Bürgerwehren in Kairo:Das Schwert der Gerechten

Mit Stöcken und Schlachtermessern jagen sie Kriminelle, nebenbei regeln sie auch noch den Verkehr: Seit sich die Polizei von Kairos Straßen zurückgezogen hat und die Armee nur die wichtigsten Punkte sichert, erhalten Bürgerwehren die Ordnung aufrecht.

Karin El Minawi

Mohammed Said zückt sein Schwert und sagt: "Jetzt sind wir die Regierung." Said und 50, 60 andere Bürger des Kairoer Stadtviertels Harafiin haben an einer Hauptstraße im Osten der ägyptischen Hauptstadt Position bezogen und Kontrollpunkte errichtet. Der Arbeiter Said, groß und kräftig, sieht aus, als ob er mit der Waffe umgehen könnte.

Bürgerwehren in Kairo: Die neue Ordnungsmacht auf Kairos Straßen: Wenn es dunkel wird, kontrollieren die Bürgerwehren.

Die neue Ordnungsmacht auf Kairos Straßen: Wenn es dunkel wird, kontrollieren die Bürgerwehren.

(Foto: AFP)

Er weiß: Wenn er die Sicherheit seines Viertels, seines Hauses und seiner Familie nicht selbst garantiert, hilft ihm keiner. "Nachdem die Polizei uns im Stich gelassen hat und uns die Kriminellen auf den Hals schickt, müssen wir uns selbst um uns kümmern", sagt der 26-Jährige.

Ägyptens Polizei ist verschwunden, seitdem auf den Straßen das Chaos herrscht. Auch die Freunde und Nachbarn von Said sind daher bewaffnet. Sie tragen Baseballschläger, Schwerter, Schlachtermesser, Stöcke. An der Nebenstraße brennt ein Feuer in der kühlen Nacht, einige Jugendliche trinken Tee. Sie wachen abwechselnd mit Said und seinen Nachbarn an der Hauptstraße.

Ägyptens Bürger haben ihre Sicherheit selbst in die Hand genommen. Seitdem bekannt ist, dass sich Polizisten und Zivilbeamte an den Plünderungen der jüngsten Tage beteiligt, auf Kommando von oben gestohlen und gebrandschatzt haben, hat die Polizei das Vertrauen des Volks verloren. Die Armee hatte im Fernsehen festgenommene Marodeure präsentiert - einige trugen Ausweise der Sicherheitskräfte mit sich.

Brandschatzende Beamte

Auf den Straßen sind 17.000 Schwerverbrecher unterwegs, weil bei Gefängnisrevolten Häftlinge ausgebrochen sind. Wer die Zellen geöffnet hat, ist unklar. Der Verdacht fällt auf die Polizei und das verhasste Innenministerium. Es soll den Plan gegeben haben, das größtmögliche Chaos zu stiften und die Proteste bei der Bevölkerung zu diskreditieren. Am Freitag drängten die Demonstranten die Polizei so sehr in die Enge, dass die Armee auf die Straßen zog.

Die Kontrolle über die öffentliche Sicherheit des 80-Millionen-Einwohner-Landes wurde den Generalen überlassen. Doch die Armee mit ihren 450.000 Soldaten kann nur an den wichtigsten Plätzen und Kreuzungen stehen, nicht aber in den ärmlichen Wohnvierteln. Die Offiziere forderten die Bürger deshalb übers Fernsehen auf, sich selbst zu helfen.

Genau das tun sie, mit Messern, Peitschen und Pistolen. Und mit guten Gründen. Nicht nur die Zentrale der Mubarak-Partei und Polizeistationen wurden in Brand gesteckt. Eine Bank und das riesige Einkaufszentrum Carrefour wurden ausgeraubt, Autofahrer überfallen. Schüsse fielen in der ganzen Stadt. Niemand wusste, wer da auf wen schoss. Die Menschen haben Angst.

Die Bürgerwehren, das sind Nachbarn, Geschwister, Freunde. Ob Moslem oder Christ, arm oder reich, alt oder jung, solche Unterschiede spielen keine Rolle. In einer Gesellschaft wie der ägyptischen sind die nachbarschaftlichen Bande sehr eng; die Menschen wissen, wer dazugehört und wer Fremder ist. Sie tragen farbige Armbinden, ihr Erkennungszeichen auf den Patrouillen im Halbdunkel der Nacht. Tauchen unbekannte Gesichter oder größere Gruppen junger Männer in den Straßen auf, pfeifen die Bürgerwehrleute auf den Fingern und laufen zusammen.

Prügel für die Plünderer

Mit dem Auto kommt keiner durch, ohne die Wagenpapiere zu zeigen und den Kofferraum zu öffnen. Wer Stoppsignale ignoriert, muss Schläge fürchten. Sofort sind 30, 40 Männer da, schlagen mit ihren Prügeln auf den Wagen. Blechschaden ist das Mindeste. Gefangene Plünderer und Kriminelle übergeben die Bürgerwehren dem Militär.

Auch Mohammed Said mit seinem Schwert hat zwei Jugendliche gefasst; sie wollten mit einem gestohlenen Polizeiwagen durch seinen Kontrollpunkt. Said übergab die beiden der Armee. Tagsüber regeln die Bürgerwehren zudem den ohnehin chaotischen Verkehr, denn mit den Prügelpolizisten verschwand auch die Verkehrspolizei.

Die Autofahrer lassen die Kontrollen über sich ergehen. "Sie machen das auch zu unserem eigenen Schutz", sagt ein Autofahrer. "Was würden wir ohne sie tun? Die Polizei ist weg. Und die Jungs hier machen das professionell. Besser als die Polizei."

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