Bundespräsident in der Kreditaffäre:Wie Wulff das Amt blamiert

Sein Lieblingsprojekt Integration kann Wulff nur voranbringen, wenn er selbst integer ist. In der Kreditaffäre hat er sich nicht wie ein Präsident verhalten, sondern wie ein verdruckster Kleinbürger. Das ist kein historischer Fehler, könnte aber das Amt des Bundespräsidenten in eine historische Krise stürzen.

Heribert Prantl

Christian Wulff ist ein Präsident mit Fehlern. Sein größter Fehler ist, dass er nichts lernt aus den Fehlern, die er macht: Die Kreditaffäre wird ja zur Affäre vor allem dadurch, dass Wulff dazu wahrheitsverformende Erklärungen abgibt. Indes: Auch die Bundespräsidenten, die heute als Vorbilder gelten, hatten ihre Fehler. Sie haben kleine und große, lächerliche, ja sogar historische Fehler gemacht.

Der erste Bundespräsident, Theodor Heuss, der dann in liebevoller Verehrung "Papa Heuss" genannt wurde, hat sich den allergrößten politischen Fehler zuschulden kommen lassen: Er stimmte, 16 Jahre vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten, Hitlers Ermächtigungsgesetz zu, als damals 49-jähriger Abgeordneter der liberalen Staatspartei. Vielleicht würde Heuss heutzutage deswegen gar nicht mehr gewählt werden. Er war dann freilich, von 1949 bis 1959, ein ganz wunderbarer Bundespräsident - gebildet, volksnah, väterlich.

Christian Wulffs Fehler sind keine historischen Fehler, aber es könnte daraus eine historische Krise des Bundespräsidenten-Amts erwachsen. Wenn nach Horst Köhler, dem neunten Bundespräsidenten, auch noch Wulff blamiert als zehnter Bundespräsident zurücktreten müsste: das höchste Staatsamt hielte das kaum aus. Das Amt hätte dann seinen inneren Halt verloren.

In der läppisch peinlichen und amtsethisch anstößigen Wulff'schen Kreditaffäre steckt also der Keim zu einer Institutionenkrise, zu einer Staatskrise also. Das höchste deutsche Staatsamt lebt nun einmal von der Person des Inhabers: Allein diese Person macht dieses höchste Amt groß oder klein, allein diese Person gibt ihm eine Aura oder ein Geschmäckle. Es wäre fatal, wenn das höchste Staatsamt von denen, mit denen der Präsident Umgang pflegt, vom Sockel gestoßen würde. Es wäre fatal, wenn es in der Kreditaffäre zu kleiner Münze geschlagen würde.

Die Leute wünschen sich einen ungewöhnlichen Präsidenten - einen, der ungewöhnlich gescheit ist oder ungewöhnlich gut reden kann, der ungewöhnlich gut auftritt oder der wenigstens ungewöhnlich alt oder jung ist; einen halt, der ein wenig Vorbild ist. Wulff immerhin ist für einen Bundespräsidenten ungewöhnlich jung. Er hat eine junge Familie, und zum ersten Mal spielen Kinder im Amtssitz des Präsidenten. Diese präsidiale Ungewöhnlichkeit hat Präsident Wulff aber dadurch arg profanisiert, dass er sich nicht anständig dazu bekannt hat, 2009 einen groben Fehler begangen zu haben.

Privat-politische Peinlichkeiten

Damals brauchte er einen Kredit, um seine zweite, seine junge Familie zu gründen. Er hat ihn bekanntlich bei einer befreundeten Familie genommen, statt bei einer Bank. Es hätte sympathisch wirken können, wenn ein Spitzenpolitiker sich dazu bekannte hätte, dass er nach einer Scheidung nicht genügend Geld hatte, um sich ein Haus zu kaufen. Wulff hat sich, vielleicht weil er aus kleinen Verhältnissen kommt, dafür geniert. Sodann hat er sich den Kredit unter Umständen geben lassen, für die er sich genieren muss - und sich später scheinheilig dazu erklärt.

Es ist dies alles kein präsidentenhaftes Verhalten, sondern eher das eines verdrucksten Kleinbürgers. Es wäre nun freilich besser, wenn Christian Wulff seine Glaubwürdigkeit im Amt repariert, wenn er sich umfassend erklärt, wenn er sich entschuldigt, als dass er das Amt durch einen Rücktritt weiter beschädigt.

Das Kreditverhalten Wulffs war und ist falsch, aber Wulff ist deswegen kein "falscher", sondern ein fehlerhafter Präsident. Wäre sein einstiger Gegenkandidat Gauck der richtige? Gauck hat vor ein paar Wochen die Proteste gegen den Finanzkapitalismus als "albern" bezeichnet. Wie albern wäre ein solcher Satz erst von einem Bundespräsidenten! Lieber keine Rede von Wulff zu diesem Thema als eine Rede diesen Inhalts von Gauck. Gewiss: Wulffs privat-politische Peinlichkeiten sind eine Pein für jene, die ihn gewählt haben, und auch für alle, die der Meinung sind, dass er seine Sache ansonsten so schlecht gar nicht macht. Für die, die ihm seit jeher vorhalten, dass er nicht die Reinkarnation von Heuss-Weizsäcker-Herzog ist, kommen die Peinlichkeiten gerade recht.

Es stimmt aber nicht, dass Wulff bisher keine Akzente gesetzt hat. Wie kein anderer Präsident hat er die Integration zu seinem Thema gemacht: Unter seinem Schirm soll, so wünscht er sich, die zweite deutsche Einheit wachsen, also die Vereinigung von Bürgerinnen und Bürgern deutscher und ausländischer Herkunft. Wulff hat das schon 2010 bei seiner Rede zum Tag der deutschen Einheit angekündigt, dann bei seiner klugen Rede vor dem Parlament in Ankara bekräftigt und es beim Evangelischen Kirchentag in Dresden vertieft. Aber der Präsident kann die Integration nur dann voranbringen, wenn er selbst integer ist.

Der Präsident muss kein Jürgen Habermas sein. Um als gescheit zu gelten, müssen bei ihm auch nicht Martin Walser und Sloterdijk ein- und ausgehen. Aber Wulff muss wissen: Das höchste Staatsamt verlangt von ihm viel mehr, als er diesem Amt derzeit gibt. Man erwartet von einem Präsidenten auch ein wenig mehr, als dass er aus Fehlern lernt. Er mag sich sein Privathäuschen einrichten; vor allem aber muss er sich im Haus des Gemeinwesens nützlich machen. Die Chance dazu sollte Wulff nutzen.

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