Bundeskanzlerin Merkel in Polen:Pragmatismus ist gegenüber Polen nicht genug

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Angela Merkel reist heute nach Warschau. Sie trifft dort den Vorsitzenden der PiS und heimlichen Herrscher Polens, Jarosław Kaczyński. (Foto: Reuters/AP)

Die Bundesregierung sollte nicht zusehen, wie das Land mit dem starken Mann Kaczyński immer weiter abdriftet von gemeinsamen demokratischen Standards.

Kommentar von Florian Hassel

Es ist ein stilles Krisentreffen, zu dem Bundeskanzlerin Angela Merkel nun nach Warschau fährt. Seitdem dort die nationalkonservative Regierung unter ihrem faktischen Chef Jarosław Kaczyński amtiert, mied Polens eigentlicher Herrscher jeden Kontakt zu Deutschland. Jetzt aber sucht der Chef der Regierungspartei PiS ihn sogar - ein von Kaczyński angebotenes Treffen mit Merkel im Warschauer Hotel Bristol ist der bedeutsamste Termin ihrer Visite.

Es ist kein Anfall plötzlicher Sympathie, Kaczyński gehorcht vielmehr der Not: Polen fehlen die Bündnisgenossen. Der Plan, Polen außenpolitisch neu auszurichten und England zum Hauptpartner zu machen, war von Beginn an unrealistisch - mit dem Brexit ist er gescheitert.

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Der polnische Politiker denkt laut über eine Aufrüstung nach. Vor Merkels Besuch in Warschau sagt Kaczyński, Merkel sei die "absolute Nummer eins der EU". Positiv meint er das nicht.

Nicht besser steht es um Warschaus Wunsch, sich als größtes Land Mitteleuropas zur regionalen Vormacht aufzuschwingen. Und auch das Kalkül ging nicht auf, sich im Zweifelsfall auf Washington zu verlassen, erst recht nicht, seit dort Donald Trump regiert. Der US-Präsident ist kein großer Freund der Nato und will das Verhältnis zu Wladimir Putin verbessern. Allein das lässt in Warschau die Alarmglocken schrillen.

Kaczyński schätzt die EU vor allem als Zahlmeister

Da erscheint die Bundeskanzlerin geradezu als Sachwalterin polnischer Interessen, wenn sie dafür eintritt, die Sanktionen gegen Moskau nicht zu beenden. Zudem gibt es im deutsch-polnischen Verhältnis eigentlich keine großen Konflikte. In der Wirtschaft läuft es sogar hervorragend, der Handel zwischen Berlin und Warschau hat 2016 wahrscheinlich erstmals die Schwelle von 100 Milliarden Euro geknackt. Und die Entwicklung dürfte so weitergehen, wenn Polen die höhere Besteuerung ausländischer Handelsketten nicht ausdehnt zur generellen Diskriminierung ausländischer Firmen.

Den Titel Krisentreffen verdient Merkels Visite trotzdem, weil beide Seiten sie ausdrücklich Europa widmen. Die Kanzlerin möchte die EU zumindest stabilisieren und möglichst stärken angesichts der Migrationskrise und anderer Probleme, die Europas Mängel unübersehbar machen. Kaczyński dagegen will ungestört den Aufbau seiner nationalkonservativen, pseudoautoritären Herrschaft vorantreiben - ungestört auch von der EU. Die schätzt er nur als Wirtschaftsverein und Zahlmeister. Mit gutem Grund: Polen profitiert mit rund 14 Milliarden Euro netto jährlich so stark von Transfers aus Brüssel wie kein anderes EU-Land.

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Kaczyński wird der Kanzlerin dennoch eine Änderung der EU-Verträge vorschlagen und "mehr Mitsprache für nationale Parlamente" - sprich: ein Vetorecht für Polens Parlament gegen EU-Entscheidungen. Geht es nach dem Polen, sollen die Kompetenzen der EU-Kommission nicht gestärkt, sondern geschwächt werden.

Offiziell und öffentlich reagiert die Kanzlerin nicht auf die Rechtsbrüche

Solche Forderungen sind vor allem Taktik. Dass eine Aufweichung der EU-Verträge mit Deutschland nicht zu machen ist, das ließ die Kanzlerin schon klarmachen. Warschaus Vorstoß folgt also dem Motto: Wir fordern etwas Unrealistisches, geben uns dann, anscheinend zähneknirschend, mit dem Status quo zufrieden. Im Gegenzug lässt man uns dafür in Ruhe. Etwa bei dem Rechtsstaatsverfahren mit Brüssel: Bis zum 21. Februar muss die Regierung in Warschau der EU-Kommission erklären, wie sie ihre Rechtsbrüche gegenüber Polens Verfassungsgericht zurücknehmen will. Schon heißt es aus Polens Regierung: Gar nicht. Angeblich gibt es mit dem Verfassungsgericht keine Probleme mehr. Das trifft insofern zu, als die Regierung das Gericht durch rechtswidrige Gesetze und Entscheidungen unter ihre Kontrolle gebracht hat. Weitere fragwürdige Initiativen liegen auf dem Tisch.

Wie reagiert die Kanzlerin, wie reagiert Deutschland auf all dies? Offiziell und öffentlich überhaupt nicht. Das überlässt Berlin der EU-Kommission, wohlwissend, dass deutsche Mahnungen im von Deutschen einst so geschundenen Polen nur Öl ins Feuer gießen. Wie lange aber kann der wichtigste Mitgliedsstaat der EU schweigen, wenn sein Nachbarland demokratische Grundsätze, auf denen die EU aufbaut, systematisch demontiert und sich dabei jede Einmischung aus Brüssel verbittet?

Sicher, auf einer Arbeitsebene könnten Deutsche und Polen auch unter einer faktischen Kaczyński-Regierung jahrelang so weitermachen. Es wäre eine adaptierte Neuauflage pragmatischer deutscher Ostpolitik. Nur diesmal nicht gegenüber einem kommunistischen Regime, sondern gegenüber dem wichtigsten Mitgliedsstaat der EU in Zentral- und Osteuropa, der abdriftet von gemeinsamen demokratischen Standards. Langfristig tut Deutschland damit niemandem einen Gefallen - sich selbst nicht, den Polen nicht, und erst recht nicht der Idee eines demokratischen Europa.

© SZ vom 07.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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