Bundesamt für Justiz:Ausländerfeindliche Hetze im Internet nimmt dramatisch zu

Asylbewerberunterkünfte in Waltrop beschmiert

Die Urheber fremdenfeindlicher Schmierereien - hier an einer Aylbewerber-Unterkunft in Waltrop - sind schwer zu ermitteln.

(Foto: Maja Hitij/dpa)
  • Rechtsextreme und ausländerfeindliche Hetze im Internet hat im Jahr 2015 dramatisch zugenommen.
  • Fremdenfeindliche Hetz- und Hassdelikte haben dabei rechtsextreme Internetpropaganda überholt, denn Neonazi-Propaganda findet vorwiegend außerhalb des Netzes statt.
  • Die Zahl der Verurteilungen wegen rechtsextremer und fremdenfeindlicher Taten ist trotz mehr Ermittlungsverfahren kaum gestiegen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Beim Justizgipfel im Frühjahr hatten die Justizminister aus Bund und Ländern ein Defizit zu beklagen: Zwar erfasst das Bundesamt für Justiz schon seit 1992 Daten zu rechtsextremistischen und fremdenfeindlichen Straftaten - veröffentlicht wurden solche Statistiken bisher nicht. Das sollte sich ändern, beschlossen die Minister damals, und zwar deshalb, weil das bei Bundesanwaltschaft und Justizverwaltungen erhobene Datenmaterial einen präziseren Blick auf die Kriminalitätsentwicklung am rechten Rand ermöglicht als die allgemeine Kriminalitätsstatistik. Demnächst sollen die Zahlen, die nach bundesweit einheitlichen Kriterien erhoben wurden, erstmals veröffentlicht werden. Die Daten für das vergangene Jahr, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, bestätigen, was bereits vermutet wurde. Rechtsextreme und ausländerfeindliche Hetze im Internet hat dramatisch zugenommen.

Das zeigen mehrere Rubriken der Statistik: Die Zahl der Ermittlungsverfahren, die im Jahr 2015 wegen "Volksverhetzung" und "Gewaltdarstellungen" eingeleitet wurden, ist im Vergleich zu 2014 um 130 Prozent regelrecht nach oben geschnellt - auf insgesamt rund 5700 Verfahren. Dieser Anstieg geht in großem Umfang auf Hetze im Internet zurück: Die Zahl der "mittels Internet" begangenen Volksverhetzungen und Gewaltdarstellungen ist auf 2300 gestiegen; im Jahr davor waren es gerade einmal 500.

Auffallend dabei: Die fremdenfeindlichen Hetz- und Hassdelikte im Internet haben sogar die rechtsextreme Internetpropaganda überholt; die Ermittlungen wegen sogenannter Propagandadelikte haben zwar ebenfalls zugenommen, aber weniger stark. Neonazi-Propaganda, so zeigen die Zahlen, findet vorwiegend außerhalb des Netzes statt. Rund 13 500 Verfahren hat die Staatsanwaltschaft wegen Verwendung verfassungswidriger Symbole und rechtsextremer Propaganda eingeleitet, nur gut 1100 davon haben mit dem Internet zu tun.

Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 24 600 Ermittlungsverfahren eingeleitet

Nimmt man die Gesamtzahlen, dann bestätigt sich der Trend der Kriminalitätsstatistik vom Mai dieses Jahres. Die Zahl der insgesamt eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen rechtsextremer und fremdenfeindlicher Straftaten ist von 2014 auf 2015 sprunghaft angestiegen - und zwar um mehr als 7300, was ein Plus von 42,5 Prozent ausmacht. Zwar relativiert sich dieser Wert ein wenig, weil von 2013 auf 2014 zunächst ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen war. Gleichwohl bleibt unter dem Strich ein signifikanter Anstieg auf nunmehr rund 24 600 Verfahren.

Bundesamt für Justiz: undefined

Um im Detail zu erfassen, was diese Entwicklung bedeutet, versucht die Statistik, gleichsam die Geisteshaltung der Täter zu benennen. Dazu sind die Delikte anhand bestimmter äußerer Umstände bewertet worden, die auf die Motive schließen lassen - weil sonst beispielsweise die Schändung eines jüdischen Friedhofs in der Statistik womöglich nur als Sachbeschädigung erfasst würde. Resultat dieses Querschnitts: Wegen Straftaten aufgrund "fremdenfeindlicher Motivation" sind vergangenes Jahr gut 6300 Verfahren eingeleitet worden, weit mehr als das Doppelte des Vorjahres. Noch dramatischer fällt der Anstieg bei den Straftaten wegen "antisemitischer Bestrebungen" aus: Die Zahl hat sich auf rund 2100 im Jahr 2015 verdreifacht.

Nun darf man Statistiken nicht immer beim Wort nehmen, schon gar, wenn es nur um den Vergleich zweier Jahre geht. Tatsächlich weist die Auswertung des Bundesamtes darauf hin, dass man nicht sicher sagen könne, ob 2015 wirklich ein Höchststand erreicht worden sei; die Zahlen früherer Jahre lägen teilweise sogar höher, allerdings seien die Daten wegen unterschiedlicher Erhebungsmethoden nicht vergleichbar. Hinzu kommt: Die von 2014 auf 2015 steil nach oben weisende Kurve kann mit tatsächlich steigender krimineller Aktivität im rechtsextremen und fremdenfeindlichen Spektrum zu tun haben, aber auch mit einer höheren Sensibilität für diese Phänomene, und zwar sowohl bei den Bürgern, die Straftaten zur Anzeige bringen, als auch bei Polizei und Staatsanwälten. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) gehörte zu denen, die besonders eindringlich zur Verfolgung fremdenfeindlicher Kriminalität aufgerufen haben. Damit allein lässt sich aber ein derart deutlicher Anstieg der Strafverfolgung kaum erklären. Denn richtig ist auch, dass 2015 besonders heftig gegen Ausländer und gegen das Schreckgespenst einer "Islamisierung" protestiert wurde - rassistische und hetzerische Ausfälle inklusive. Die Zahlen dürften also ein aussagekräftiger Beleg dafür sein, in welchem Ausmaß dabei die Grenze zur Strafbarkeit überschritten worden ist, nicht allein bei den Anschlägen auf Asylbewerberheime, sondern auch bei der Hetze im Internet.

Freilich zeigt die Statistik auch: Zugenommen hat nicht nur die Strafverfolgung, sondern auch die Zahl der Fälle, in denen die Ermittler am Ende mit leeren Händen dastanden. Fast 9400 Verfahren mussten eingestellt werden, weil kein Täter zu finden war - ein Anstieg um ein Drittel. Dahinter dürften sich - neben Hakenkreuz-Schmierern - viele Hetzer verbergen, welche die Anonymität des Internets nutzen. Ähnlich ist die Entwicklung bei der Einstellung von Verfahren, in denen es zwar Verdächtige, aber keine Beweise gab. Das heißt: Es wird zwar mehr ermittelt, aber nicht sehr viel häufiger bestraft: Die Zahl der Verurteilungen wegen rechtsextremer und fremdenfeindlicher Taten ist kaum gestiegen, vergangenes Jahr waren es 2500.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: