Bürgermeisterwahl in Moskau:Wie Nawalny gegen Migranten Wahlkampf macht

-
(Foto: AFP)

Putin-Kritiker Alexej Nawalny gilt als wichtigste Identifikationsfigur der russischen Opposition. Doch in seinen Reden bedient er ungeniert Vorurteile gegen Migranten. Einige Regierungsgegner sind deshalb aufgebracht. Den Verurteilten Nawalny unterstützen sie, dem Kandidaten Nawalny misstrauen sie.

Von Carina Huppertz

Der Zähler auf der Internetseite von Alexej Nawalny hat fast das Ende der Skala erreicht. Knapp 10,5 Millionen Mal haben die freiwilligen Unterstützer des 37-Jährigen mit Moskauer Bürgern gesprochen - auf der Straße, in der U-Bahn, im Stau. Zwölf Millionen Kontakte sollen es sein, wenn die Wahllokale der Hauptstadt am Sonntag öffnen. Denn dann hat jeder Haushalt in Moskau drei Mal von Nawalny gehört, so die Rechnung des Kandidaten.

Alexej Nawalny will Bürgermeister der russischen Hauptstadt werden und er kämpft bis zum Schluss, obwohl die Wahlprognosen ihm keine Chancen einräumen. Sowohl das staatliche Meinungsforschungsinstitut Wziom, als auch das unabhängige Lewada Zentrum haben vor einigen Tagen prognostiziert, dass der Amtsinhaber und Putin-Vertraute Sergej Sobjanin bereits in der ersten Runde siegen werde. Etwa 60 Prozent der Stimmen soll er den Umfragen nach bekommen. Immerhin: Dass Nawalny mit etwa 17 Prozent auf dem zweiten Platz liegt, ist ein deutliches Signal.

Noch vor wenigen Monaten traute ihm kaum jemand in Russland zu, im Wahlkampf eine Rolle zu spielen. Mittlerweile helfen ihm Zehntausende Freiwillige, mehr als 30 Unternehmer haben einen "Sozialvertrag" unterschrieben. Sie unterstützen seine Kandidatur, seinen Kampf für Rechtstaatlichkeit und gegen Korruption. Nalwalny ist der einzige regierungskritische Kandidat, der deutlich Zuspruch bekommt, die vier anderen Oppositionellen liegen im Umfragen abgeschlagen zwischen drei und acht Prozent.

Aus dem Internet auf den Wahlzettel

Alexej Nawalnys Karriere wäre ohne das Internet undenkbar. Der Anwalt aus Moskau kaufte einige Aktien von staatlichen Unternehmen und konnte ihre Chefs dadurch zwingen, ihm Einsicht in die Geschäftsbücher zu gewähren. Er stellte die Dokumente auf seine Internetseite, machte Ungereimtheiten für die Öffentlichkeit sichtbar. Als im Winter 2011/2012 in Russland Tausende gegen die Regierung demonstrierten, profilierte sich Nawalny als Redner und Kopf der Bewegung. Im Oktober 2012 wollte die Opposition ihre Anstrengungen in einem "Koordinierungsrat" bündeln, Nawalny wurde mit den meisten Stimmen in das Gremium gewählt. Im Juni kündigte er an, als Bürgermeister von Moskau kandidieren zu wollen.

Einen Monat später wurde Nawalny in einem umstrittenen Prozess verurteilt. Der Grund: Er soll als Berater des Gouverneurs von Kirow, einer Region etwa 900 Kilometer östlich von Moskau, die staatliche Holzfirma um 400.000 Euro betrogen haben. Das Urteil: Fünf Jahre Lagerhaft. Das Verfahren war Monate vorher eigentlich eingestellt worden, wurde dann plötzlich wieder aufgerollt.

Tausende gingen auf die Straße und demonstrierten gegen das Urteil, auch andere oppositionelle Politiker schlossen sich den Protesten an. Einen Tag später kam Nawalny überraschend frei - offiziell, weil der Schuldspruch noch nicht rechtskräftig ist. Die russische Opposition ist sich einig: Das Urteil gegen Nawalny ist politisch motiviert. Wo sie sich nicht einig ist: Sollen sie auch den Kandidaten Nawalny - und nicht nur den Verurteilten - unterstützen?

Nawalny wirbt damit, das schärfste Programm gegen Einwanderung zu haben

Für Boris Wischnewsky ist die Frage leicht zu beantworten: Für den Verurteilten Nawalny setzt er sich ein, für den Kandidaten Nawalny nicht. Wischnewsky ist einer der bekanntesten oppositionellen Abgeordneten im Regionalparlament von Sankt Petersburg und Mitglied der Parteiführung der liberalen Jabloko-Partei.

Auch Nawalny war acht Jahre lang Mitglied der Partei, saß sogar im Vorstand, doch 2007 wurde er ausgeschlossen. Wischnewky erklärt in seinem Blog den Schritt mit den nationalistischen Äußerungen Nawalnys: Er verglich Migranten mit Kakerlaken, trat beim "Russischen Marsch" von Ultra-Nationalisten als Redner auf. Nach seinem Rauswurf verabschiedete er sich mit dem nationalistischen Gruß "Ehre sei Russland" von der Partei, schreibt Wischnewsky.

Alles Vergangenheit? Nicht für Nawalnys einstigen Parteifreund. "Im Moment appellieren Menschenrechtler, diese Anti-Migranten-Hysterie, mit der Wahlkampf gemacht wird, zu beruhigen. Und Nawalny brüstet sich damit, das schärfste Programm gegen Einwanderer zu haben", sagt Wischnewsky. Diese Haltung könne seine Partei nicht mit ihren Werten vereinbaren.

Moderater Nationalismus?

Im Moskauer Wahlkampf ist die illegale Einwanderung ein zentrales Thema - und eine Möglichkeit, auf Stimmenfang zu gehen. Amtsinhaber Sobjanin hat in den vergangenen Wochen immer wieder Razzien anordnen lassen, Migranten wurden abgeschoben. Nawalny forderte im Wahlkampf die Einführung einer Visumspflicht für die Ex-Sowjetstaaten in Zentralasien.

"Die Frauen in meinem Haus haben Angst, abends auf die Straße zu gehen", so Nawalny bei einer Wahlkampfveranstaltung im Stadtteil Mitino. Er behauptet, die Hälfte aller Straftaten in Moskau werde von Migranten begangen. "50 Prozent - das ist natürlich Quatsch, und das weiß sicher auch Nawalny", sagt Alexander Werchowsky von der Nichtregierungsorganisation Sova Center, die über Fremdenfeindlichkeit in Russland aufklären will.

Trotzdem betont Werchowksy im Gespräch mit Süddeutsche.de, dass sich Nawalny immerhin um sachliche Argumente bemühe. "Er hetzt nicht gegen illegale Migranten, sondern kritisiert, dass sie unter unmöglichen Bedingungen leben oder keine Ausbildung bekommen." Nawalny selbst wirft seinen Kritikern vor, das Thema totzuschweigen. Eine Visumspflicht sei zudem internationale Praxis. "Nach Deutschland oder Frankreich darf man auch nicht ohne Genehmigung", so Nawalny.

Es gibt keinen perfekten Anführer

Dass der Bürgermeisterkandidat in seinen Reden Vorurteile bedient, bestreitet aber auch Werchowsky nicht. Doch für ihn tritt Nawalny gemäßigt auf - und damit kann er sich arrangieren. "Nawalnys liberale Anhänger haben sich damit abgefunden, dass es keinen perfekten Anführer gibt", so Werchowsky. Weil die Opposition in Russland sehr schwach sei, profitiere sie davon, dass Nawalny so erfolgreich auf sich aufmerksam macht.

Wie es nach der Wahl für Nawalny weitergeht, ist ungewiss. Sein Berufungsverfahren steht noch aus, weitere Anklagen laufen gegen ihn. Der inhaftierte frühere Öl-Manager und Putin-Kritiker Michail Chodorkowskij hat sich aus einem pragmatischen Grund für Nawalny augesprochen. "Ich bin mir sicher, Alexej Nawalny darf nicht Bürgermeister werden, aber eine Millionen Stimmen könnten ihn davor bewahren, im Gefängnis zu verrotten", schreibt er in einem offenen Brief.

Nach der überraschenden Freilassung Nawalnys spekulierten viele, der Kreml sei sich uneins, wie die Regierung mit dem Blogger umgehen soll. Die Entscheidung darüber wird am Ende nicht nur Nawalnys Zukunft bestimmen - auch der künftige Weg der russischen Opposition hängt maßgeblich davon ab.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: