Bulgarien:Fataler Querschläger

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Hoffen auf ein Durchkommen: Syrer sammeln sich nahe der türkischen Grenzstadt Edirne, um es von dort in das EU-Land Bulgarien zu schaffen. (Foto: Bülent Kiliç/AFP)

Der Tod eines afghanischen Flüchtlings wirft ein Schlaglicht auf Bulgarien als Transitland. Offiziell sind die Grenzen gut gesichert - tatsächlich aber gelingt immer mehr Menschen die gefährliche Durchreise.

Von Florian Hassel, Warschau

Eigentlich waren die bulgarischen Grenzbeamten und Polizisten, die am späten Donnerstagabend Flüchtlinge verfolgten, die es illegal über die türkisch-bulgarische Grenze geschafft hatten, nur zehn Männern auf der Spur. Die Beamten folgten den Flüchtlingen an eine Brücke nahe dem Städtchens Sredets im Südosten Bulgariens, 30 Kilometer von der Grenze entfernt. Dort liegt bulgarischen TV-Reportern zufolge ein Transitpunkt, an dem Schleuser Flüchtlinge auf ihrem weiteren Weg nach Europa übernehmen. An der Brücke stießen die Beamten auf 54 Flüchtlinge. Diese widersetzten sich angeblich einer Festnahme. Ein Polizist gab einen Warnschuss ab; die Kugel prallte von der Brücke ab und traf einen 25 Jahre alten Flüchtling aus Afghanistan tödlich im Nacken. So jedenfalls schilderte es am Freitag der Staatssekretär des bulgarischen Innenministeriums, Georgi Kostov. Der Tod des jungen Afghanen richtet das Augenmerk auf die wachsende Bedeutung Bulgariens als Transitland für Flüchtlinge.

Nach offizieller Darstellung ist die bulgarische EU-Außengrenze zur Türkei bestens gesichert. Ende 2014 begann Bulgarien mit dem Bau eines Grenzzauns, der bei seiner Fertigstellung gut 160 Kilometer lang sein soll. Bewegungsmelder und alle 100 Meter postierte Grenzbeamte machen die Grenze demnach schwer überwindbar. Am 17. September etwa verkündete Staatssekretär Kostov, allein am Vortag seien 660 Migranten an der türkisch-bulgarische Grenze gestoppt worden.

Dass es auch eine andere Wahrheit gibt, verrät ein Blick auf Berichte der bulgarischen Polizei. Alle paar Tage meldet sie die Festnahme von mal Dutzenden, mal mehr als hundert Flüchtlingen, denen der illegale Grenzübertritt nach Bulgarien gelungen sei. Offiziell erlebt Bulgarien nur einen relativ geringen Anstieg der Flüchtlingszahlen: Von 10 353 im vergangenen Jahr auf 12 738 zwischen Januar bis September dieses Jahres. Bis Ende 2015 werde die Zahl wohl bei 15 000 Menschen liegen, schätzt der Chef der bulgarischen Flüchtlingsbehörde DAB. Fast alle Flüchtlinge kommen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan. Dass in Bulgarien bisher nur acht Flüchtlingskinder eingeschult wurden, erklärt der DAB-Direktor damit, dass die Flüchtlinge meist ohnehin nicht in Bulgarien bleiben, sondern weiter nach Westeuropa wollten.

An den Flüchtlingen verdienen die bulgarische Mafia, aber auch korrupte Grenzbeamte mit

Dieses Ziel haben offenbar weit mehr Menschen, als aus der offiziellen Statistik hervorgeht. Die meisten reisen nach Serbien weiter. Der Belgrader Radiosender B92 berichtete, von Juli bis September seien aus Bulgarien über 20 000 Flüchtlinge, vor allem Syrer und Afghanen, allein in den grenznahen serbischen Ort Dimitrovgrad gekommen. Mittlerweile kämen täglich etwa 400 Flüchtlinge hinzu, sagte Bürgermeister Zoran Djurov am Mittwoch.

Bei der Flüchtlingswelle verdienen sowohl die bulgarische Mafia mit als auch korrupte Beamte in Bulgarien und Serbien. Anfang September wurden an der Grenze zu Serbien zwei bulgarische Grenzbeamte festgenommen, die für die Weiterfahrt eines Pkw mit drei Flüchtlingen gut 350 Euro Bestechungsgeld angenommen haben sollen. Im Fall der 71 toten Flüchtlinge in dem Kühllaster bei Wien im August wurden die Bulgaren Metodi G. und Kasim Hasan S. in Ungarn festgenommen, der 32 Jahre alte Tsvetan T. in der bulgarischen Stadt Lom.

Dass der Menschenschmuggel über Bulgarien schnell zunimmt, zeigen auch Statistiken der EU-Grenzbehörde Frontex: Für April bis Juni 2014 meldete die Behörde von der bulgarisch-serbischen Grenze 27 Versuche von illegalem Grenzübertritt - für April bis Juni 2015 schon 4130.

© SZ vom 17.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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