Bürgerkrieg in Syrien:Rebellen und Armee rüsten sich für entscheidenden Kampf um Aleppo

Der Syrien-Sonderbeauftragte geht, die Gewalt nimmt kein Ende: Während sich die Veto-Mächte im Sicherheitsrat gegenseitig die Schuld an Annans Rückzug geben, steht der "Hauptkampf" um Aleppo offenbar kurz bevor. Die Gewalt macht selbst vor Flüchtlingslagern nicht mehr halt.

Nach dem Rückzug des Syrien-Sonderbeauftragten Kofi Annan rückt eine Lösung des blutigen Konflikts in weite Ferne. Während sich die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats gegenseitig für das Scheitern von Annans Vermittlungsbemühungen verantwortlich machen, gehen die erbitterten Kämpfe in Syrien weiter. In der Wirtschaftsmetropole Aleppo rüsten sich Regierungstruppen und Rebellen für eine entscheidende Schlacht.

"In Aleppo sehen wir einen bemerkenswerten Aufbau von militärischem Gerät, der uns glauben lässt, dass der entscheidende Kampf kurz bevorsteht", sagte UN-Untergeneralsekretär Hervé Ladsous. Das syrische Regime verstärkt offenbar seine Truppen in der heftig umkämpften Stadt. "Dutzende Lastwagen mit Soldaten und mehr als 100 Panzer wurden rund um Aleppo in Stellung gebracht", sagte der örtliche Rebellenkommandeur der Deutschen Presse-Agentur.

Die Rebellen kontrollieren nach eigener Darstellung inzwischen rund ein Drittel der Stadt, vor allem im Ostteil. In Aleppo spitze sich die humanitäre Krise weiter zu - weil die Müllabfuhr nicht mehr arbeite, stinke der Abfall zum Himmel, berichtete eine Reporterin des Fernsehsenders al-Dschasira aus der Stadt. Vor Bäckereien bildeten sich lange Schlangen. Gas zum Kochen sei Mangelware. Die Luftangriffe versetzten die Zivilbevölkerung in Angst und Schrecken.

In Damaskus kamen beim Beschuss eines palästinensischen Flüchtlingslagers nach Angaben von Aktivisten mehr als ein Dutzend Menschen ums Leben. Das Lager Jarmuk sei am Donnerstagabend von Mörsergranaten getroffen worden, berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Unter den Opfern sollen auch zwei Kinder sein. Wer die Granaten abfeuerte, war nicht bekannt. In dem Lager leben fast 150.000 Menschen.

Die amtliche Nachrichtenagentur Sana beschuldigte "terroristische Söldner", eine Bezeichnung der Regierung für Aufständische. Der Angriff erfolgte zeitgleich mit einer Militäraktion von Regierungstruppen gegen Rebellen in den südlichen Außenbezirken der Stadt. Am Donnerstag geriet auch das nahegelegene Viertel Tadamon unter Beschuss. Ladsous berichtete, auch in Damaskus seien regelmäßig weiter Explosionen zu hören.

Clinton kritisiert Russland und China

Nach dem Rückzug des Syrien-Sonderbeauftragten Kofi Annan haben die USA China und Russland eine Mitschuld an dessen Entscheidung gegeben. Die beiden Länder hatten eine schärfere Gangart gegen das Regime in Damaskus im Sicherheitsrat blockiert. "Unglücklicherweise wurde der Weltsicherheitsrat daran gehindert, ihm die notwendigen Mittel an die Hand zu geben, um seine Arbeit voranzubringen", sagte US-Außenministerin Hillary Clinton und kritisierte damit indirekt Russland und China.

Die Entscheidung verdeutliche das Versagen beider Länder, bedeutende Resolutionen gegen den syrischen Machthaber Baschar al-Assad zu unterstützen, die den Verstoß gegen Annans Sechs-Punkte-Plan geahndet hätten, sagte US-Regierungssprecher Jay Carney. Auch die UN-Botschafterin der USA, Susan Rice, kritisierte die Rolle Russlands und Chinas scharf. "Die Mitglieder, die das Handeln im Sicherheitsrat blockiert haben, haben den Einsatz von Annan unmöglich gemacht."

Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle betonte, es sei "höchste Zeit", dass Russland und China dem Assad-Regime ihre schützende Hand entzögen. "Es ist deutlich, dass Kofi Annan sein Amt auch wegen der Blockadehaltung im Sicherheitsrat niederlegt, die Russland und China zu verantworten haben", sagte der Minister. Nur wenn die internationale Gemeinschaft geschlossen agiere, werde Annans Nachfolger eine Chance haben.

"Wahrscheinlich undankbarstes aller Ämter"

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sagte, er sei Annan zu höchstem Dank verpflichtet für den selbstlosen Einsatz, sein herausragendes diplomatisches Geschick und das Ansehen, das er in das "schwierigste und wahrscheinlich undankbarste aller Ämter" mitgebracht habe. Die Suche nach einem Nachfolger, der Annans Bemühen um einen Frieden in Syrien fortsetzen soll, habe im Einvernehmen mit der Arabischen Liga bereits begonnen. Wer Annan als Vermittler von Vereinten Nationen und Arabischer Liga folgen soll, ist unklar.

Kampf um Aleppo

Ein zerstörter Panzer der syrischen Armee vor den Ruinen einer Moschee im Norden von Aleppo: Regierungstruppen und Rebellen rüsten sich für die Schlacht um die Wirtschaftsmetropole.

(Foto: AFP)

Der UN-Generalsekretär sprach sich für eine Fortsetzung der UN-Präsenz in Syrien auch nach dem Ablauf des Mandats der Beobachtermission UNSMIS am 19. August aus. "Es ist die Sichtweise des Generalsekretärs, dass die UN auf irgendeine Art und Weise in Syrien bleiben müssen", sagte UN-Untergeneralsekretär Hervé Ladsous. Ladsous war Ende Juli in Syrien und hatte den Sicherheitsrat am Donnerstag bei einem Treffen hinter verschlossenen Türen über die aktuelle Lage dort informiert. Ban werde dem Sicherheitsrat Vorschläge unterbreiten, wie die Fortsetzung der UN-Präsenz in Syrien aussehen könne.

Nach Einschätzung des französischen UN-Botschafters Gerard Araud wird der Sicherheitsrat das Mandat allerdings höchstwahrscheinlich nicht erneuern. "Ich denke, die Mission wird am 19. August erlöschen", sagte Araud. Während Araud vom wahrscheinlichen Ende des Einsatzes sprach, betonte der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin, Moskau werde UN-Generalsekretär Ban drängen, die Beobachtungsmission fortzusetzen.

Annan wirft Sicherheitsrat mangelnde Unterstützung vor

"Ohne ernsten, entschlossenen und vereinten internationalen Druck, auch von den Mächten der Region, ist es mir wie auch jedem anderen unmöglich, an erster Stelle die syrische Regierung - und auch die Opposition - zu zwingen, mit den nötigen Schritten für einen politischen Prozess zu beginnen", sagte der 74-jährige Annan. "Während das syrische Volk verzweifelt nach Taten verlangt, gehen die gegenseitigen Schuldzuweisungen im Sicherheitsrat weiter", kritisierte Annan.

Russlands UN-Botschafter Witali Tschurkin bedauerte den Rückzug Annans. Sein Land hoffe, "dass Kofi Annan im verbleibenden Monat trotz schwerer Bedingungen noch Erfolge erzielen kann". Zugleich kamen aus Moskau indirekte Schuldzuweisungen an die Unterstützer der Regimegegner. "Er (Annan) ist ein ehrlicher internationaler Vermittler, aber es gibt solche, die ihn aus dem Spiel nehmen wollen, um freie Hand für den Einsatz von Gewalt zu haben", schrieb Vizeaußenminister Gennadi Gatilow in der Nacht zu Freitag auf Twitter. Nach der Entscheidung Annans stellten sich nun viele Fragen für die Zukunft Syriens.

China äußerte Verständnis für die Entscheidung Annans. Ein Sprecher des Außenministeriums in Peking sagte, Peking halte die Schwierigkeiten, auf die Annan gestoßen sei, für nachvollziehbar und respektiere seine Entscheidung. China bedauere den Rückzug.

Die Regierung in Damaskus reagierte ebenfalls mit "Bedauern" auf Annans Rückzug. Zugleich warf die syrische Führung ihren Kritikern im Sicherheitsrat vor, sie wollten die Stabilität Syriens erschüttern. Mit der Unterstützung und Bewaffnung "terroristischer Gruppen" hätten diese Staaten dazu beigetragen, dass die Gewalt im Land anhalte. Auch ein Vertreter des oppositionellen Syrischen Nationalrates bedauerte den Rücktritt Annans. "Er wusste, dass all seine Bemühungen vergeblich waren, und deshalb trat er zurück", sagte ein Mitglied des Exil-Dachverbands syrischer Oppositioneller. Die Lage in Syrien sei in eine kritische Phase getreten, fügte er hinzu.

Während die Kämpfe in Syrien weitergehen, wollen die 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen an diesem Freitag in der Vollversammlung über einen Text abstimmen, der Assads Blutbad am eigenen Volk scharf verurteilt. Im Sicherheitsrat, dem einflussreichsten Gremium der Vereinten Nationen, waren entsprechende Resolutionen stets am Widerstand der Russen und Chinesen gescheitert.

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