Bundespräsident Gauck in Israel:Jerusalems falsche Politik

Joachim Gauck besucht das Heilige Land. Bereits im Vorfeld hat er das Richtige gesagt. Doch in Deutschland kippt die Stimmung gegen Israel. Denn die deutsche Bundesregierung herzt die falschen Politiker und deckt die falsche Politik der Regierung Netanjahu. Der Bundespräsident könnte dem israelisch-deutschen Verhältnis anders dienen.

Peter Münch, Tel Aviv

Was gesagt werden muss, hat Joachim Gauck bereits vorausgeschickt nach Israel: "Wir Deutsche stehen auf eurer Seite." Der Bundespräsident macht damit seinen an diesem Dienstag beginnenden Staatsbesuch zum Solidaritätsbesuch. Das ist wichtig und richtig, weil die Geschichte dies als Grundton vorgegeben hat in den deutsch-israelischen Beziehungen. Deutschland trägt nicht nur Schuld, sondern auch Verantwortung - für das Existenzrecht des jüdischen Staates, der aus dem Holocaust hervorging.

Gauck zu Staatsbesuch in Israel eingetroffen

"Wir Deutsche stehen auf eurer Seite":  Bundespräsident Joachim Gauck nach der Ankunft in Israel.

(Foto: dapd)

In Jerusalem wissen sie das, und sie wissen es auch zu schätzen. Die Deutschen gelten heute neben den Amerikanern als die besten Freunde Israels. Doch sind es wirklich die Deutschen - oder ist es nur noch die deutsche Bundesregierung?

Jenseits der offiziellen Bekundungen von Gauck, Merkel, Westerwelle und Co. nämlich ist von der Solidarität mit Israel nicht mehr viel zu spüren in der deutschen Öffentlichkeit und noch viel weniger dort, wo halböffentlich geraunt wird.

Einer gerade veröffentlichten Umfrage zufolge finden 70 Prozent der Deutschen, dass Israel seine Interessen rücksichtslos gegenüber anderen Völkern durchsetzt, 59 Prozent halten es für ein aggressives Land, und nur noch 16 Prozent geben an, dass der jüdische Staat ihnen nahestehe. Im Vergleich mit früheren Umfragen ist Israels Ansehen in Deutschland dramatisch gesunken - und dieser Rückgang ist noch weit beunruhigender als der stabile Bodensatz von 13 Prozent Antisemiten, die Israels Existenzrecht nicht anerkennen wollen.

Die Deutschen sehen Israel zunehmend negativ und dies ausgerechnet zu einer Zeit, da umgekehrt in Israel das Image Deutschlands - von der Berliner Politik bis zur Berliner Party-Szene - enorm positiv ist. Wer nach Erklärungen dafür sucht, kann sich heute nicht mehr allein mit jenem, dem israelischen Psychoanalytiker Zvi Rex zugeschriebenen bösen Bonmot zufriedengeben, dass die Deutschen den Juden Auschwitz nie verzeihen werden.

Befreiung vom Schuldgefühl

Gewiss, auch die Sehnsucht nach der Befreiung vom Schuldgefühl bleibt wirkmächtig. Doch das ist womöglich mehr ein Thema für alte Literaten wie Martin Walser, der sich gegen die Moralkeule des Holocaust stemmte, oder Günter Grass, der mit letzter Tinte ein Tabu zu durchbrechen trachtete. Für einen weit größeren Teil der Deutschen aber dürfte der Ansehensverlust Israels doch mehr mit der Gegenwart als mit der Vergangenheit zu tun haben - also mit Israels aktueller Politik.

Es ist die Politik der Besatzung, des Siedlungsbaus, der alltäglichen Unterdrückung der Palästinenser, die Israels Bild in der Welt und auch in Deutschland negativ prägt. Es ist die Vertreibung einer palästinensischen Familie aus ihrem Haus in Ost- Jerusalem und die Blockade von 1,6 Millionen Menschen im Gazastreifen. Dabei darf man Israel nicht vorwerfen, vom David zum Goliath mutiert zu sein, denn die gepanzerte Stärke ist eine erzwungene Reaktion auf die permanente Bedrohung von außen.

Abkehr von den eigenen Idealen

Vorzuwerfen ist Israel allerdings die Abkehr von den eigenen Idealen und vom Weg des Friedens, den Jitzchak Rabin und Schimon Peres in den neunziger Jahren vorgezeichnet hatten. Diese Kritik aber gilt nicht pauschal dem Staat, sondern vornehmlich der derzeitigen Regierung unter Premier Benjamin Netanjahu.

Gauck auf Staatsbesuch in Israel

"Wir Deutsche stehen auf eurer Seite":  Bundespräsident Joachim Gauck nach der Ankunft in Israel

(Foto: dpa)

Diese Unterscheidung ist wichtig, aber sie kommt kaum zur Geltung - jedenfalls nicht in Jerusalem und nicht in Berlin. Israels Regierung hat sich gegen Kritik immunisiert, indem sie alle Vorhaltungen als antiisraelisch oder gar anti-semitisch zurückweist. Selbst wenn das oft als durchsichtiges Manöver zu erkennen ist, zeitigt es in der deutschen Politik immer wieder das gewünschte Ergebnis.

Kritik wird von der Bundesregierung höchstens hinter verschlossenen Türen geäußert. Öffentlich kann Außenminister Guido Westerwelle seinem israelischen Gegenüber, dem "lieben Avigdor" Lieberman, bei allfälligen Zusammentreffen dann gar nicht oft genug auf die Schultern klopfen, um seine freundschaftliche Verbundenheit zu zeigen.

Da werden so offensichtlich die falschen Politiker geherzt, und so deutlich wird die falsche Politik gedeckt, dass dies den Widerspruch provozieren muss. Das zeigt sich dann in den für Israel verheerenden Umfrageergebnissen, und es hat sich zuvor schon in der Reaktion auf Günter Grass gezeigt. Die Wahrhaftigkeitslücke der deutschen Politik bildete den Resonanzboden, auf dem seine Kritik an Israel umso mehr Zuspruch erfahren hat, je stärker sich das offizielle Deutschland davon distanzierte. Wenn Kritik zum Tabu gemacht wird, ist der Tabubruch schließlich umso befreiender - und schießt umso leichter über das Ziel hinaus.

Darin liegt die große Gefahr, und dies sollte Auswirkungen haben auf die deutsche Politik. Für das in Jahrzehnten gefestigte, aber natürlich niemals "normale" deutsch-israelische Verhältnis wäre es besser, wenn mehr Offenheit herrschen würde. Solidarität mit Israel bedeutet nicht, jede israelische Regierung bedingungslos zu unterstützen. Bundespräsident Gauck könnte dem deutsch-israelischen Verhältnis also am besten dienen, wenn er in Jerusalem nicht nur als stiller Freund, sondern auch als freundschaftlicher Mahner auftritt.

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