Bürgerschaftswahl in Bremen:Warum die Bremer Böhrnsen vertrauen

Bürgerschaftswahl Bremen

Standhaft wie die Skulptur der Stadtmusikanten: Bremer Bürgermeister bleiben lange im Amt - die Stärke der SPD ist auch die Schwäche der Opposition.

(Foto: Jörg Sarbach/dpa)
  • Die Bremer wählen eine neue Bürgerschaft. Seit 2005 regiert Jens Böhrnsen und das dürfte sich auch nach dieser Wahl nicht ändern.
  • Keine Partei und kein Ministerpräsident in Deutschland regieren länger als die SPD und Böhrnsen in ihrer Bastion Bremen. Seit Kriegsende bestimmen in dem Verbund Bremen/Bremerhaven Sozialdemokraten.
  • Das kleinste deutsche Bundesland ist hoch verschuldet. Böhrnsen dringt auf eine Neuregelung beim Länderfinanzausgleich und will die Schuldenbremse bis 2019 einhalten.

Von Peter Burghardt, Bremen

Ein entspannter Bürgermeister und Senatspräsident führt ein wenig durchs Haus. "Kommen Sie, ich zeige Ihnen das alte Rathaus", sagt Jens Böhrnsen und lotst einen aus seinem Büro in den legendären Teil des Gebäudes. Das gotische Bauwerk mit der berühmten Renaissancefassade ist bis zu 600 Jahre alt und wie die Rolandstatue davor Weltkulturerbe. Auch Kaiser, Könige und Kriege hat Bremens Zentrale überstanden. Schöner und historischer kriegt es ein Chef eines Bundeslandes kaum.

Da zieht man ungern aus, keine Partei und kein Ministerpräsident in Deutschland regieren länger als die SPD und Böhrnsen in ihrer Bastion Bremen. 2010 wechselte der Amtsinhaber zwar kurz ins Berliner Schloss Bellevue, obwohl einem bodenständigen Republikaner wie ihm pompöse Schlösser eher fremd sind. Bundespräsident Horst Köhler war zurückgetreten, der damalige Bundesratspräsident Böhrnsen sprang für vier Wochen ein. Doch den kleinen Stadtstaat mit seinen 650 000 Einwohnern leitet er seit bald einem Jahrzehnt. 2019 wären es dann 14 Jahre, so lange wie Otto Rehhagel einst den Fußballklub Werder trainierte. Am Sonntag werden der Jurist Böhrnsen, 65, und seine SPD wohl wieder gewinnen, nachher geht die Koalition mit den Grünen weiter. Ernsthafte Gegner haben Genossen an der Weser nie.

Seit Kriegsende SPD

Bremer Bürgermeister sind deshalb so standhaft wie um die Ecke die eisernen Stadtmusikanten. Wilhelm Kaisen, 20 Jahre auf Posten. Hans Koschnik, fast 18 Jahre. Klaus Wedemeier, fast zehn Jahre. Henning Scherf, mehr als zehn Jahre. Nun Jens Böhrnsen, seit 2005. Alle SPD. Seit Kriegsende bestimmen in dem Verbund Bremen/Bremerhaven Sozialdemokraten, das ist in Deutschland einzigartig. Selbst in der bayerischen Staatskanzlei gab es mal eine kurze Zeit ohne CSU. "Die Bremer denken eben traditionell in langen Linien", erläutert Böhrnsen, ein angenehm unaufgeregter Mann mit grauem Haar und leichter Brille. "Das spricht für Verlässlichkeit."

Mächtige Balken aus Eichenholz stützen seit Jahrhunderten die Decke des Festsaals namens Obere Halle. Darunter hängen Miniaturen uralter Kriegsschiffe, die Bremens Kaufleute über die Meere begleiteten. "Mehret den Reichtum der Stadt", rät ein Sinnspruch aus dem 15. Jahrhundert. Kurios, dass ausgerechnet in diesem mittlerweile enorm verschuldeten Reich die Sozialdemokraten unbesiegbar sind. Obwohl gegenüber am Marktplatz die mächtige Handelskammer daheim ist. Inzwischen beherrscht die bundesweit mäßig erfolgreiche SPD ganz Norddeutschland, aber nirgendwo so hartnäckig wie im verarmten Bremen. Warum? "Weil wir es immer verstanden haben, Dinge zusammenzuhalten, die zusammengehören: starke wirtschaftliche Entwicklung und soziale Sicherheit," erwidert Jens Böhrnsen.

Eine Art Anti-Bayern

Sein Nachkriegsvorgänger Kaisen erfand einst das "Bündnis aus Arbeiter- und Kaufmannschaft", die Umstände kamen ihm entgegen. Bremen ist eine Art Anti-Bayern, protestantisch statt katholisch. Den Schiffsbauern mit ihren Gewerkschaften war rot lieber als schwarz. Aber später kam die große Werftenkrise, Bremen musste sich neu erfinden und wurde zum chronischen Sozialfall. Heute hat diese hanseatische Region mehr als 20 Milliarden Euro Schulden, ungefähr 31 000 Euro pro Kopf. Jeder vierte Bremer gilt als arm. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, und bei der Pisa-Studie wurde Bremen Letzter. "Unendlich traurig", findet das FDP-Kandidatin Lencke Steiner.

Was Böhrnsen in Rage bringt

Wenn man den ruhigen Herrn Böhrnsen ein bisschen in Rage bringen will, dann fragt man ihn, ob Bremen Deutschlands Griechenland sei - da hebt er zu einer faktenreichen Verteidigungsrede an. Fünftgrößter Industriestandort Deutschlands. Europas größter Autohafen, an Bremerhavens Ufern werden Hunderttausende Fahrzeuge in riesige Überseefähren gepackt. Zweitgrößtes Mercedes-Werk der Erde. Luft- und Raumfahrtzentrum und Heimat von weltbekanntem Bier oder Kaffee. Eine der besten Universitäten der Nation. Überdurchschnittliche Löhne. 421 000 Erwerbstätige. "Ich sehe keinen Hinweis, dass das irgendwas mit Griechenland zu tun haben könnte", sagt Böhrnsen. "Aber wir wissen, dass wir Probleme mit den öffentlichen Kassen und der sozialen Spaltung haben."

Das Geld reicht nach Rechnung des rotgrünen Senats vor allem deshalb nicht, weil 150 000 Pendler in Bremen arbeiten und in Niedersachsen ihre Steuern zahlen. Böhrnsen dringt auf eine Neuregelung beim Länderfinanzausgleich und will die Schuldenbremse bis 2019 einhalten. Er kann selbst beobachten, wie seine Stadt auseinanderdriftet. Im Viertel Gröpelingen an Weser und Hafen, wo er 1949 als Sohn eines NS-Gegners, SPD-Fraktionsvorsitzenden und Gewerkschaftsführers geboren wurde, wuchs neben stillgelegten Schornsteinen auch ein Minarett. Viele Bewohner haben keinen Job und beziehen Hartz IV. Die Wahlbeteiligung ist dort halb so hoch wie im schicken Schwachhausen, in ganz Bremen gibt nur gut jeder zweite Wahlberechtigte seine Stimme ab. "Wozu, bringt eh nichts", sagt ein 18-Jähriger vor einem Teehaus. "Manche wissen hier doch gar nicht, wie das geht", spottet ein 16-Jähriger. Mit 16 darf man in Bremen wählen.

Die Schwäche der Opposition

"Eine gewisse Lethargie" beobachtet der Politikwissenschaftler Lothar Probst von der Universität Bremen, die früher als linke Kaderschmiede galt und inzwischen zur deutschen Bildungselite zählt. "Man hat sich wie unter Mehltau eingerichtet. Irgendwie geht's ja weiter." Die Stärke der SPD sei immer auch die Schwäche der Opposition. Kaisen, Koschnik, Scherf - "die CDU hatte nicht einen aus dieser Liga", sagt der Professor. Selbst bei der Wirtschaftskompetenz liegt die Bremer SPD bei Umfragen vor der Bremer CDU.

Henning Scherf radelte durch Bremen, Jens Böhrnsen geht durch Stadtteile und Supermärkte. "Bürgermeister, Hanseat, Bremer", steht auf seinem Wahlplakat. Auch er zählt zu diesen stillen, präsidialen Verwaltern, denen die meisten Leute vertrauen. Wie Olaf Scholz in Hamburg und Angela Merkel im Kanzleramt. "Der Bedarf an Guttenbergs ist gedeckt", glaubt Lothar Probst. Dennoch blies Böhrnsens SPD-Senat schneidig zum etwas chaotischen Antiterroreinsatz oder schickte der Bundesliga mutig die Rechnung für einen Polizeieinsatz.

Er würde Jens Böhrnsen auch einen Gebrauchtwagen abkaufen, versichert Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). "Ich find' das gut", sagt Böhrnsen, "ich habe nur gerade keinen Gebrauchtwagen zu verkaufen."

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