Kanzlerin zur Europapolitik:Merkel will Europas Wirtschaft ankurbeln

Die Kanzlerin gibt den Ton für den EU-Gipfel vor: Die EU-Länder sollten auf ihrem Treffen in Brüssel den Fokus auf Wachstum und Beschäftigung legen, sagt Angela Merkel im SZ-Interview. Schuldenabbau und Haushaltsdisziplin allein reichten nicht aus. Die Konjunkturprogramme will Merkel aus EU-Fonds bezahlen.

Stefan Kornelius

Europa soll sich nach dem Willen von Bundeskanzlerin Angela Merkel mehr um Arbeitsplätze und die Konjunktur kümmern. Schuldenabbau und Haushaltsdisziplin reichten nicht aus, es gehe jetzt um Wachstum und Beschäftigung, sagte Merkel in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung und anderen europäischen Tageszeitungen.

Interview Angela Merkel

Angela Merkel während des Interviews mit der SZ und anderen europäischen Medien in ihrem Arbeitszimmer im Bundeskanzleramt.

(Foto: Thomas Koehler/photothek.net)

Die Kanzlerin beharrte in dem Gespräch außerdem darauf, dass sich die Schuldenländer stärker reformieren müssten. "Es macht keinen Sinn, wenn wir immer mehr Geld versprechen, aber die Ursachen der Krise nicht bekämpfen", so Merkel. Sie reagierte damit auf Forderungen besonders aus Italien und vom Internationalen Währungsfonds, wonach Deutschland mehr Solidarität zeigen und den Rettungsfonds aufstocken müsse. "Wir sind solidarisch, dürfen aber auch die Eigenverantwortung nicht vergessen", entgegnete Merkel, die sich in den vergangenen Monaten selten so ausführlich in einem Interview zur Eurokrise geäußert hatte.

In dem Gespräch gab Merkel den Ton für den nächsten EU-Gipfel am kommenden Montag vor: Arbeitsplätze und Wachstum sollen jetzt in den Mittelpunkt der europäischen Krisenpolitik rücken. Dazu stellte Merkel Geld für europäische Konjunkturprogramme in Aussicht. Die Haushaltstöpfe der EU sollten nach nicht abgerufenen Mitteln durchforstet werden. Andererseits könne die Konjunktur auch ohne Finanzhilfen etwa durch Reformen am Arbeitsmarkt stimuliert werden, so Merkel.

Merkel fordert flexibleres Arbeitsrecht

Die Konjunkturprogramme sollen nach der Vorstellung Merkels aus den EU-Struktur- und Kohäsionsfonds bezahlt werden. Diese Fonds sind Teil des EU-Haushalts bis 2013 und summieren sich auf etwa 350 Milliarden Euro. Fast 72,9 Prozent der Mittel sind noch nicht ausgegeben. Merkel sagte, das Geld könne für Mittelständler, Existenzgründer oder die Forschung zur Verfügung gestellt werden. "Deutschland ist bereit, für diese sinnvollen Zwecke die Strukturfonds einzusetzen", so Merkel.

Merkel will außerdem die EU-Partner zu einschneidenden Reformen an ihrem Arbeitsmarkt animieren. Das Arbeitsrecht müsse flexibilisiert werden, gerade zugunsten junger Leute. Außerdem forderte sie die Öffnung von Berufsgruppen, mehr Dienstleistungen und Privatisierungen.

Den Begriff "Vereinigten Staaten von Europa" lehnte Merkel erneut ab. Vielmehr strebe sie eine politische Union an, in der sich die Staaten Schritt für Schritt in allen Bereichen der Politik annäherten, sagte die Kanzlerin. Im Laufe dieses Prozesses würde die Kommission mehr Kompetenzen erhalten und wie eine Regierung funktionieren, während der Rat der Regierungschefs als eine Art zweite Kammer funktionierte - "in einiger Zukunft nach vielen Zwischenschritten".

"Die alten Stereotypen können wir begraben"

Die Kanzlerin nutze das Interview für die Zeitungen aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Polen und Spanien, um über die Stärke Deutschlands zu reden. Sie nehme die Sorgen über ein dominantes Deutschland ernst, "aber sie sind unbegründet".

Gleichzeitig warnte sie vor Stereotypen und betonte, Europa habe sich gerade durch die Überwindung von Vorurteilen ausgezeichnet. "Die alten Stereotypen können wir begraben", so Merkel. Europa nannte sie "unser Glück". Merkel wörtlich: "Das ist mein Kontinent", das freie Europa sei immer ihr "Traum" gewesen. Allerdings würden Gefühle alleine nicht ausreichen, um den Menschen Wohlstand und Arbeit zu geben.

"Eurobonds sind keine Lösung"

Höhere Zahlungen Deutschlands für den europäischen Rettungsschirm lehnte Merkel erneut ab und verlangte stattdessen weiter Reformen in den Schuldenländern.

Allerdings stelle sie den Euro-Ländern weiter Deutschlands Solidarität in Aussicht. Derzeit sei allerdings "eine gute Balance von Solidarität und Eigenverantwortung" erreicht. Auf die Frage nach ihrer Vorstellung von Solidarität sagte sie vieldeutig, dass sie den europäischen Partnern helfen wolle, "dass auch sie alle Anstrengungen unternehmen, um ihre Lage zu verbessern".

Merkel machte deutlich, dass sie nicht von den europäischen Verträgen abweichen werde, wonach "kein Land für die Schulden des anderen aufkommen darf". Außerdem warnte sie davor, dass Deutschland "am Ende nicht die Kraft ausgehen" dürfe, "denn unendlich sind unsere Möglichkeiten nicht". Ebenfalls lehnte die Kanzlerin eine höhere Gemeinschaftshaftung ab und sagte, "für die augenblickliche Krise sind Eurobonds keine Lösung". Mehr gemeinschaftliche Haftung sei erst möglich, wenn Europa stärker integriert sei, etwa wenn der Europäische Gerichtshof die nationalen Haushalte kontrolliere.

Probleme ungeschönt ansprechen

In diesem Sinn verlangt die Kanzlerin eine harte Ausgestaltung des Fiskalpakts, der gerade verhandelt wird. "Wenn man sich hundert Mal Schuldenabbau versprochen hat, dann muss das auch eingeklagt werden können", so Merkel. Deswegen müssten die europäischen Institutionen mehr Kontrollrechte bekommen.

Merkel warb mehrfach um Verständnis für ihre harte Haltung und sagte, man habe in Europa eine neue Qualität des Umgangs miteinander erreicht, "gleichsam eine europäische Innenpolitik". Da könne man nicht mehr nur diplomatisch miteinander umgehen, sondern müsse die Probleme ungeschönt ansprechen.

Die ausführliche Fassung des Interviews erscheint in der Donnerstags-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung. Geführt wurde es für die Zeitungen El País, Gazeta Wyborcza, The Guardian, La Stampa, Le Monde und Süddeutsche Zeitung. In diesen Zeitungen erscheint am Donnerstag eine umfassende Europa-Beilage, die in europäischer Kooperation entstanden ist.

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