Bürgerkrieg in Syrien:Christus kam bis Maalula

Bürgerkrieg in Syrien: Maalula in Syrien: Trauerfeier für Bewohner, die bei  Kämpfen um den Christen-Ort starben

Maalula in Syrien: Trauerfeier für Bewohner, die bei Kämpfen um den Christen-Ort starben

(Foto: Anwar Amro/AFP)

Hier spricht man noch Aramäisch, die Sprache Jesu: Fünfzig Kilometer nördlich von Damaskus liegt eine der ältesten christlichen Gemeinden der Welt. Jetzt macht islamistischer Terror auch vor ihr nicht mehr halt. Würde ein US-Militärschlag den Minderheiten im syrischen Vielvölkerstaat helfen?

Von Sonja Zekri, Kairo

Während die Welt darum ringt, eine Verstrickung in den Syrien-Krieg zu vermeiden, tut dieser, was er seit zwei Jahren tut: Er breitet sich aus, greift über auf Regionen, die alle Kriegsparteien bislang verschonten, hochsymbolische Orte, deren Zerstörung niemandem nützt, aber die eben auch niemand schützt. Nicht einmal die hoffnungsfrohe Aussicht auf die zügige, UN-gestützte Vernichtung aller Chemiewaffen in Syrien, nicht einmal der Abtransport des letzten Kanisters Senfgas würde daran wohl etwas ändern.

Maalula ist so ein Symbol-Ort. Maalula liegt spektakulär unter einer Steilklippe mit einer Christusfigur darauf wie auf dem Corcovado in Rio. Es ist ein Nest mit 5000 Einwohnern, 50 Kilometer nördlich von Damaskus, aber seine Geschichte reicht wie ein Senkblei in die Vergangenheit Syriens, des Christentums, einer jahrhundertealten Tradition religiöser Toleranz. In Maalula lebt eine der ältesten christlichen Gemeinden der Welt und ganz sicher die älteste Syriens, hier wohnen Menschen, die Aramäisch sprechen, die Sprache von Jesus Christus, Lingua Franca in Syrien, Palästina und dem Zweistromland, bis es vom Arabischen verdrängt wurde wie das Christentum vom Islam. Heute beherrschen hier das Aramäische nur Minderheiten: Juden, Assyrer, Chaldäer, Christen.

Besucher können in den Klöstern und Kirchen Maalulas aramäische Predigten hören, können Höhlen und Gräber im Fels besichtigen. Präsident Baschar al-Assad erlaubte aramäische Bildungsprogramme. Touristen aus Damaskus genossen die Luft. Internationale Oldtimer-Rallyes legten einen Halt im dem Hotel auf der Klippe ein. Maalula ist nicht Bethlehem, aber für christliche Pilger eine feste Größe.

Kampf gegen die "Kreuzfahrer"

Heute ist Maalula verlassen. Monatelang war der Ort Zuflucht für Syrer aus anderen, umkämpften Gegenden. Nun sind die Einwohner selbst auf der Flucht - wie ein Drittel des Landes. Lange lagen die Rebellen vor Maalula, aber sie ließen das Christendorf unberührt. Aber dann, vor einer Woche, sprengte sich ein jordanischer Selbstmordattentäter vor einem Armeeposten in die Luft, mindestens sieben Assad-Kämpfer starben, und die Rebellen strömten in die Stadt. Pickups voller Bewaffneter, darunter Dschihadisten der al-Qaida-assoziierten Nusra-Front oder der Ahrar-al-Scham-Brigade, aber auch moderatere Kämpfer der Freien Syrischen Armee donnerten durch die Straßen, schossen in die Luft, zogen zur einzigen lokalen Moschee und drehten erste Videos von der Einnahme der Stadt. In einigen soll vom Kampf gegen die "Kreuzfahrer" die Rede gewesen sein, aber in anderen versprachen sie, Kirchen und Christen in Ruhe zu lassen: Diese Menschen sind Familie, und sie sollten bleiben, wo sie sind, hieß es.

Dazu war es etwas spät. Die Mönche Maalulas waren längst geflohen, auch die meisten Einwohner der Stadt, nur eine Handvoll Nonnen und die Kinder, die sie betreuten, waren geblieben. Sie flüchteten sich in eine Höhle, wo die Dschihadisten sie fanden. Später sagte Pelagia Sajaf, die Klostervorsteherin, der Washington Post telefonisch, man habe ihnen nichts getan, einige der Kämpfer hätten kein Arabisch gesprochen, andere einen saudischen Akzent gehabt. Tatsächlich ist unklar, wie sehr und durch wen Kirchen oder Klöster beschädigt wurden. Einige Berichte sprechen von Mörsern der Rebellen, die, wenn auch nicht absichtlich, Schaden anrichteten, andere machen das Regime verantwortlich.

Angst vor islamistischer Internationale

Denn wie zuvor in der mächtigen Kreuzfahrerburg Crac des Chevaliers, wie in Palmyra drohte auch diesem historischen Ort die fatale Kettenreaktion von Rebellen-Sieg und Regime-Bombardement. Dennoch scheint es wenige Opfer gegeben zu haben, was die Nonne Pelagia nicht überrascht: "Maalula ist ein besonderer Ort." Nach anderen Informationen haben die Dschihadisten Häuser und Kirchen zerstört, Kreuze und Ikonen verbrannt, einen der Übriggebliebenen gezwungen, zum Islam überzutreten. Einer soll getötet worden sein. Es wäre ein Muster, das die Gesellschaften des Nahen Ostens für immer verändern könnte: Die Christen, jahrhundertelang Nachbarn der muslimischen Araber, politische Gefährten im Kampf gegen Kolonialismus oder Feudalismus, werden von einer islamistischen Internationale vertrieben. So geschah es im Irak, so könnte es, wenn es schlecht läuft, in Ägypten geschehen. Weder hier noch dort waren Chemiewaffen nötig. Hier wie dort reichte ein ganz konventionelles Maß an politischer Gewalt. Auch deshalb warnen christliche Würdenträger, unter ihnen Papst Franziskus, vor einem Militärschlag und viele sogar vor einem Regimewechsel.

In den zwei Jahren des Krieges haben es die Oppositionellen trotz zahlreicher Ankündigungen nicht geschafft, die Minderheiten auf ihre Seite zu bringen. Inzwischen ist die aggressiv sunnitische Ideologie der Kämpfer eines der stärksten Argumente für jeden Gegner eines Regimewechsels, zum Beispiel Russland.

Natürlich gibt es viele andere Orte Syriens, wo ebenfalls Menschen sterben. In Idlib etwa brachen Kämpfe unter Islamisten aus, unter ihnen waren Malaysier. In Homs töteten Dschihadisten Angehörige der alawitischen Minderheit, in Tartus ein turkmenisches Ehepaar. Hätten diese Menschen eine Chance gehabt, wenn Assad der Chemiewaffenkonvention bereits beigetreten wäre? Hätte ein amerikanischer Militärschlag irgendetwas verändern können? Für Maalula sind andere Fragen näherliegend. Warum wir? Aus Rache der Rebellen für den Chemiewaffenangriff? Aus strategischen Gründen, um in Zentralsyrien voranzukommen? Wenn der Krieg nur lange genug dauert, findet er immer einen Grund. Am Dienstag zogen sich einige Brigaden zurück. Aber der Beschuss hält an.

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