Wahl in Hamburg: Grüne:"Hätte ein bissle mehr sein können"

Lesezeit: 3 min

Nach Schwarz-Grün hätten die Grünen in Hamburg gern mit der SPD regiert, doch die braucht sie nicht. Grünen-Chef Cem Özdemir über offene Türen, den Nachteil absoluter Mehrheiten und den Zusammenhang zwischen Astra Pils und Westerwelle.

Oliver Das Gupta

sueddeutsche.de: Die Hamburger Grünen haben die Koalition verlassen, nun bleiben sie in der Opposition. Ist der gestrige Wahltag eine gefühlte Niederlage für Ihre Partei?

"Es hätte ein bissle mehr sein können." Cem Özdemir, Bundesvorsitzender der Grünen, findet das Wahlergebnis in Hamburg trotzdem insgesamt "ordentlich". (Foto: dapd)

Cem Özdemir: Wir hatten zwei Ziele: Zulegen und mit der SPD regieren. Das eine Ziel haben wir knapp erreicht, das andere nicht. Insofern ist es insgesamt ordentlich. Unser Auftrag lautet jetzt Opposition. Wir werden dafür sorgen, dass die Themen Ökologie, Familienpolitik und Bürgerrechte nicht hinten runterfallen. Ich bin mir nicht so sicher, dass die SPD über die Alleinregierung nur froh ist.

sueddeutsche.de: Erwartet haben die Grünen aber doch etwas anderes: mindestens ein sattes Ergebnis, statt 1,6 Prozentpunkte plus.

Özdemir: Sicher, es hätte ein bissle mehr sein können. Aber die Hamburger wollten den möglichst klaren Wechsel und haben zwischen Grünen einerseits und CDU andererseits unterschieden.

Über die Union ist ein Sturm hereingebrochen. Sie hat unter Ahlhaus den modernen Kurs von Ole von Beust verlassen. Jetzt haben Grüne und SPD zusammen 60 Prozent der Wählerstimmen erhalten, wie in fast jeder anderen deutschen Großstadt auch.

sueddeutsche.de: War es im Nachhinein falsch, Schwarz-Grün in Hamburg zu wagen?

Özdemir: Schwarz-Grün war kein Fehler. Die Alternative war damals die große Koalition. Es war einerseits wichtig, der SPD zu zeigen, dass wir nicht an sie gekettet sind, sondern als eigenständige Partei vor Ort auch mit einem anderen Partner grüne Inhalte umsetzen können und drittens die Union an ihrer Modernisierungsbereitschaft zu testen.

sueddeutsche.de: War es richtig, die Koalition im Herbst zu verlassen?

Özdemir: Eindeutig ja. Nach dem Abgang von Ole von Beust war klar, dass die Grundlage für diese Koalition nicht mehr vorhanden war, die da lautete: An der Spitze steht eine Person, die für eine liberale Politik in der CDU eintritt. Ahlhaus verkörperte die alte, rückwärtsgewandte Union. Die CDU unter Christoph Ahlhaus war zu Recht extrem unpopulär.

sueddeutsche.de: Neben der SPD feierten gestern die Liberalen: Die FDP zieht wieder in die Bürgerschaft ein. Ist Guido Westerwelle gerettet?

Özdemir: Die CDU hat 22 Prozentpunkte verloren. Angesichts dieses massiven Einbruchs ist es erstaunlich, dass die FDP so wenig zugelegt hat. 1,8 Prozentpunkte sind da eben nur ein kleines Rinnsal. Wer Westerwelle gestärkt sieht, muss schon sehr viel Hamburger Astra Pils getrunken haben. Für die FDP ist diese Wahl alles andere als eine Entwarnung. Und die CDU hat jetzt ein Problem.

sueddeutsche.de: Wird es in absehbarer Zeit Schwarz-Grün wieder geben - was sagt Ihr Bauchgefühl?

Özdemir: Das wage ich nicht zu beurteilen. Es hängt einerseits von den Inhalten ab, aber eben auch von den Personen. Bei Beust hat es gestimmt, bei Ahlhaus nicht. Eines ist klar: Mit einer CDU, die die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert und sich im Gesundheitsbereich von Lobbyisten helfen lässt, können wir nicht zusammenkommen.

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Während Olaf Scholz Schwierigkeiten hat, seinen triumphalen Sieg in passende Worte zu kleiden, schüttet SPD-Chef Gabriel Häme aus. Und FDP-Chef Westerwelle kann sich endlich wieder freuen.

sueddeutsche.de: Aber wenn nach einer der noch anstehenden sechs Landtagswahlen die Union an die Türe der Grünen klopfen sollte?

Özdemir: Unsere Türen sind generell offen. Und wir werden in so einem Fall der CDU nicht die Türe zuschlagen, wenn sie einen Kurswechsel vornimmt. Eine Beust-CDU wird immer ein möglicher Partner für uns sein. Aber eine solche liberale CDU sehe ich derzeit nirgendwo.

sueddeutsche.de: Sprich: Sie setzen erst mal nur auf Rot-Grün?

Özdemir: Die SPD ist, inhaltlich gesehen, uns am nächsten. Aber wir sind auch nicht aneinandergekettet. Und was SPD-Alleinregierungen angeht, gilt der Spruch: Wir mögen die SPD so gerne, dass wir sie ungern alleine regieren lassen. Denn überall wo sie das ohne uns tut, zeigt sich, dass Umwelt- und Bürgerrechtspolitik bei ihr nicht grundsätzlich zu Hause ist.

Der Fall Rheinland-Pfalz zeigt, dass absolute Mehrheiten nicht gut sind, weil sie Selbstgefälligkeit befördern. Skandale wie die versenkten Nürburgring-Millionen hätten verhindert werden können, mit einer grünen Kontrollinstanz im Kabinett.

sueddeutsche.de: In Ihrer Heimat Baden-Württemberg wird in wenigen Wochen der Landtag gewählt. Die Grünen liegen Umfragen klar vor der SPD. Freuen Sie sich, dass die Sozialdemokraten im Ländle sich inzwischen schon gedanklich an die Rolle des kleineren Partners gewöhnen?

Özdemir: Kleiner Partner, großer Partner - so denken wir Grüne nicht. Für uns gibt es Partnerschaft nur auf Augenhöhe. Wenn es reicht, Ministerpräsident Stefan Mappus gemeinsam mit der SPD abzulösen, dann werden wir es genauso halten. Unser Spitzenkandidat Winfried Kretschmann steht für Partnerschaft auf Augenhöhe.

sueddeutsche.de: Gerhard Schröder hat gerne das Bild vom Koch und seinem Kellner bemüht.

Özdemir: Von diesem Modell haben wir schon immer wenig gehalten. Wir haben nicht vor, einfach die Rollen zu tauschen. Eine Regierung wird dann erfolgreich sein, wenn beide Koalitionspartner vom Verhandlungstisch als Sieger aufstehen. Das lernt auch die SPD.

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