Bundesinnenminister:Mittendrin und unsichtbar

Deutschland führt Grenzkontrollen ein

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in Berlin vor Journalisten. Der große Auftritt aber ist seines nicht.

(Foto: dpa)

Alle Welt ruft nach einem Krisenmanager. Doch Thomas de Maizière ist nicht wie Ursula von der Leyen. Der große Auftritt liegt ihm nicht.

Von Stefan Braun, Berlin

Ein kurzes "Hallo" muss reichen. Dann möchte der Innenminister auf seinen Platz verschwinden. Will sich vorbereiten; Unterlagen prüfen; mit seinen Beamten sprechen. Auf dem Rollfeld hat er minutenlang telefoniert, hat sich noch mal abgestimmt und abgesichert. Dann ist er aus dem Wagen gestiegen und hat so viele Papiere unter den Arm genommen, dass er nicht wie der Krisenmanager der Regierung, sondern doch wieder wie sein eigener Aktenträger aussieht. Nein, Thomas de Maizière wird sich auch in dieser größten seiner Krisen nicht ändern.

Die Akten sind sein Leben. Er schreitet nicht zur Maschine, streckt nicht die Brust raus, wie das Frank-Walter Steinmeier macht, wenn er mit großem Auftrag in die Welt aufbricht. Er hält einen Haufen Unterlagen in Händen. Auch das ist ein Bild, ist eine Geste. Nur eben keine große.

Der Innenminister ist auf dem Weg nach Brüssel. Er soll in einer Krisensitzung der Innen- und Justizminister für eine fairere Verteilung von Flüchtlingen in der EU streiten. Das ist kein Thema wie viele. Es steht im Zentrum einer sehr großen Krise. Einer Krise für die EU, für Deutschland und für de Maizière persönlich.

Der Bundesinnenminister verkörpert wenig Kraft und Richtung

Seit Tagen macht die Regierung den Eindruck, als stolpere sie eher von Beschluss zu Beschluss, als dass sie die Lage wirklich im Griff hätte. Das Land bräuchte einen Innenminister, der einen Plan hat und diesen auch nach außen mit Verve und Entschlossenheit verkörpert. Doch dann steigt Thomas de Maizière aus dem Wagen und der erste Blick fällt auf seine Akten. Wenn man nicht wüsste, dass er es ist, der gleich in Brüssel für Berlin streitet - man würde sein Geld eher nicht drauf verwetten.

Nun ist dieser kurze Augenblick nicht von großer Bedeutung. Aber er steht exemplarisch für das vorherrschende Gefühl, dass ausgerechnet der Bundesinnenminister, zuständig für Migration, Asyl und Flüchtlinge, in dieser Krise wenig präsent ist. Wenig Kraft und Richtung verkörpert. Die Kanzlerin, der Vizekanzler, Horst Seehofer - sie sind es, die die Medien bedienen, die Stimmungen prägen und die Debatten beherrschen. Der zuständige Minister dagegen wirkt wie verschwunden.

Dass das nicht stimmt, wissen alle, die seine Arbeit im Kabinett oder im Ministerium miterleben. Und auf dem Flug nach Brüssel bekommt man eine Ahnung davon, was ihn alles umtreibt. Dann erzählt er von den täglichen Schaltkonferenzen mit den Ländern, von den Krisensitzungen und Gesprächen, und von den ewig währenden Bemühungen, endlich die Verzögerungen bei den Asylentscheidungen in den Griff zu bekommen.

Immer hofft de Maizière auf die nächste Verhandlung

Dazu erfährt man von den Problemen, um die er sich bei dieser Mammutaufgabe eben auch kümmern soll: Wenn 1200 Flüchtlinge in München plötzlich verschwinden, weil sie woanders hin möchten; wenn Flüchtlinge in großer Zahl ihre Pässe verlieren, weil sie aus Syrien kommen wollen, aber aus Afghanistan stammen. Oder wenn eine Gruppe junger Männer Bundespolizisten mit Messern angreifen, weil sie einen Zug nach Leipzig oder Dortmund oder Hannover besteigen sollen. Jedes Mal, wenn de Maizière derlei Nachrichten erreichen, wird aus dem Flüchtlingsminister der Sicherheitsminister, den seine Beamten an die vielen Gefahren erinnern.

Plötzlich also verschiebt sich ein wenig das Bild vom untätigen Minister. Das aber kann nicht verdrängen, dass Wohlgesonnene ihn schon im Frühjahr 2014 warnten, er müsse dringend auf die drohende Flüchtlingskrise eine Antwort finden. De Maizière reagierte, aber er reagierte auf seine Weise. Er forderte in Brüssel hinter verschlossenen Türen mehr Kooperation und warb beim deutschen Finanzminister um mehr Stellen. Spätestens als das viel zu wenig einbrachte, hätte er Alarm schlagen müssen. Stattdessen hoffte er auf die nächste Verhandlung. Das war immer so und wird sich wohl auch jetzt nicht mehr ändern.

Stiller Ärger

Da kann die ganze Republik nach einem Krisenmanager, einem Sonderbeauftragten rufen, der das Heft in die Hand nimmt und sich nur noch um dieses eine Problem kümmert - de Maizière will und wird in diesem Leben keine Ursula von der Leyen mehr werden. Wie hätte sie sich in dieser Krise längst zur größten Krisenbewältigerin der Republik aufgeschwungen. Was hätte sie für Sonderpressekonferenzen gegeben, hätte jeden zweiten Tag den Helfern und den Flüchtlingen medienwirksam die Hand geschüttelt. Hätte der Opposition keinen Platz gelassen und selbst der Kanzlerin wenig Raum gegeben, um im Zentrum des Sturms nicht als Getriebene, sondern als Regieführerin zu erscheinen.

Bundesinnenminister: "Wir müssen, glaube ich, über Druckmittel reden", sagt Thomas de Maizière und meint damit die EU-Länder, die eine Quotenlösung für Flüchtlinge ablehnen.

"Wir müssen, glaube ich, über Druckmittel reden", sagt Thomas de Maizière und meint damit die EU-Länder, die eine Quotenlösung für Flüchtlinge ablehnen.

(Foto: John Thys/AFP)

De Maizière dagegen ärgert sich still über die massive Kritik, die über ihn hereinbricht - und hofft, dass die Menschen irgendwann sehen, was auch er derzeit bis zum Rande der Erschöpfung leistet. Dabei übersieht oder ignoriert er, dass sich inzwischen eine riesige Kluft zwischen seiner Wahrnehmung und der Wahrnehmung im Rest des Landes auftut. Er hält die Kritik, die auf ihn niederprasselt, für eine Last, die ein Innenminister in dieser Lage halt aushalten müsse. Er fühlt sich ungerecht behandelt, wenn andere behaupten, er hätte das Flüchtlingsproblem verschlafen.

Politik mit Empathie unterlegen - das kann er nicht

Vor allem aber merkt er nicht oder will es nicht wahrhaben, dass diese Krise mehr als alle Krisen vorher seine Schwäche als Politiker offenlegt: das mangelnde Gefühl für Emotionen. Ihm fehlt das Gespür dafür, wann nicht Ruhe und Gelassenheit und nüchterne Reaktionen gefragt sind (wie nach den Pariser Terroranschlägen), sondern Wärme und Leidenschaft, die sich auch in Auftritten, in Bildern, in Präsenz ausdrücken. Nicht selten sind sie es, die den Menschen das Gefühl vermitteln, hier handele einer angemessen.

Warum tut er das nicht? Die eine Antwort lautet, dass de Maizière große Auftritte, mächtige Warnrufe, lautstarke Appelle glatt verachtet, weil er sie für eine überflüssige Selbstdarstellung hält, die nur der Profilierung dient und ein Problem eher verkompliziert statt bei seiner Lösung zu helfen. Die andere Antwortet lautet: Weil er es nicht kann. Weil er nicht der Typ ist, Politik mit Hoffnung, Freude, Empathie zu unterlegen. Weil er auch deshalb oft kühl wirkt.

Hinzu kommt aber noch etwas anderes. Er hat in seinem Amt mehr als eine Rolle. Er ist nicht nur fürs Asyl zuständig, er ist auch der Sicherheitsminister. Er ist der Minister, der gegen Rechtsradikale kämpft, die Flüchtlingsheime angreifen. Und er wird jeden Tag überschüttet mit Mahnungen, Warnungen, Horrorszenarien seiner Sicherheitsexperten vor IS-Terroristen.

De Maizière will zufrieden sein

In dieser Dreifachaufgabe entschieden sich seine Vorgänger Otto Schily und Wolfgang Schäuble, den Kampf gegen den Terror zu ihrem Hauptthema zu machen. De Maizière wollte das nie und wirkt jetzt so, als sei ihm irgendwo zwischen Terror, Rechtsradikalismus und Flüchtlingen das Gefühl abhandengekommen, welches ihm wirklich das Wichtigste sein könnte.

Rückflug von Brüssel nach Berlin, spät in der Nacht. De Maizière will zufrieden sein. Er habe nicht die feste Quote bekommen, das sei ein "Wermutstropfen". Aber er habe, so glaubt er, einen Mehrheitsentscheid erzwungen. Damit werde die EU alsbald 160 000 Flüchtlinge unter ihren Mitgliedern aufteilen. Ein Erfolg sei das; Mehrheit sei Mehrheit. Am nächsten Morgen klingt das anders. Das Radio meldet, der Innenminister sei wieder einmal gescheitert.

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