Fortsetzung der Bundesliga:Der Fußball nutzt geschickt die Kraft der Lobby

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Auf den Rängen der Münchner Arena wird in den kommenden Wochen kein Fan zu sehen sein - aber auf dem Rasen wird gespielt. (Foto: imago images / ULMER Pressebilda)

Es wäre billig, mit dem Finger auf die Bundesliga zu zeigen. Ihre Vertreter ergreifen nur die Chancen, die die Gesellschaft ihnen gibt - davon können andere Interessengruppen lernen.

Kommentar von Detlef Esslinger

Was wohl verrät dieser Hinweis: Menschenkenntnis oder nur die übliche Selbstüberschätzung? Viele Fußballklubs bieten in ihren Fanshops neuerdings Masken an. Der FC Bayern schreibt ausdrücklich: "Abgabe nur in haushaltsüblichen Mengen." Es gibt Fragen, die mindestens so interessant sind wie die nach Spielergebnissen: Interessieren sich die Leute weiter so bedingungslos für Fußball wie bis Anfang März? Sind demnach Bayern-Masken (8,95 Euro das Stück) nun das neue Klopapier; sodass man sie lieber gleich rationiert? Oder sind viele derer, für die ihr Verein bisher das Zentrum allen Lebens war, zuletzt doch ins Grübeln gekommen?

Die Geisterspiele werden ja nicht für sie gemacht. Was sollen ein 2:1 in der 96. Minute, ein Aufstieg oder eine Meisterschaft, wenn man das alles nicht beschreien und hinterher betrinken kann? Die Geisterspiele haben einen einzigen Zweck: Sie sollen den Klubs das Fernsehgeld bringen, das sie brauchen, um Spieler zu bezahlen, die es nicht brauchen.

Eigentlich mag man in Deutschland großen Reichtum nicht; Neid ist der Gesellschaft alles andere als fremd. Nur beim Fußball akzeptierte sie bisher die Umverteilung von Volkseinkommen von unten nach oben nicht nur klaglos - sondern machte auch noch begeistert mit. Das "Spielertrikot Auswärts" für 129,95 Euro (von Eintracht Frankfurt, beispielsweise) selbst dann, wenn man es sich letztlich vom Mund absparen muss: bis Anfang März nie ein Thema. Aber jetzt fällt halt doch auf, dass viele Eintracht- oder Bayern-Fans mit 60 Prozent Kurzarbeitergeld klarkommen müssen. Während für viele Spieler indes selbst eine 60-prozentige Einbuße (die nirgendwo ansteht) hieße, dass es für den zweiten Ferrari vorläufig noch reicht.

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Die Geisterspiele machen die Blase besonders sichtbar, in der sich der Profi-Fußball eingerichtet hat. Dennoch, es wäre billig, mit dem Finger auf ihn zu zeigen. Im Grunde haben seine Vertreter nur die Chancen genutzt, die die Gesellschaft ihnen gibt. Fast jeder macht dies oder versucht es. Das Problem ist, dass diese Chancen so unterschiedlich verteilt sind. Bundesligisten haben eine Durchsetzungsmacht, die Barbetreiber und Ausflugskapitäne nicht haben, von Pflegerinnen und Schlachtarbeitern gar nicht zu reden. Deswegen bleiben Bars vernünftigerweise zu, während Fußball mit Freistoßmauern unvernünftigerweise wieder erlaubt wird; vor dem Körperkontakt bei Letzterem hat der Teamarzt von Hoffenheim gewarnt. Mit dem Durchsetzen taten sich schon immer diejenigen leichter, die gut organisiert sind, die richtigen Kontakte und am besten auch eine Story haben, die alle interessiert. Trifft alles zu für die Bundesliga und die DFL, ihren Lobbyverein.

Die ideale Welt wird auch nach der übernächsten Corona-Krise kaum kommen

Das Virus hatte die Welt mit einem Mal zum Halten gebracht. Derzeit ist die Situation in einer Hinsicht ähnlich wie im September 2015. Damals kamen Flüchtlinge am Münchner Hauptbahnhof an und wurden klatschend empfangen; dass die Stimmung sich drehen würde, war aber absehbar. Auch nun deuten nicht nur Öffnungsdiskussions-, sondern auch Verschwörungstheorieorgien an, dass die Phase zu Ende geht, in der alle nur gut und solidarisch sein wollen. Der Göttinger Soziologe Berthold Vogel bezweifelt, dass solch eine Krise Menschen dazu führt, sich grundsätzlich neu zu sortieren. Er fragt: "Gibt es hierfür historisch irgendeinen Beleg?"

In einer idealen Welt würde auf Klimaforscher ebenso gehört wie neuerdings auf Virologen. In ihr würden Fußballer jetzt auf 90 Prozent ihres Gehalts verzichten und in einem Jahr den Meister einer Saison 2019/21 ermitteln. In einer idealen Welt würden die Menschen erkennen, "dass all unsere Art des Lebens auf Grundvoraussetzungen ruht", wie der Soziologe Vogel sagt, "auf der Versorgung der Kranken, der Bildung, der kulturellen Erweiterung unserer Horizonte". Deshalb gäbe es in jener Welt mehr und besser entlohnte Pflegekräfte auf den Stationen und auch kein Billigfleisch, das durch die Ausbeutung rumänischer Arbeiter bezahlt wird; ein Umstand, der lange bekannt ist und den Angela Merkel jetzt "erschreckend" nennt.

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Die ideale Welt wird auch nach der übernächsten Corona-Krise kaum kommen. Indem man aber die Chancen der realen Welt nutzt, kann man sich ihr meterweise nähern. Die Pflegekräfte dürfen nun zwar auf einen Bonus hoffen. Systematisch verbessern werden sich ihre Arbeitsbedingungen jedoch erst, wenn sie sich in ihrer Mehrheit in einer Gewerkschaft organisieren, einer eigenen Lobby also. Weil Metall-, Chemie- und Stahlarbeiter dies seit Langem tun, geht es ihnen so gut. Wo Arbeitnehmern dies nicht möglich ist - wie soll man Rumänen für eine deutsche Gewerkschaft begeistern? -, kann man immer noch die Gunst des Augenblicks nutzen: Jetzt, da fast alle Angst vor Corona haben, interessieren sie sich für die Story der Arbeiter, die so "erschreckend" eng untergebracht sind. Jetzt will der Arbeitsminister die Werkverträge verbieten, die die Basis dieser Art von Ausbeutung bilden.

Wenn ein solches Verbot jetzt nicht durchzusetzen ist: wann dann? Fleisch würde dann wohl teurer - so wie auch Pflege teurer würde, wenn eine Altenpflegerin so viel erhielte wie ein Maschinenführer. Für viele Bürger wäre dies die nächste Umstellung: Sie müssten als Konsumenten bereit sein, die Preise zu bezahlen, die sie als Arbeitnehmer für angemessen halten. Sie hätten dann womöglich nicht mehr so viel Geld, um auf Verdacht jeden Krimskrams bestellen zu können. Noch sind die Gewohnheiten aber so, dass Borussia Dortmund in seinem Online-Shop, bei den Masken, zwar nichts über handelsübliche Mengen schreibt; vorsorglich aber dies: "Eine Retoure ist nicht möglich."

Viele in dieser Gesellschaft dürften in die Krise nicht anders hineingegangen sein wie Bundesliga-Manager auch: erst mal durchwursteln, und dann hoffentlich wieder weiter so. Wäre schade, wenn dies exakt so gelänge.

© SZ vom 16.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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