Bürgerrechte in den USA:Die strangulierte Freiheit

Amerika hat sich damit abgefunden, dass der Staat beinahe alles kontrollieren darf. Und wenn die Terroristen das nächste Mal zuschlagen, könnte dies das Ende der Freiheit bedeuten.

Reymer Klüver

Es ist schon ein merkwürdiges Paradox. Noch am Mittwoch, als er überraschend die Existenz geheimer CIA-Gefängnisse einräumte und die Überstellung von 14 Top-Al-Qaidisten aus ihren Verliesen nach Guantanamo ankündigte, wiederholte Amerikas Präsident, was er bereits ein paar Tage nach den Anschlägen als Maßgabe für den Krieg gegen den Terror verkündet hatte:

Bürgerrechte in den USA: Trauer um die Passagiere des Flug 93.

Trauer um die Passagiere des Flug 93.

(Foto: Foto: Reuters)

"Wir kämpfen dafür, in Freiheit leben zu können", sagte George W. Bush im prächtigen East Room des Weißen Hauses vor Angehörigen von Terror-Opfern. "Wir kämpfen für die Sache der Humanität."

Doch hat gerade dieser Krieg bis dahin selbstverständliche Freiheiten in den USA in Frage gestellt. Und ausgerechnet ein Krieg im Namen der Menschlichkeit hat den USA den Vorwurf eingebracht, Menschenrechte mit Füßen zu treten.

Nur Tage nach den Anschlägen brachte die US-Regierung den sogenannten Patriot Act ein - und begann damit die Umwandlung Amerikas in einen "Heimatschutzstaat", wie selbst das eher konservative Nachrichtenmagazin US News & World Report schreibt:

Im Zweifel hatten Sicherheitsbedenken Vorrang vor Freiheitsrechten. Der Patriot Act, den der Kongress nach kurzer Debatte verabschiedete (im Senat gab es nur eine Gegenstimme), gewährte den Ermittlungsbehörden bis dahin ungekannte Befugnisse:

Seither können FBI-Agenten und andere Ermittler Telefongespräche und E-Mails überwachen, sie können Bankdaten anfordern und medizinische Unterlagen. Selbst in Büchereien können sie die Ausleihen überwachen. Eine gerichtliche Zustimmung ist zwar nötig, doch der Hinweis auf "intelligence purposes", geheimdienstliche Zwecke, genügt.

Das FBI kann sogenannte National Security Letters verschicken. Wer so einen Brief erhält, muss den Behörden alle gewünschten Daten und Unterlagen überlassen - und kann sich nicht wehren: Er darf niemandem sagen, dass er diesen Brief überhaupt bekommen hat.

30.000 solcher Briefe werden nach Schätzungen der ACLU, der wohl angesehensten Bürgerrechtsorganisation in den USA, pro Jahr versandt. Eine weitere Überwachungsaktion stieß allerdings auf öffentlichen Widerstand: Mit Hilfe der Operation TIPS sollten alle Amerikaner ermuntert werden, "verdächtige" Beobachtungen aus Privathäusern zu melden.

Selbst die Post, immerhin eine staatliche Behörde, verweigerte ihre Mitarbeit mit dem Hinweis, dass die Postboten um ihr Leben fürchten müssten, würden die Amerikaner sie in Zukunft als Spitzel ansehen.

Auch sonst reagierte der Staat mit Härte: In den Tagen nach dem Anschlag wurden fast 1200 Ausländer festgenommen und ohne Anklage festgehalten, manche für Monate. Der Letzte kam erst in diesem Jahr frei. Zehntausende mussten sich befragen und erkennungsdienstlich erfassen lassen. Selbst ein Amerikaner, der zum Islam konvertierte José Padilla, wurde ohne Anklage mehr als drei Jahre auf einem Marineschiff festgehalten.

Ansehen durch Guantanamo ruiniert

International ruinierte das Ansehen der USA nichts so sehr wie die Einrichtung des Internierungslagers in Guantanamo, wo sicher einige reuelose Terrorkämpfer, aber auch erwiesenermaßen Unschuldige seit Jahren ohne Anklage festgehalten werden.

In CIA-Gefängnissen wurden - wie sich jetzt herausstellt - mindestens 14 mutmaßliche Terroristen über Jahre zumindest folterähnlichen Verhörmethoden ausgesetzt. In sogenannten "renditions" überließen die USA zudem Gefangene gezielt Ländern, in denen Folter üblich ist.

Die Nation befindet sich im Krieg, hämmert Präsident Bush seinen Landsleuten immer wieder ein. Und weil er als Präsident qua Verfassung commander in chief, also Oberbefehlshaber, ist, reklamiert Bush besondere Machtbefugnisse für sich. So ordnete er geheime Überwachungsprogramme an. Erst in den vergangenen Monaten kamen sie ans Licht: Der Geheimdienst NSA belauscht routinemäßig alle amerikanischen Auslandsgespräche. Im Inland werden die Daten von Ferngesprächen auf verdächtige Muster überprüft. Geldüberweisungen in die USA werden ebenfalls überwacht.

Die Amerikaner gewöhnten sich rasch an die neue Wirklichkeit. Die umständlichen Sicherheitschecks in Flughäfen und öffentlichen Gebäuden ertragen sie geduldig als notwendiges Übel. Und stets werden sie seither an die Gefahr erinnert: An Highways stehen Schilder, man möge verdächtiges Verhalten sofort melden.

In U-Bahnen gibt es entsprechende Durchsagen. Die Amerikaner billigen das Vorgehen ihrer Regierung. In den Tagen nach der Verabschiedung des Patriot Act im Oktober 2001 äußerte mehr als die Hälfte aller US-Bürger gar die Befürchtung, dass die Administration zu viel Rücksichten auf die Bürgerrechte nehmen könnte.

Zumindest diese Einschätzung änderte sich allerdings wieder. Schon ein Jahr später war die Zahl auf 40 Prozent gesunken. 44 Prozent fürchteten indes, dass die Bush-Regierung die Freiheitsrechte des Einzelnen übermäßig einschränkt - eine Zahl, die seither noch leicht gestiegen ist.

Doch auch wenn die Zahl der Skeptiker zunimmt, das Verständnis für die Sicherheitsgesetze bleibt eindrucksvoll hoch. Auf die Frage, "würden Sie einen Teil Ihrer persönlichen Freiheit aufgeben, um die Terrorgefahr zu senken?", antwortet noch immer mehr als die Hälfte aller Amerikaner mit einem schlichten "Ja". Vor einem Jahr waren es sogar noch fast zwei Drittel.

Entsprechend musste Präsident Bush auch nie um die öffentliche Unterstützung seiner umstrittenen geheimen Anti-Terror-Programme fürchten. 52 Prozent der Amerikaner billigen nach wie vor den routinemäßigen Lauschangriff des Geheimdiensts NSA auf Auslandsgespräche.

Ebenfalls knapp die Hälfte fand es in Ordnung, dass ihre Telefondaten auf verdächtige Gesprächsmuster überprüft werden. Skeptisch würden sie nur, wenn auch ihre Inlandsgespräche direkt abgehört würden.

So unbesorgt wie die breite Masse der Amerikaner sind indes längst nicht mehr alle. Dass die Bürgerrechtler der ACLU schon im September 2001 gegen die oppressiven Gesetze Sturm liefen, war zu erwarten.

"Kriegszustand kein Blankoscheck für einen Präsidenten"

Doch selbst die inzwischen pensionierte Richterin am Obersten Gerichtshof, Sandra Day O'Connor, mahnte Bush recht unverblümt: "Der Kriegszustand ist, was die Bürgerrechte angeht, kein Blankoscheck für einen Präsidenten."

Und ein renommierter Staatsrechtler wie Bruce Ackerman von der nicht weniger angesehenen Yale-University fragt besorgt: "Was passiert mit unserer Freiheit, wenn die Terroristen das nächste Mal zuschlagen?" Seine Antwort fällt düster aus: "Sie könnte glatt hinweggefegt werden mit der Verhängung des Kriegsrechts durch den Präsidenten." Das, sagt er, sei eine reale Gefahr für das Amerika des 21. Jahrhunderts.

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