Bundespolitik:Die Kollision der Koalition der Konfusion

Erst fehlen etliche Abgeordnete, dann ein wichtiger Redeabsatz, am Ende alle Zuversicht - Regieren in den Zeiten der Rettungsmanöver.

Von Nico Fried, Reymer Klüver und Christoph Schwennicke

Berlin, 10. März - Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Berliner Regierungskoalition im Augenblick schon Probleme hat, geordnet einen Fuß vor den anderen zu setzen, dann wird er an diesem Donnerstag gegen elf Uhr im Bundestag erbracht.

Angie echauffiert sich

Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel und der parlamentarische Geschaeftsfuehrer der CDU/CSU-Fraktion, Norbert Roettgen, verfolgen die Debatte zum Pakt für Deutschland im Bundestag.

(Foto: Foto: AP)

Geschlechtergerechtigkeit steht auf der Tagesordnung, es kann kaum ein rot-grüneres Thema geben. Doch als sich die Debatte der Abstimmung zuneigt, macht Irmingard Schewe-Gerigk einen verzweifelten Versuch, das Ende hinauszuzögern.

Den letzten Redner der Opposition, Markus Grübel von der CDU, bedenkt die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen mit einer mäandernden Frage zu seiner Ansicht zum Vaterschaftstest. Frau Schewe-Gerigk fragt und fragt und fragt, Herr Grübel aber lächelt mit der Süffisanz eines Henkers, der sich die länglichen letzten Worte des Delinquenten anhört.

Anflug von Sehschwäche

Die Kollegin stelle die Frage ja nur, um "eine Mehrheit in diesem Haus herbeizureden", da die CDU/CSU wegen der nachfolgenden Diskussion über die Wirtschaftslage so stark vertreten sei, Rot-Grün jedoch "auch auf der Regierungsbank" so schwach, sagt der CDU-Mann.

Als die Abgeordneten dann endlich die Hände heben dürfen, bemüht sich auch noch Wolfgang Thierse, das Unvermeidliche aufzuhalten. Das Ergebnis der ersten Abstimmung erklärt der Bundestagspräsident - offensichtlich in einem Anflug von Sehschwäche - für nicht eindeutig, woraufhin ihm eine Beisitzerin zuflüstert, die Sache sei doch sehr klar gewesen.

Dennoch lässt Thierse die Hände noch einmal heben und muss dann höchstamtlich verkünden: "Die Beschlussempfehlung ist abgelehnt."

Die Kollision der Koalition der Konfusion

Die erste rot-grüne Abstimmungsniederlage in dieser Legislaturperiode - und das bei einem Leib-und Magenthema. Peinlich schon an und für sich, furchtbar aber als Prolog für das Vorspiel auf dem Bundestagstheater über die große Frage, wie denn nun Deutschland aus der Krise zu holen sei, die Frage, die kommende Woche im Kanzleramt Gerhard Schröder, Joschka Fischer, Angela Merkel und Edmund Stoiber beschäftigen soll.

Schröder, der nonchalante Kommunikator

Übersprang nonchalant einige Zeilen im Redemanuskript und sorgte damit für reichlich Konfusion - Bundeskanzler Gerhard Schröder.

(Foto: Foto: dpa)

Merkel, rauschend

Unter dem Jubel ihrer Fraktion und wie auf einer großen Welle rauscht Angela Merkel nun ans Pult, als Thierse ihr das Wort zum Auftakt der Wirtschaftsdebatte erteilt. Muss man da noch viel sagen? Das alles gebe doch einen Eindruck vom Zustand der Regierung, erklärt sie und schaut lächelnd hinüber zu den Sesseln der Exekutive.

Da fällt vor allem auf, wer alles nicht da ist: Schröder, Fischer, Schily und Clement. Statt dessen kritzeln Ute Vogt (aus dem Hause Schily) und Hans Martin Bury (aus dem Hause Fischer) mit wichtiger Miene auf Papiere, die sie in schwarzen Mappen vor sich liegen haben. Von zu viel Bürokratie spricht Frau Merkel in diesem Moment.

Die CDU-Chefin räkelt sich dieser Tage in Wohligkeit. Sie hat sich und Stoiber beim Kanzler eingeladen, hat die Regierung vor sich hergetrieben, die nun darum bemüht sein muss, mit schlechten Karten wieder in die Vorhand zu kommen. Mit einer Regierungserklärung will Schröder das bewerkstelligen, doch bei der Frage, was er darin sagen soll, muss er eine Vielzahl von taktischen wie inhaltlichen Bedenken berücksichtigen: Geld ist sowieso keines da.

Mit Nonchalance in die Konfusion

Auch gibt es praktisch nichts, was ohne Zustimmung des Bundesrates zu machen ist. Und wenn es so etwas gäbe, müsste man für die Frage gewappnet sein, weshalb es nicht schon früher versucht wurde. Auch die vielen Arbeitsgruppen, die Parteichef Franz Müntefering in der SPD zu jedem nur denkbaren Thema eingerichtet hat, dürfen natürlich nicht den Eindruck bekommen, ihre Arbeit sei schon obsolet, bevor sie begonnen hat.

Es ist, als habe der Philosoph Jean-Jacques Rousseau schon 1762 den Kanzler Schröder vor Augen gehabt, als er schrieb: "Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten. Der eine dünkt sich Herr der anderen und ist doch mehr Sklave als jene. Wie ist dieser Wandel zustande gekommen?"

Ausgerechnet der Kanzler selbst hatte am Mittwochabend mit einer gewissen Nonchalance zur allgemeinen Konfusion beigetragen. Bevor Schröder in Hannover die Cebit eröffnete, war bereits sein Redetext verbreitet worden, in dem von neuen wachstumsfördernden Maßnahmen zu lesen war.

Zu kleinteilig

Nur in der Rede selbst sprach er dann nicht mehr davon, als sei ihm diese Passage zwischen Berlin und Hannover aus der Aktentasche geflutscht. Zur Erklärung hieß es am Tag danach, dem Kanzler sei diese innenpolitische Bemerkung angesichts der Vielzahl internationaler Zuhörer irgendwie "zu kleinteilig" gewesen.

Schon seit Beginn dieser Berliner Parlamentswoche sind bei den Genossen alle Zeichen von Nervosität, Bestürzung und offener Ratlosigkeit auszumachen. Ein erster Warnschuss löste sich am Dienstag, als ein Großteil der Fraktion den Aufstand gegen "den Franz" probte.

Die Abgeordneten ließen Reinhold Robbe, Münteferings Kandidaten für den Posten des Wehrbeauftragten, bei einer internen Fraktionsabstimmung nicht nur im ersten Wahlgang glatt durchfallen. Selbst im zweiten reichte es nur knapp, und auch nur, weil ein paar Robbe-Freunde, die sich bereits entfernt hatten, eilig zurückbeordert wurden.

Die Kollision der Koalition der Konfusion

Die Dissidenten mochten Robbe nicht, schon wahr. Aber wirklich treffen wollten manche von ihnen offenkundig Müntefering, der ihnen diese Personalentscheidung eigenmächtig vorgesetzt hatte.

Am Tag darauf, im Kabinett, schimpfte Innenminister Otto Schily nicht nur über das rot-grüne Antidiskriminierungsgesetz und über durchgesickerte Informationen aus der Ministerrunde.

Er verstieg sich auch zu dem Hinweis, auf derlei Vertrauensbrüche stehe Gefängnis, was prompt wieder weitererzählt wurde - Haftandrohung hin, die Erfahrung her, dass es um so desolater um die Regierung stehen muss, je mehr aus dem Kabinett zu hören ist.

Panik an Rhein und Ruhr

Hart zur Sache ging es in den internen Runden der SPD-Landesgruppen, zum Beispiel bei den Niedersachsen, die nur noch den Kopf schüttelten ob der Panik, die vor allem ihre wahlkämpfenden Parteifreunde an Rhein und Ruhr offenbar ergriffen hat.

Ein altes Bild Münteferings machte die Runde, geradezu defätistisch aufbereitet: Abgeschlagen hätten sie zurückgelegen hinter den Schwarzen in Nordrhein-Westfalen, auf 90 von 100 seien sie schon wieder rangekommen. Nun aber lägen sie wieder zurück - bei 80 Metern.

So gereizt war die Stimmung, dass der Chef-Sozi aus dem Pott, Nordrhein-Westfalens Arbeitsminister Harald Schartau, in aller Schlichtheit ein "Arschloch" geschimpft wurde, weil er als erster die Verbindungslinie zog zwischen den fünf Millionen Arbeitslosen und den angeblich zu Hunderttausenden schwarzarbeitenden ukrainischen Visa-Schwindlern.

Hart, aber realistisch

Als ob nicht die Union diese Chance ergriffen hätte zur Vermischung einer aktuellen Affäre mit dem Dauerskandal Beschäftigungspolitik.

Da mag Franz Müntefering sich im Bundestag die fünf Millionen Arbeitslosen schön reden als die Summe aus dem, was Helmut Kohl hinterlassen hat, und dem, was die neue Ehrlichkeit in der Statistik addiert. In Wahrheit haben die Nürnberger Zahlen die Sozialdemokraten genauso schockiert wie den Rest der Republik.

Immer mehr komme er zu der Einsicht, konstatiert einer, der durchaus etwas zu sagen hat in dieser Koalition, dass die Politik die Arbeitslosigkeit "nur in geringem Umfang" bekämpfen könne. "Eigentlich müssen wir sagen, Leute, tut uns leid, wir können es nicht." Womit er weniger die Koalition als die Politik überhaupt meint. Das ist hart, vielleicht aber nur realistisch.

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