Bürgerkrieg in Syrien:Furcht vor dem Balkan-Szenario

Der diplomatische Ringelreihen - Russlands und Chinas Veto, Amerikas Lavieren - spielt für die Entwicklung in Syrien keine Rolle. Jetzt, da Assads Gegner vor dem Herrscherpalast stehen, werden Schreckensszenarien denkbar: Sollten sie ethnische Säuberungen oder Giftgaseinsätze durchführen, würde dies die UN in eine absurde Lage zwingen.

Sonja Zekri

Die US-Regierung hat gelegentlich fast etwas Rührendes. Am Tag nach dem Anschlag auf Regierungsmitglieder in Damaskus, bei dem der Verteidigungsminister starb und die ersten Beobachter den Sturz von Baschar al-Assad binnen Stunden prophezeiten, verkündete Washington in tiefer Sorge vor weiterem Blutvergießen Finanzsanktionen gegen einen syrischen Minister.

Kurz darauf wurde die Abstimmung über eine UN-Resolution auf Wunsch von Vermittler Kofi Annan verschoben. Ein Telefonat zwischen Barack Obama und Wladimir Putin brachte erwartungsgemäß keinen Durchbruch. Im Gegenteil: Wie erwartet blockierten Moskau und Peking die Resolution per Veto.

Es sind nur wenige Ereignisse vorstellbar, die für die Entwicklung in Syrien weniger Relevanz haben als dieser diplomatische Ringelreihen. So sehen es die syrischen Regime-Anhänger, die sich in Kasernen verschanzen oder heimliche Fluchten planen. So sehen es - in einem seltenen Moment der Einigkeit - auch Assads Gegner. Sechzehn Monate haben sie gekämpft und gelitten, während ein Friedensplan nach dem anderen in zähen Verhandlungen scheiterte.

Nun stehen sie vor den Toren von Assads Palast. Aus eigener Kraft. Und sie werden niemandem Rechenschaft für ihr Tun ablegen, nachdem sie Assad von dort vertrieben haben. Im postrevolutionären Libyen kann man studieren, wie rasch der internationale Einfluss schwindet, wenn Waffen und Geld geliefert sind. Dort hat die Verbindung zum Golfemirat Katar einen einst mächtigen Militärkommandeur gerade politisch erledigt. Von Paris oder Brüssel, den anderen Verbündeten gegen Gaddafi, lässt sich dort erst recht niemand mehr etwas sagen.

In Syrien hat es solche Allianzen nie gegeben. Viele, auch Sympathisanten der Aufständischen, warnen schon jetzt vor ethnischen Säuberungen, vor einem Balkan-Szenario und Massakern an den regimetreuen Alawiten, denen der Assad-Clan angehört und wo er seine Killer rekrutiert.

Giftgas gegen regimetreue Alawiten

Eines der Schreckensszenarien geht davon aus, dass die Assad-Gegner die Giftgasreserven des Regimes gegen die Alawiten einsetzen könnten. Wenn der UN-Sicherheitsrat, der in Syrien vor einem Militäreinsatz mit Recht zurückscheute, nun in die Zwangslage käme, die Unterstützer Assads schützen zu müssen, wäre dies absurd. Undenkbar ist es nicht.

Vielleicht wäre dies alles leichter hinzunehmen, wenn es die Folge einer Politik wäre, die sich tatsächlich Syrien widmete und nicht einem Kräftemessen, in dem Damaskus lediglich der Joker ist. Washington beispielsweise betrachtet den Syrien-Konflikt vor allem unter dem Aspekt, welchen Nutzen er für die Politik gegenüber Iran hat. Der Druck des Aufstands, so die anfängliche Hoffnung, könnte Teherans Verbündeten Assad schwächen, könnte ihn zugänglich machen für die Loslösung von den Persern.

Diese Erwartung war ein Irrtum. Nun boykottiert Washington Verhandlungen über Syrien unter Teilnahme Irans. Und die Sunniten-Reiche Saudi-Arabien und Katar rüsten die syrischen Rebellen für die künftige Auseinandersetzung mit dem schiitischen Iran auf.

Russland wiederum zählt zwar vernünftige Gründe gegen eine Einmischung von außen auf. In Wahrheit aber hat der Dauer-Präsident Wladimir Putin nicht begriffen, welche fundamentale Verschiebung das Erwachen eines Volkes bedeutet - nicht im eigenen Land und nicht im Nahen Osten. Er setzt, wie in alten Zeiten, auf den guten Draht zum Herrscherhaus, um den Einfluss des Westens einzudämmen.

Die Welt hat keine Lösung für Syrien gefunden. Vielleicht bestand die Chance auf eine Lösung tatsächlich nur wenige Wochen. Nun wird sich das syrische Drama in all seiner Grausamkeit entfalten. Ob die Welt redet oder nicht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: