Bürgerkrieg in Syrien:US-Depesche nährt Gerüchte über Chemiewaffen-Einsatz in Homs

Lesezeit: 3 min

Hat Assad Nervengift gegen die Rebellen eingesetzt? Ja, behaupten die Aufständischen - und das US-Konsulat in Istanbul schließt sich dieser Aussage an. Eine chemische Waffe namens "Agent 15" soll zum Einsatz gekommen sein. Damit hätte das syrische Regime Obamas "rote Linie" überschritten. Zumindest theoretisch.

Von Michael König

Was geschah am Tag vor Heiligabend in der syrischen Stadt Homs? Die Rebellen klagten damals, das Assad-Regime habe chemische Waffen gegen sie eingesetzt. Auch der damalige Chef der Militärpolizei, Generalmajor Abdul Asis Jassim al-Schallal, erhob Ende Dezember diesen Vorwurf - und lief zu den Abtrünnigen über.

Jetzt, einige Wochen später, bekommt das Gerücht neue Nahrung. US-Diplomaten seien in einer "geheimen, intensiven Untersuchung" zu dem Schluss gekommen, das syrische Militär habe in Homs Chemiewaffen eingesetzt, berichtet The Cable, ein Blog des US-Magazins Foreign Policy.

Der Autor beruft sich auf eine entsprechende Depesche des US-Konsulats in Istanbul, die Generalkonsul Scott Frederic Kilner vergangene Woche an das Außenministerium in Washington gesendet habe. Nach Gesprächen mit Aktivisten, Medizinern und Überläufern gebe es "überzeugende Argumente" dafür, dass Assads Militär Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt habe, wird ein US-Beamter zitiert.

"An Obama administration offical who reviewed the document, which was classified at the 'secret' level, detailed its content to The Cable . 'We can't definitely say 100 percent, but Syrian contacts made a compelling case that Agent 15 was used in Homs on December 23', the official said."

"Agent 15" ist ein Nervengift, dessen Wirkung Experten mit der Droge LSD vergleichen. Die Symptome stimmen mit jenen überein, die syrische Aktivisten in Homs beschrieben haben: Schwindel, Übelkeit, Realitätsverlust, Halluzinationen, Magenschmerzen und Erbrechen. Bei YouTube kursieren Videos mit Berichten Betroffener.

Tödliches "Zombie-Gas"

Die Nato nennt die entsprechende Chemiewaffe BZ (3-Chinuclidinylbenzilat, auch 3-QNB). Sie gilt als vergleichsweise harmlose Waffe, weil sie die Opfer zeitweise kampfunfähig macht. Nur bei hohen Dosen drohen Bewusstlosigkeit, Atemlähmung und Tod. Das US-Militär testete BZ in den fünfziger Jahren an Soldaten, die nach der Einnahme manchmal mehrere Tage den Bezug zur Realität verloren. Es wird deshalb auch "Zombie-Gas" genannt.

Ob BZ oder ein ähnlicher Stoff jemals in einem Krieg oder Konflikt eingesetzt wurde, gilt als unsicher. 1992 erklärten mosambikanische Soldaten, südafrikanische Truppen hätten BZ gegen sie verwendet. Angeblich wurde BZ auch während der Kriege nach dem Zerfall Jugoslawiens eingesetzt - sowohl von bosnischen Truppen, als auch von Serben gegen Moslems und Kosovoalbaner.

1998 wurde bekannt, dass der Irak offenbar ebenfalls über ein solches Gift verfügte. Von dort aus könnte es nach Syrien gelangt sein, wo Präsident Assad Experten zufolge weit schlimmere C-Waffen hortet.

Die geheime Depesche der Amerikaner ist brisant, weil US-Präsident Barack Obama den syrischen Präsidenten im August 2012 vor dem Einsatz von Chemiewaffen gewarnt hatte.

Assad überschreite damit eine "rote Linie", sagte Obama. Sein Statement wurde auch als Warnung an China und Russland gewertet, die ein militärisches Eingreifen der Vereinten Nationen in Syrien durch ihr Veto im Weltsicherheitsrat bislang verhindert haben.

"We have been very clear to the Assad regime, but also to other players on the ground, that a red line for us is we start seeing a whole bunch of chemical weapons moving around or being utilized. That would change my calculus. That would change my equation."

Dieser Fall könnte nun eingetreten sein. Dass die USA nun in Syrien offiziell militärisch aktiv werden, ist jedoch unwahrscheinlich. Das Weiße Haus hat sich inzwischen geäußert und den Wahrheitsgehalt des Berichtes angezweifelt.

"'The reporting we have seen from media sources regarding alleged chemical weapons incidents in Syria has not been consistent with what we believe to be true about the Syrian chemical weapons program', White House National Security Council spokesman Tommy Vietor said in a statement."

Experten halten die Quellenlage der Untersuchung für fragwürdig, weil sie sich offenbar ausschließlich auf Aussagen von Gegnern des syrischen Regimes stützt. Foreign Policy zitiert Mediziner in Homs, die zwar Blut-, Speichel- und Haarproben von Opfern des Angriffes genommen haben wollen. Jedoch habe es ihnen an Ausrüstung gefehlt, um die Proben auf Spuren von Chemiewaffen zu untersuchen. Für eine Prüfung in einem Labor seien die Proben inzwischen zu alt.

Bodenmission "keine Option"

Hinzu kommt, dass die US-Regierung derzeit öffentlich ihr Desinteresse an einer Intervention in Syrien betont. Obamas "rote Linie" ist momentan wohl eher ein Gummiband, das Assad einen gewissen Spielraum lässt. Bereits Anfang Dezember hatte es Berichte gegeben, wonach das US-Militär beobachtet habe, wie syrische Bomben mit Chemiewaffen bestückt worden seien. Die USA griffen trotzdem nicht ein, zumindest nicht militärisch. Es gilt allerdings als gesichert, dass sie - wie andere Länder, etwa Großbritannien - die Rebellen längst mit Knowhow und Waffen unterstützen.

Erst vor einigen Tagen hatte der scheidende US-Verteidigungsminister Leon Panetta gesagt, in einer "feindlichen Umgebung" sei eine Bodenmission "keine Option". Anders wäre das syrische C-Waffen-Arsenal jedoch wohl kaum zu beschützen.

Ähnlich äußerte sich General Martin Dempsey, der Vorsitzende des Vereinigten Generalstabs der US-Streitkräfte, der zugab, die USA könnten wenig tun, um Assad im Fall eines C-Waffen-Einsatzes zu stoppen:

"'The effort, or the act of preventing the use of chemical weapons would be almost unachievable, because - you would have to have such clarity of intelligence, persistent surveillance, you'd have to actually see it before it happened, and that's - that's unlikely, to be sure."

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Linktipp: Das US-Magazin Wired kommt auf seiner Website zu dem Schluss, es sei ein Gas in Homs eingesetzt worden, aber vermutlich keine chemische Waffe.

Mitarbeit: Markus C. Schulte von Drach

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