Bürgerschaftswahl in Hamburg:Ein Beben, das Berlin erschüttert

So dicke hatte es die CDU in Berlin dann doch nicht erwartet: Nach dem Debakel in Hamburg spricht Generalsekretär Gröhe von "schmerzlichen Verlusten" - und versucht, die Niederlage mit lokalen Problemen zu erklären.

Stefan Braun und Susanne Höll

An diesem Abend feiert die SPD schon bevor eine einzige Zahl genannt wird. Es ist 17.58 Uhr im Willy-Brandt-Haus in Berlin, und im Fernsehen wird die Prognose für die Hamburg-Wahl erst angekündigt. Doch schon jetzt braust im überfüllten Atrium Beifall auf. Die Sozialdemokraten wissen: Sie haben in Hamburg gewonnen.

Wahlabend der CDU in Berlin

Ein geknickter CDU-Generalsekretär: Hermann Gröhe sprach von einem "schweren Schlag".

(Foto: dapd)

Als in der ARD zwei Minuten später von 50 Prozent die Rede ist, schreit die Menge auf. Kleine Kinder, die an der Bühne mit Brettspielen beschäftigt werden, erschrecken sogar. Ein Gast schwenkt eine Fahne des Sankt-Pauli-Fußballclubs. Und Sigmar Gabriel sagt mit niedersächsischem Understatement: "Is' doch mal ein schöner Abend."

Stimmt. Sehr schön sogar, jedenfalls für Sozialdemokraten. Ergebnisse von 50 Prozent konnten sie zuletzt in den neunziger Jahren feiern, eine absolute Mehrheit vor immerhin fünf Jahren. Kurt Beck holte sie damals in Rheinland-Pfalz. Seitdem gab es jede Menge Niederlagen und allenfalls winzige Erfolge. Für die Bundes-SPD sind diese Wahl und dieses Votum deshalb ein ganz großes Geschenk. Sie kann sich selbst und ihren Anhängern beweisen, dass die Sozialdemokraten eben doch siegen können.

Dabei wissen die Leute im Willy-Brandt-Haus genau, dass der allseits erwartete Wechsel vor allem ein Zeichen des Überdrusses gegen die schwarz-grüne Koalition ist, und kein bundesweites Zeichen. Das wird sich schon in den nächsten Wahlen zeigen: In Rheinland-Pfalz werden Ministerpräsident Kurt Beck und dessen Sozialdemokraten die absolute Mehrheit verlieren, in Sachsen-Anhalt und in Baden-Württemberg muss sich die Partei darauf einstellen, als Dritte ins Ziel zu kommen. Das klingt noch lange nicht nach einem Triumphzug.

Trotzdem wird jetzt erst einmal gefeiert. Und der Held des Abends heißt natürlich Olaf Scholz - auch wenn sie Gabriel so heftig umjubeln wie seit seiner Wahl zum Vorsitzenden nicht mehr. Er ist ausgesprochen gut gelaunt, holt seine halbe Führungsmannschaft auf die Bühne und erklärt, was man von Olaf lernen kann: politischen Pragmatismus nämlich, der sich nicht allein auf soziale Themen kapriziert, sondern die breite Wählerschaft der Mitte anspricht. Und neben ziemlich viel guter Laune dürfte ein Hamburger Wahlerfolg der Bundes-SPD, jedenfalls zwischenzeitlich, noch ein weiteres Thema bescheren - einen potentiellen Kanzlerkandidaten Olaf Scholz nämlich.

"Ausgesprochen schmerzhafte Verluste"

Bei der CDU dagegen ist die Lage noch schlechter als befürchtet. So dicke nämlich hatten sie es dann doch nicht erwartet. Eine Niederlage, ja klar, damit hatte die CDU-Spitze in Berlin gerechnet, mit einer deutlichen sogar. Aber mehr als zwanzig Prozent runter - da bleibt kein Raum mehr für Beschönigungen.

Als Generalsekretär Hermann Gröhe schon kurz vor halb sieben in der Parteizentrale auftritt, wählt er denn auch ungewohnt unverblümte Worte. Von einer "schweren Niederlage" ist da die Rede, von "ausgesprochen schmerzhaften Verlusten" und von einem "schweren Schlag", den die CDU in Hamburg zu verdauen habe. Ungeschminkter ist eine Niederlage im Konrad-Adenauer-Haus lange nicht mehr beschrieben worden.

Dabei fällt freilich auf, dass Gröhe nicht vergisst, es immer wieder als Hamburger Niederlage zu bezeichnen. Er erinnert außerdem daran, dass ganz überwiegend regionale Gründe ausschlaggebend seien. All das passt ziemlich gut in die Parolen der letzten Tage. Wer zuletzt mit Politikern der Union über die Wahlen in Hamburg sprach, hörte vor allem eines: Das wird uns nicht besonders treffen, weil die Fehler in Hamburg gemacht wurden. Im Übrigen sei die Überraschung schon weg. Denn dass es schieflaufen würde, wisse man seit Wochen. Mit anderen Worten: Für Hamburg sei Hamburg verantwortlich; deshalb habe die Niederlage für die CDU im Bund keine große Bedeutung.

Die Marschroute ist politisch verständlich. Aber nicht deshalb, weil Niederlagen nicht weh tun würden. Viel wichtiger ist die Tatsache, dass die Christdemokraten derzeit noch ganz andere Probleme haben. Die Neuregelung der Hartz-IV-Sätze ist schon zu einer halben Katastrophe geworden.

Noch viel wichtiger ist seit einigen Tagen das Problem, das sich mit dem neben der Kanzlerin wichtigsten Hoffnungsträger der Union, Karl-Theodor zu Guttenberg, verbindet. Während der Minister selbst mit einem sehr persönlichen Problem kämpft, kämpft die Union zunehmend mit der Frage, was die Folgen wären, sollte sich die Debatte um seine Dissertation und seine Fehler lange hinziehen- oder er gar doch noch zurücktreten müssen. Ersteres wäre mit einem erheblichen Ansehensverlust für Guttenberg wie für die Union verbunden.

Letzteres würde sofort allergrößte Probleme aufwerfen, weil dann eine möglicherweise große Kabinettsumbildung notwendig würde. Am Abend kann Gröhe derlei zwar noch nicht erkennen. Trotzdem kann man verstehen, dass in der Problemskala der Bundes-CDU die erwartete Wahlniederlage an der Elbe nicht allergrößte Priorität hat.

Von Beusts Fehler

Und doch - alle in der CDU-Spitze wissen auch, dass Hamburg mehr ist als eine Provinzstadt. Und sie ahnen, dass die Folgen jener Fehler, die vor allem der frühere Bürgermeister Ole von Beust gemacht hat, auch für den Bund Nachwehen haben werden. Das fängt damit an, dass die SPD fast aus dem Nichts einen triumphalen Wahlsieg landen kann. "Das stärkt auch anderswo deren Selbstbewusstsein", grollt ein Mitglied der CDU-Parteispitze.

Dabei rücken die nächsten Wahlen Ende März in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg längst in den Fokus. In beiden Fällen sieht es derzeit nicht dramatisch schlecht, aber auch noch nicht gut aus für die Christdemokraten. Ziemlich beschwörend klingt Gröhe, als er an diese Wahlen erinnert. "Gleichwohl optimistisch" schaue er in diese Zukunft. Was soll er an so einem Abend auch sonst tun.

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