Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier:Diese Weihnachtsansprache steht unter anderen Vorzeichen

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: Unter den Augen von Theodor Heuss empfängt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier SPD-Chef Martin Schulz im Schloss Bellevue.

Unter den Augen von Theodor Heuss empfängt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier SPD-Chef Martin Schulz im Schloss Bellevue.

(Foto: John Macdougall/AFP)

Zum ersten Mal seit 1949 hat Deutschland an Heiligabend keine richtige Regierung. Auch deshalb muss Bundespräsident Steinmeier seine Worte mit Bedacht wählen.

Von Nico Fried, Berlin

Vor einiger Zeit reiste Frank-Walter Steinmeier nach Polen. Der neue Bundespräsident stattete dem Nachbarland seinen Antrittsbesuch ab, und der frühere Außenminister in ihm flog auch mit. Im Flugzeug zwischen Berlin und Warschau legte Steinmeier seinen Zuhörern ausführlich die Verästelungen polnischer Politik dar, zum Beispiel das Verhältnis zwischen Staatsoberhaupt, Regierung und Parlament.

Verästelungen sind Steinmeiers Lieblingsparcours, an ihnen führt er den Nachweis, dass nicht er kompliziert denkt, was vermuten konnte, wer ihn manchmal als Außenminister reden hörte, sondern dass die Welt kompliziert ist. Als Außenminister hatte es Steinmeier in mehr als sieben Jahren in vielen Staaten mit verwirrenden innenpolitischen Konstellationen zu tun. Deutschland hingegen wirkte politisch stabil und verlässlich.

Doch wenige Monate nach Amtsantritt des neuen Bundespräsidenten begann für das Land wegen der schwierigen Regierungsbildung eine überraschende politische Bewährungsprobe, die vom Ausland mit Interesse, ja Irritation beobachtet wird. Er selbst, das Parlament und die Verfassung sind entscheidende Elemente dabei. Wenn ein anderer Präsident vom Schlage Steinmeiers jetzt zum Antrittsbesuch nach Deutschland flöge, könnte er stundenlang die Verästelungen der Berliner Politik auseinanderfieseln.

Das Jamaika-Aus rückt Bellevue in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses

"Schloss Bellevue soll ein Ort der Debatte über die Zukunft der Demokratie werden." Das hat Steinmeier kurze Zeit nach seinem Einzug in den Amtssitz des Bundespräsidenten gesagt. So ist es gekommen - und doch ganz anders, als das Staatsoberhaupt sich das vorgestellt hatte. Nicht die theoretischen Debatten in prominent besetzten Soirées vor geneigtem Publikum ziehen die meiste Aufmerksamkeit auf sich, sondern die Diskussionen hinter verschlossenen Türen über die knallharte politische Wirklichkeit.

Nach dem Scheitern der Sondierungen für eine Jamaika-Koalition gab sich die politische Prominenz in Bellevue quasi die Klinke in die Hand. Dabei ging es um eine neue Regierung, aber mithin auch um die Zukunft der Demokratie, die von der Verantwortung einzelner Politiker abhängt wie von den Auswirkungen etwaiger Koalitionen.

Am kommenden Montag spricht Steinmeier erstmals an Weihnachten zu den Deutschen. Die Fernsehansprache des Bundespräsidenten war bislang eine Tradition von überschaubarer politischer Bedeutung. Das ist diesmal anders. Für sein Debüt wird sich Steinmeier sehr genau überlegt haben, welche Botschaft er einem Volk übermittelt, das noch nie seit 1949 ohne richtige Regierung vor den Tannenbäumen saß. In Kenntnis seines politischen Temperaments ist es keine allzu riskante Wette, trotz der seit Wochen unklaren Lage sorgfältig gewählte Worte wider jeglichen Alarmismus zu prognostizieren.

Steinmeier als Präsident steht dafür, dass alles mit rechten Dingen zugeht

Das Amt des Bundespräsidenten, das durch manchen von Steinmeiers Vorgängern in die Diskussion geraten war, steht 2017 für Kontinuität im Wandel - und der Bundespräsident als Person dafür, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Steinmeier bringt nicht nur die richtige Haarfarbe mit, um die Rolle des Pater Familias seriös zu verkörpern. Er kennt auch die Akteure und muss die Regeln der Politik nicht lernen.

Er sei, hat Steinmeier mal gesagt, in das Amt in der Gewissheit gegangen, "dass neue Herausforderungen kommen - auch neue Möglichkeiten, für die ich meine Erfahrungen nutzen kann". Das ist schneller wahr geworden als erwartet.

Auch bei diesem Satz dürfte Steinmeier freilich kaum an die herausragende Rolle gedacht haben, die ihm das Grundgesetz bei der Regierungsbildung zuweist - vor allem, wenn sie nicht gelingen mag. Manches, was Steinmeier seit seinem Amtsantritt von sich gegeben hat, liest sich in dieser Situation in anderem Licht. "Die einfachen Antworten sind in der Regel keine Antworten", hat er mit Blick auf Populisten gesagt. Das subsumiert nun auch jene, die eine einfache Antwort auf mangelnde Koalitionsfähigkeit in Neuwahlen sehen.

Selbst SOD-Mitglieder nennen ihn nur noch "Herr Bundespräsident"

"Im höchsten Staatsamt tritt die Person hinter das Amt zurück." Diese Maxime Steinmeiers bestätigt sich einerseits, wenn selbst SPD-Politiker über den Genossen mit der ruhenden Parteimitgliedschaft nur noch als "der Herr Bundespräsident" sprechen.

Andererseits müsste Steinmeiers Persönlichkeit das Amt maßgeblich prägen, wenn zum Beispiel die Verhandlungen über eine große Koalition scheitern sollten. Der Bundespräsident kann theoretisch immer neue Gespräche fordern. Der Bundestag kann erst zur Wahl eines Kanzlers oder einer Kanzlerin antreten, wenn Steinmeier einen Kandidaten oder eine Kandidatin vorschlägt.

Die Dauer des Prozesses hängt von der Überzeugungskraft des Staatsoberhauptes ab, dass es ihm um das Wohl des Landes geht. Die braucht er nicht zuletzt gegen alle taktischen Überlegungen, die vor allem die politischen Ambitionen einer neuen Generation im Auge haben.

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