Bürgerkrieg in Syrien:Ein Schlachtfeld wie ein Schachbrett

Unrest in Aleppo

Chaos in Syrien: Wer kämpft eigentlich gegen wen?

(Foto: dpa)

Als der Arabische Frühling 2011 Syrien erreicht, jubelt die Welt: Weg mit dem Bösewicht Assad, wieder gewinnt die Demokratie. Doch die Realität ist bitter. Syrien ist nur noch ein Schachbrett, auf dem verschiedene Spieler ihre Interessen durchsetzen wollen. Und das Land blutet aus.

Ein Kommentar von Tomas Avenarius

Gelegentlich haben auch ausgemachte Unsympathen einmal recht. Der irakische Regierungschef Nuri al-Maliki etwa, der Saddam Hussein beerbt hat und alles andere als ein politisches Lämmchen ist.

Maliki hat nach dem via Internet verkündeten Zusammenschluss der wichtigsten Dschihadisten-Truppe in Syrien mit al-Qaida eine Prognose für das Nachbarland abgegeben, die so düster wie bedenkenswert wie unbestreitbar ist: Nach dem Fall des Assad-Regimes wird ein Machtvakuum entstehen, die syrischen Al-Qaida-Kämpfer werden keine Ruhe geben. Ihr unheiliger Heiliger Krieg wird weitergehen - über die Grenzen hinweg.

Wer trägt das Demokratiekäppchen?

Der Irak selbst erlebt bis heute, was geschieht, wenn Gotteskrieger den Kampf gegen Besatzer oder eine ungeliebte Regierung führen: Dauerkampf, Gemetzel, unendliches Leid und das Aus für jeden demokratischen Wandel. Maliki ist kein Hellseher. Er sieht nur das Offensichtliche.

Beim Treffen der G-8-Außenminister in London wurden Malikis Einsichten ignoriert. Großbritannien will die syrischen Aufständischen endlich im großen Stil bewaffnen. Nur die Guten natürlich. Wie die Briten prüfen wollen, wer unter den Rebellen das weiße Demokratenkäppchen und wer den schwarzen Islamistenturban trägt, verschweigen sie. Sie können es auch nicht wissen, weil es kein Außenstehender weiß. Der deutsche Außenminister wiederholt dazu sein Mantra: "Dass weniger Menschen sterben, wenn mehr Waffen geliefert werden, ist alles andere als ausgemacht." Stimmt. Aber Guido Westerwelle will den Aufbau der gemäßigten Opposition und die humanitäre Versorgung in den befreiten Gebieten betreiben. Dann sollte er den Menschen nicht nur Medikamente, sondern auch Stahlbeton für Luftschutzbunker liefern.

Die Zivilisten bezahlen den Preis

Der Aufstand gegen Syriens Herrscher Baschar al-Assad ist zu einem Geschwür mutiert: Aus berechtigten Forderungen - "Freiheit, Gerechtigkeit, Würde" - an einen uneinsichtigen, skrupellosen Machthaber ist ein Bruderkrieg erwachsen, in dem es neben dem personifizierten Bösen namens Baschar al-Assad nur noch herzlich wenige Gute gibt. Stattdessen gibt es Kriegsparteien verschiedenster Färbung. Zwischen ihnen stehen Zivilisten, die den Preis bezahlen.

Die Euphorie darüber, dass der arabische Frühling auch Syrien erreicht hat, ließ Außenstehende diese Mutation lange verschweigen. Sie attestierten stattdessen das Entstehen von Demokratie, wo schon lange keine Demokratie mehr zu erwarten ist. Das gilt für Politiker ebenso wie für Journalisten. Und es ist Zeit, dies einzuräumen. In Syrien zeigt sich zudem die Chimäre von der "Weltgemeinschaft", die einen innerstaatlichen Konflikt durch Moderation oder Einschreiten - sprich Krieg - angeblich lösen kann.

Was bleibt, ist erschüttertes Zuschauen

Der Aufstand bestand fast von Anfang an aus zwei Konflikten. Syrer kämpfen gegen Syrer, um den bei einem Teil der Bevölkerung verhassten Herrscher zu verjagen. Der zweite Krieg wird geführt zwischen den Nachbarstaaten und deren Verbündeten. Das Schlachtfeld gleicht einem Schachbrett, an dem ein Dutzend Spieler nach Belieben ziehen oder ihre Handlanger die Schmutzarbeit machen lassen.

Es wäre billig, allein Amerikanern und Europäern Eigennutz und Versagen vorzuhalten. Die Iraner und ihre Hisbollah-Satrapen stützen mit Waffen und Kämpfern den verbündeten Assad. War je etwas anderes zu erwarten? Chinesen und Russen haben Vorbehalte gegen eine Intervention. Die hatten sie immer.

Die von der Arabellion bisher verschonten Herrscher am Persischen Golf missverstehen Syrien als historische Chance, den Aufstand von ihren Palästen fernzuhalten. Saudi-Arabiens greise Herrscher haben mehr Erdöl als Legitimität. Ein Krieg auf fremdem Boden bietet die Gelegenheit, die jungen Saudis mit Geldgeschenken ruhig zu halten und allzu hitzige Gemüter in den Dschihad nach Syrien ziehen zu lassen - in der Hoffnung, dass sie nie zurückkehren. Und der Kampfzwerg Katar? Nationale Geltungssucht lässt einen auf gewaltigen Bodenschätzen thronenden Emir jede Revolte unterstützen, die den Einfluss seines Kleinststaates stärken könnte. Der aufgeblasene Herrscher von Doha würde die Tibeter gegen Peking unterstützen, solange die nur al-Dschasira schauen und er mit am Tisch sitzen darf, wenn die Scherben gekittet werden. Warum also nicht den syrischen Rebellen Gewehre liefern?

In Syrien ist es nun zu spät. Das Land wird ausbluten, so wie Afghanistan es seit drei Jahrzehnten tut. Möglicherweise hätte sich das Fiasko gar nicht vermeiden lassen. Tatsache ist, dass in Syrien inzwischen die Chance für jegliche Art des Eingreifens verpasst ist. Es bleibt nur das erschütterte Zuschauen.

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