Bundesbank ohne Sarrazin:Danke für einen Rückzug

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Alle müssen Sarrazin dankbar sein: Bundespräsident Wulff, Bundesbank-Chef Weber, Bundeskanzlerin Merkel. Der freiwillige Rückzug erspart Belastungsproben. Nun muss Deutschland nur noch den Umgang mit vermeintlichen Tabubrechern lernen.

Thorsten Denkler

Im Grunde müssten Bundespräsident Christian Wulff und Bundesbank-Chef Axel Weber jetzt umgehend ein mehrseitiges Dankesschreiben an Thilo Sarrazin senden. Unterschreiben sollten auch gleich die Kanzlerin sowie Vertreter aller Verfassungsorgane.

Thilo Sarrazin bei seinem ersten Auftritt als Lesereisender. (Foto: Getty Images)

Mit Sarrazins Entscheidung, freiwillig - wenn auch mutmaßlich gegen eine überaus großzügige Abfindung - den Vorstand der Bundesbank zu veranlassen, hat er das demokratische System vor einer unzumutbaren Belastungsprobe bewahrt.

Es ging um die Glaubwürdigkeit des noch nicht lange amtierenden Bundespräsidenten, der viel zu früh hat durchblicken lassen, dass ihm eine Entlassung Sarrazins aus der Bundesbank ganz genehm wäre. Es ging um die Stärke Axel Webers, für den es ein Makel gewesen wäre, nicht mit Sarrazin fertig geworden zu sein. Das hätte auch kaum bei seinem Bestreben geholfen, Chef der Europäischen Zentralbank zu werden. Es ging auch um die Unabhängigkeit der Bank, die sich plötzlich dem Druck der Politik ausgesetzt sah, Sarrazin zu entlassen.

Und es ging nicht zuletzt um die Frage, ob die Meinungsfreiheit in diesem Land mit zwangsweisem Jobverlust bestraft werden kann. Wenn ja, dann hätte dies zugleich einen tiefen Graben gerissen zwischen der Bevölkerung und der politischen Klasse. Viele Deutsche haben Sarrazin zu ihrem Helden erkoren, der in ihrem Namen vermeintliche Tabus in der Integrationsdebatte bricht.

Das politische System nimmt also keinen Schaden an der Causa Sarrazin. Aber einige Schrammen hat es doch abbekommen. Es wird Veränderungen geben müssen, wenn die überschäumenden Wogen um Sarrazin und sein Buch sich endlich gelegt haben.

Es muss geklärt werden, ob der Umgang mit dem Provokateur Sarrazin immer richtig war. Mit einem, der in Frankfurt auf SPD-Vorschlag hin für Geldpolitik angestellt war und nicht für Integrationspolitik. Erst durch die kollektive und hysterische Aufregung der politischen Klasse haben er und seine Thesen überhaupt diese Durchschlagkraft entwickeln können. Das Bundesbankgesetz wird geändert werden müssen, weil offensichtlich Regeln fehlen, ein Vorstandsmitglied ohne juristische Tricksereien entlassen zu können - aus welchen Gründen dann auch immer.

Und Christian Wulff wird endlich in seiner Rolle als Bundespräsident ankommen müssen. Er kann es sich nicht länger leisten, dass andere die Kohlen für ihn aus einem Feuer holen, in das er kräftig hineingepustet hat. Der CDU-Politiker ist mal eben schnell dabei, Joachim Löw das Bundesverdienstkreuz zu verleihen - im Fall Sarrazin hatte er seine liebe Mühe, Kurs zu halten.

Wenn es gutgeht, wird das Land lernen aus dieser Situation. Nicht so sehr viel über Integrationspolitik. Da ist selbst bei genauem Hinsehen nichts in Sarrazins Buch zu finden, was vorher nicht irgendwann schon mal gedacht wurde. Es ist nur ein thesensteiler Wälzer, rechtzeitig vor der Frankfurter Buchmesse erschienen.

Deutschland kann über sich selbst lernen, über seinen Umgang mit selbsternannten Tabubrechern. Den Anfang könnte jetzt die SPD machen und die Frage eines Parteiordnungsverfahrens souverän ad acta legen. Wenn nicht Thilo Sarrazin von sich aus entdeckt, dass er eigentlich eine andere politische Heimat hat.

Jetzt erklärt er erst einmal sein Buch in der ganzen Republik. Der nächste Bestseller kommt bestimmt.

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