss allerdings gesagt werden, dass auch nicht applaudiert wird, als Wulff bierzelttauglich verkündet: "Wer unser Land, unsere Werte verachtet, muss mit entschlossener Gegenwehr rechnen - das gilt für fundamentalistische ebenso wie für rechte oder linke Extremisten." Ihm gehe es darum, "dieses Land zu einem Zuhause zu machen - für alle." Wohl deshalb besteht der häufigste Satz in Wulffs Rede aus jenen drei Wörtern, die die friedliche Revolution von 1989 geprägt haben: "Wir sind das Volk."

Beethoven verdrängt Wulff

"Dieses Land ist unser aller Land, ob aus Ost oder West, Nord oder Süd und egal welcher Herkunft", sagt Wulff. "Hier leben wir, hier leben wir gern, hier leben wir in Frieden zusammen - hier stehen wir ein für Einigkeit und Recht und Freiheit." Wer wollte das nicht unterschreiben?

Kaum hat Wulff sein Pult verlassen, treten Sängerinnen und Sänger auf die Bühne, die ein Stück aus Ludwig van Beethovens Oper "Fidelio" vortragen wollen. Der Bundespräsident kann froh drüber sein. Der schnelle Wechsel kaschiert den etwas müden Applaus, den er für die Rede bekommt.

Die äußerst hohen Erwartungen konnte Wulff nicht erfüllen. Das war wohl auch nahezu unmöglich. Zumindest aber ist die Rede kein Reinfall geworden. Er hat das Richtige gesagt. Mehr war heute nicht drin.

Warum es nicht möglich war, das auf den Höhepunkt der Sarrazin-Debatte zu sagen, bleibt sein Geheimnis. Diese Rede werden viele so schnell vergessen haben, wie die letzten Reden seines zurückgetretenen Vorgängers Horst Köhler. Für Wulff und seine Präsidentschaft bedeutet das: Da ist noch Luft nach oben.

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