Bundesparteitag:Traumatherapie, Hochamt, Werbesendung

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Die Stimmung bei der SPD war schon mal besser. Dann spricht Martin Schulz und die Delegierten applaudieren, als hätte er schon gewonnen. Da geht noch was.

Von Christoph Hickmann

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(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Auf dem Bundesparteitag in Dortmund zeigt SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz (zwischen Andrea Nahles, l., und Manuela Schwesig): Er ist noch da. Und er ist nicht allein.

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(Foto: Jonas Güttler/dpa)

Schulz umarmt Altkanzler Gerhard Schröder nach dessen Rede in der Westfalenhalle.

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(Foto: Guido Kirchner/dpa)

Die Aussprache zum Wahlprogramm verläuft größtenteils äußerst friedfertig - es wird einstimmig beschlossen.

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(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Schröders Auftritt ist ein Dienst an Schulz und an der SPD. Er hätte wohl lieber Gabriel als Kanzlerkandidaten gehabt. Aber er stellt sich jetzt hinter Schulz, auch weil der den unbedingten Willen zur Macht habe.

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(Foto: Jonas Güttler/dpa)

Nach der Rede von Martin Schulz stehen die Genossen auf und beklatschen den Mann da vorn, als hätte er gerade den vorgezogenen Wahlsieg verkündet.

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(Foto: Jonas Güttler/dpa)

Sie hören gar nicht mehr auf mit dem Applaus. Und natürlich weiß jeder Delegierte, was von ihm erwartet wird: die Produktion schöner, harmonischer Bilder für die Fernsehnachrichten.

In einer Parteitagsrede haben Fremdwörter ungefähr so viel zu suchen wie eine Portion Lebertran im gedeckten Apfelkuchen. Martin Schulz verwendet trotzdem welche. Er fängt sogar damit an.

Gleich zu Beginn seiner Rede kündigt er den Delegierten an, er wolle ihnen "die Geschichte von der asymmetrischen Demobilisierung" erzählen - von jener Strategie also, mit der Angela Merkel bereits die Wahlkämpfe 2009 und 2013 bestritten habe und mit der sie ihren Platz im Kanzleramt auch diesmal verteidigen wolle: "Sagen Sie nichts. Nehmen Sie zu nichts Stellung. Beziehen Sie keine konkrete Position", so beschreibt Schulz das Vorgehen der Kanzlerin, deren Ansinnen es sei, möglichst viele Bürger vom Wählen abzuhalten und selbst von der niedrigen Wahlbeteiligung zu profitieren. Dann ruft er: "Ich nenne das einen Anschlag auf die Demokratie!" Und damit ist der Auftakt schon mal geglückt. Der Saal ist wach, trotz der Akkumulation von Fremdwörtern.

Es ist Sonntagmittag, als Schulz sich in der Dortmunder Westfalenhalle einer Aufgabe stellt, an der er eigentlich scheitern muss. Ein paar Stunden nur dauert dieser SPD-Bundesparteitag, dessen einziger wirklich relevanter Programmpunkt aus der Rede des Kanzlerkandidaten besteht. Die letzten Meinungsverschiedenheiten über Spiegelstriche im Wahlprogramm hat der Parteivorstand am Tag zuvor eingeebnet, sodass nun die Sozialdemokratie hier in der Halle, da draußen im Land und, so dürfte sich das für Schulz anfühlen, mindestens noch im Rest der Welt auf dieses Rednerpult und den Mann dahinter blickt. Erwartet wird von ihm etwas, wofür der leicht abgenudelte Begriff der politischen Ruck-Rede nicht ganz reicht. Was Schulz hier abliefern muss, ist eine Mischung aus Motivationsseminar, Traumatherapie, Hochamt und Dauerwerbesendung - und das ausgerechnet in Dortmund.

Als man im Willy-Brandt-Haus den Ort für diesen Parteitag auswählte, ging man noch davon aus, dass Hannelore Kraft die nordrhein-westfälische Landtagswahl gewinnen würde. Stattdessen kommt man hier nun in jenem vermeintlichen Stammland der Sozialdemokratie zusammen, das man kürzlich an einen Mann namens Armin Laschet verloren hat. Und ausgerechnet hier soll nun die Wende gelingen.

Nach der Attacke auf Merkel schaltet Schulz erst einmal runter

Drei Monate sind es noch bis zur Wahl, demnächst verabschieden sich Politik und Bürger in die Sommerferien, an die sich wiederum die letzte, entscheidende Phase des Wahlkampfs anschließen wird. Deshalb geht es nun darum, dieser ohnehin zu periodischen Stimmungsschwankungen neigenden und nach der demoskopischen Abwärtsbewegung der vergangenen Wochen wieder einmal tief verunsicherten Partei noch einmal so etwas wie Mut zu vermitteln - und den Glauben daran, dass die Sache, Merkel hin, Seehofer her, noch nicht gelaufen ist. Dass es sich trotz der mittlerweile wieder gewohnt mickrigen Umfragewerte lohnen könnte, in den letzten Wochen noch einmal alles zu geben. Vor allem aber muss Martin Schulz die Genossen davon überzeugen, dass er selbst diesen Glauben noch nicht verloren hat.

So viel zur Erwartungshaltung. Doch nach der Attacke auf Merkel schaltet Schulz erst einmal runter - schließlich soll bei diesem Parteitag das "Regierungsprogramm" beschlossen werden. Also muss Schulz auch über das Programm reden - und über jene drei "Grundfragen", die er identifiziert hat: Erstens gehe es darum, "wie wir technologischen und wirtschaftlichen Fortschritt gestalten". Zweitens gehe es darum, "wie wir Sicherheit im Wandel schaffen und zugleich für Gerechtigkeit sorgen". Drittens sei die Frage, "wie wir das demokratische Europa stärken". Fremdwörter sind da zwar nicht enthalten - aber eben auch nichts, was die Genossen in jene leichte Form der Raserei versetzten würde, die es für eine Aufholjagd in den letzten drei Monaten bis zur Wahl bräuchte.

Vor drei Monaten, im März, hat Schulz zuletzt vor einem SPD-Bundesparteitag gestanden. Es waren die Wochen des Rauschs nach seiner Nominierung, damals genügte ihm eine Standardrede, um mit einem Ergebnis von 100 Prozent zum Parteivorsitzenden gewählt zu werden. Diesmal muss es etwas mehr sein. Doch Schulz will sich offenbar weder vorwerfen lassen, zu unkonkret zu sein - noch soll man ihm nachsagen können, er habe irgendeinen relevanten Politikbereich ausgelassen. Er bringt so ziemlich alles unter, was die SPD in diesem Wahljahr vertritt - was zwar, wie man mittlerweile so sagt, eine einigermaßen schlüssige Erzählung ergibt. Aber eben auch seine Längen hat.

Schulz redet über die "erste große Herausforderung unserer Zeit" (die Digitalisierung), über Investitionen in Schulen und Respekt vor der "Lebensleistung" von Menschen. Aber richtig lauten Applaus bekommt er erst, als er den türkischen Präsidenten Erdoğan angreift und ihn auffordert, in der Türkei inhaftierte Journalisten "am besten noch heute" freizugeben. Da stehen sie im Saal geschlossen auf.

Ein bisschen ist es doch wieder so wie damals, im März, am Tag der 100 Prozent

Es bleibt das Muster dieses Auftritts: Begeisterung erzeugt Schulz, wenn er die politischen Gegner attackiert - etwa als er die AfD eine "NPD light" nennt, die man aus dem Bundestag heraushalten wolle. Laut wird es auch, als er erklärt, keinen Koalitionsvertrag zu unterschreiben, in dem nicht die Ehe für alle enthalten sei. Als Schulz den "irrlichternden Präsidenten" Donald Trump angreift. Und als er sich gegen das Zweiprozentziel der Nato wendet. So ist das mit Programmen: Es braucht endlos Zeit und Mühe, sie auszuarbeiten. Aber Wahlkampf funktioniert über Abgrenzung, Polarisierung - zumindest wenn man einen Rückstand aufholen will.

Nach gut 50 Minuten zieht Schulz ("Mann, ist das heiß hier!") sein Sakko aus, nach einer Stunde und 20 Minuten kommt er zum Ende - wobei sein Finale zu den stärksten Teilen dieser Rede gehört. Da leitet er sein Plädoyer für ein starkes, geeintes Europa aus seiner politischen Biografie her. "Ich bin überzeugt von dieser Idee. Für diese Idee brauche ich keine taktischen Berater oder Meinungsforscher, für diese Idee brauche ich keine Spin-Doktoren", sagt Schulz. "Für diese Idee habe ich mein ganzes Leben gekämpft." Und für diese Idee wolle er "Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werden".

Es ist eine solide Rede gewesen. Eigentlich war es sogar eine gute Rede - nur hat Schulz sie so ähnlich eben schon ein paar Mal gehalten. Ja, es gibt neue Passagen - aber ist das der große Wurf, von dem vorher alle gesagt haben, dass man ihn jetzt brauche? Eher nicht. Aber vielleicht ist der doch nicht zwingend notwendig.

Denn als Schulz fertig ist, da stehen die Genossen trotzdem auf und beklatschen den Mann da vorn, als hätte er gerade den vorgezogenen Wahlsieg verkündet. "Martin, Martin!", rufen sie - und ein bisschen ist es doch wieder so wie damals, im März, am Tag der 100 Prozent. Sie hören gar nicht mehr auf mit dem Applaus. Und natürlich weiß jeder Delegierte, was von ihm erwartet wird: die Produktion schöner, harmonischer Bilder für die Fernsehnachrichten. Einerseits. Andererseits ist diese Partei offenbar noch dazu bereit und in der Lage, sich an sich selbst zu begeistern. Und sie ist für ihre Verhältnisse bemerkenswert geschlossen - was dazu führt, dass auch die Aussprache zum Wahlprogramm größtenteils äußerst friedfertig verläuft. Wer weiß also, wozu die SPD bis September noch in der Lage ist. Trotz allem.

© SZ vom 26.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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