Bundespräsident:Gauck drückt die Verantwortung

Joachim Gauck

Joachim Gauck - der geschmeidige Bundespräsidententyp ist er nicht.

(Foto: dpa)

Bundespräsident Gauck ist im Amt viel populärer geworden, als es seinem Ego guttut. Nun muss der Amtsinhaber entscheiden, ob er sich an eine zweite Amtszeit wagen will.

Kommentar von Constanze von Bullion

Staatsmänner, die ihre Nation durch eine stürmische Zeit leiten, werden gern mit der Berufsbezeichnung "Lotse" bedacht. So war das bei Reichskanzler Otto von Bismarck, als er 1890 sein Entlassungsgesuch bei Kaiser Wilhelm II. einreichte. Ein britischer Karikaturist zeichnete Bismarck damals als alten Kapitän, der schweren Schrittes und Herzens von Bord geht. Das Bild hat sich festgesetzt in Deutschland.

"Der Lotse geht von Bord", hieß es auch, als im November der Hanseat und Altkanzler Helmut Schmidt starb. Und jetzt, in einem Flugzeug nach Nigeria, holte Bundespräsident Joachim Gauck die Frage nach dem Lotsen ein, der sein Schiff noch einmal auf Kurs bringt - oder eben nicht.

Nun ist das deutsche Staatsoberhaupt bekanntlich kein Kapitän, denn Deutschland wird von einer Kapitänin gesteuert. Dem Bundespräsidenten, um im Bild zu bleiben, fällt eher die Rolle des führenden Nautikers zu, zuständig für die Umschiffung geistiger Untiefen. Und weil in einem Jahr, am 12. Februar 2017, die Bundesversammlung zusammentreten wird, um zu entscheiden, wer dieses Amt ausüben soll, wird Gauck in immer kürzeren Abständen aufgefordert zu sagen, ob er sich eine zweite Amtszeit wünscht.

Auch im Flieger nach Nigeria wurde er das gefragt. Gauck verweist in solchen Situationen gern auf Giorgio Napolitano. Der war 87 Jahre alt und hochgeachtet, als man ihn bat, Italien in einer Staatskrise zu helfen und noch einmal Präsident zu werden. Gauck ist 76, nicht 87 Jahre alt, quasi jugendlich, so könnte man das verstehen.

Schwankende Befindlichkeit

Aus der Antwort, die er gab, schloss mancher im Tross der Journalisten jedoch, der Präsident mache sich weniger Sorgen über sein Alter als darüber, das deutsche Staatsschiff zurückzulassen in einer Zeit, in der so viele Flüchtlinge kommen und sich mit dem Hass die AfD breit macht im Land. Gauck will wieder antreten, wurde flugs daraus gemacht. Andere verstanden genau das Gegenteil: Gauck finde, der deutsche Kahn schlingere gar nicht so arg , da könne der Lotse ruhig von Bord gehen.

Um es abzukürzen: Es ist zwecklos, aus solchen Antworten schließen zu wollen, ob Joachim Gauck für eine zweite Amtszeit kandidiert. Aber die nautischen Assoziationen zeigen, wie schwankend die Befindlichkeit ist. Gauck wird beizeiten mitteilen müssen, ob er weitermachen möchte.

Jedenfalls, wenn er nicht will, dass er nach und nach ramponiert und aus dem Amt geschrieben wird. Das wäre einer Präsidentschaft nicht würdig, die - ob man Gauck mag oder nicht - eine der interessantesten der letzten Jahrzehnte ist.

Gauck ist populärer, als es seinem Ego guttut

Der Mann von der Ostsee mag nicht das ersehnte weizsäckersche Format haben, also die Gabe, sich als Quasi-Monarchen verehren zu lassen. Gaucks Charisma ist ein anderes. Er legt Finger in Wunden und bringt mit schöner Regelmäßigkeit Gewissheiten durcheinander und Menschen gegen sich auf.

So war es, als er mehr militärisches Engagement der Deutschen in der Welt forderte. Oder als er dem türkischen Präsidenten Missachtung demokratischer Grundrechte vorhielt. So wird es hoffentlich wieder, wenn er demnächst nach China reist und daran erinnern kann, dass dort Menschenrechte brutal missachtet werden.

Sonderbar still beim Thema Flüchtlinge

Gauck beherrscht das: den diplomatischen Kodex zu strapazieren, bis einer heult. Und weil die Menschen diese Sprache verstehen, ist er populärer, als es seinem ohnehin gut entwickelten Ego guttun kann. Wenn es am schönsten ist, soll man gehen, könnte man ihm zurufen. Eine erfolgreiche zweite Amtszeit ist nur Theodor Heuss und Richard von Weizsäcker gelungen, Heinrich Lübke und Horst Köhler verhoben sich an ihr.

Umgekehrt heißt das aber nicht, dass nur Glanz zurückbliebe, würde Gauck nun seinen Abschied ankündigen. Beim Thema Flüchtlinge, einst sein Herzensanliegen, ist er sonderbar still geworden. Erst fiel er der Kanzlerin in den Rücken, dann wollte er es nicht so gemeint haben, jetzt sagt er nichts Wegweisendes mehr dazu, wohl aus Sorge, Angela Merkel zu schaden. Wie anders wäre die Debatte verlaufen, hätte Gauck, der sich immer als Mutmacher verstand, sich entschlossen an die Seite der Kapitänin gestellt.

Er wollte es nicht, und die Sorgen ums Land sind seither nicht kleiner geworden. Die AfD könnte im März in drei Landesparlamente einziehen. Die Sitze der etablierten Parteien in der Bundesversammlung würden dann weniger, und jeder neue Bewerber für das Amt liefe eine erheblich größere Gefahr zu scheitern als der derzeitige Amtsinhaber.

Gauck weiß das und gibt zu erkennen, dass die Verantwortung ihn drückt, so oder so. Wie immer er sich entscheidet, er sollte es bald kundtun. Quälende Dauerdebatten schaden ihm und dem Amt.

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