Bündnis 90/Die Grünen:Postenjäger im grünen Gewand

Wer wird was in der Zeit danach - im Schatten Joschka Fischers ist das Gerangel um die wenigen verbleibenden Ämter in vollem Gang.

Von Robert Roßmann

Wer sich in diesen Tagen in die Welt der Grünen begibt, hat schnell das Gefühl, in einem Hort voller Horror-Visionen gelandet zu sein. Kein Telefonat, keine Begegnung, kein Hintergrundgespräch, in dem einem nicht blutrünstige Vokabeln entgegenschlagen.

"Am 18. September beginnt ein Schlachtfest", orakeln die einen. "Das Gemetzel wird brutal", prophezeien die anderen, "viele werden das nicht überleben". Und selbst eine als besonders friedfertig bekannte Ober-Grüne gruselt es schon lustvoll vor dem "gnadenlosen Hauen und Stechen, das uns bevorsteht".

Der 18. September, das ist der Tag der Bundestagswahl. Der Tag, an dem wahrscheinlich endgültig feststeht, dass die Grünen all die schönen Minister- und Staatssekretärs-Ämter abgeben müssen - und nur die beiden Fraktionsvorsitze als Verfügungsmasse bleiben.

Zehn Regierungsmitglieder stellen die Grünen, die meisten von ihnen haben keine Lust aufs Altenteil. Und von unten drängen bereits die Neuen, die nach einer Niederlage der Alten ihre Chance kommen sehen.

Schlechte Aussichten für die Chefinnen

Keine guten Aussichten für die Fraktionschefinnen Krista Sager und Katrin Göring-Eckardt. Die beiden wollen trotzdem um ihre Ämter kämpfen, bieten diese doch die beste Ausgangslage für die Ära nach Joschka Fischer.

Es ist der letzte Wahlkampf des Außenministers, aller Voraussicht nach wird die Partei schon im Herbst ohne den Übervater auskommen müssen. Diadochen-Zeit bei den Grünen. Die nächsten Monate entscheiden über die Karrieren des kommenden Jahrzehnts.

Es geht um nichts weniger als die Frage, wie das grüne Leben nach Fischer aussehen wird. Noch hat sich der Nebel über dem grünen Schlachtfeld nicht gelegt, noch weiß keiner, wie es genau weitergeht.

Doch zwei Namen blitzen schon jetzt auffällig oft auf: Renate Künast und Fritz Kuhn, umtriebige Verbraucherministerin die eine, Wahlkampfchef und Fischer-Freund der andere.

Die ersten Polit-Zocker setzen bereits darauf, dass die beiden im September Fraktionschefs werden. Der Einsatz ist noch mutig, bisher hat niemand seine Kandidatur erklärt. Es ist ja noch nicht einmal sicher, wie und ob es zu Neuwahlen kommt.

Sager und Göring-Eckardt zittern trotzdem schon um ihre Ämter. Dabei machen die Fraktionsvorsitzenden ihren Job so gut, wie kaum ein Grünen-Doppel zuvor.

Fraktionschef-Toto

Obwohl die beiden Frauen unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf der einen Seite die kinderlose Heiratsverweigerin Krista Sager mit ihrer klassisch westgrünen K-Gruppen-Sozialisation und den dazugehörigen biografischen Brüchen.

Auf der anderen Seite die mit einem Pfarrer verheiratete Ost-Theologin Katrin Göring-Eckardt, stolze Mutter zweier Söhne und seit frühester Jugend Anti-Kommunistin. Eigentlich keine guten Voraussetzungen für eine funktionierende Liaison. Die beiden führen die Fraktion trotzdem seit drei Jahren ohne nennenswerten Nickeligkeiten.

In jeder anderen Lage dürften sich zwei derartige Fraktionschefinnen ihrer Wiederwahl sicher sein. Die Sozialdemokraten müssen mangels attraktiver Kandidaten sogar Peer Steinbrück und Sigmar Gabriel aus der Provinz importierten.

Anders bei den Grünen.

Postenjäger im grünen Gewand

Zwar werden Fischer keine großen Ambitionen nachgesagt, statt des Weltsicherheitsrates noch einmal eine grüne Oppositionsfraktion zu leiten. Genau wisse er das wahrscheinlich selbst noch nicht, heißt es in seinem Umfeld. Längstenfalls würde er "den Laden" nochmal für ein paar Monate übernehmen.

Auch um Umweltminister Jürgen Trittin ist es noch seltsam still. Dafür bringen sich Künast und Kuhn umso deutlicher in Stellung. Außerdem bemüht sich Bärbel Höhn aus Nordrhein-Westfalen, dem stärksten Landesverband der Grünen.

Auch der parlamentarische Geschäftsführer Volker Beck, ebenfalls aus NRW, kann sich einen Aufstieg vorstellen. Höhn und Beck gelten als Speerspitze der Linken, die nach einem möglichen Kurswechsel Auftrieb haben könnte.

Und für den Fall, dass die Partei nach einer schweren Niederlage auf einen Generationswechsel setzt, werden sogar schon die Abgeordneten Matthias Berninger, 34, Markus Kurth, 39, und Kerstin Andrea, 37, genannt. Bis zum Wahltag gilt wahrscheinlich die halbe Grünen-Fraktion als papabile.

Kuhn und Künast in Position

Ganz oben im aktuellen Fraktionschef-Toto stehen aber Fritz Kuhn und Renate Künast. Kuhn will zurück nach ganz oben. 2002 zog er in den Bundestag ein, und musste deshalb den Parteivorsitz niederlegen.

Er hatte vergeblich darauf spekuliert, dass die Grünen rechtzeitig die Unvereinbarkeit von Amt und Mandat aufgeben. Seitdem fühlt der Ex-Sozialdemokrat sich unter Wert verkauft. Anfang des Jahres wurde er wenigstens Nachfolger des unglücklichen Ludger Volmer als außenpolitischer Sprecher, im Mai ernannte ihn die Partei zum Wahlkampf-Manager - für Kuhn nur ein Sprungbrett zum Fraktionsvorsitz.

Künast will noch mehr. Die Verbraucherministerin hat schon einmal - 1993 in Berlin - den Untergang einer rot-grünen Koalition gestärkt überlebt. Sie glaubt auch jetzt, die Grünen in eine neue Zukunft führen zu können.

An Selbstbewusstsein und Eloquenz hat es der 49-Jährigen noch nie gemangelt. "Die Renate ist bereits beim Schaulaufen", heißt es in der Parteispitze, was die Renate natürlich vehement bestreiten würde.

Künast will die Partei weg vom reinen Umwelt-Image führen, die Grünen für neue Wählerschichten öffnen - dazu bekennt sie sich gerne und leidenschaftlich. Damit das niemand übersieht, trommeln ihre Mitarbeiter häufiger als sonst Journalisten zu ihren Terminen zusammen.

Immer offensichtlicher versucht Reante Künast, ihre Rolle als Verbraucherministerin abzustreifen und als Generalistin zu punkten, der neue Fischer zu werden. "Grün erneuern!", heißt die Veranstaltung, zu der Künast am Montagabend in den Grünen Salon der Berliner Volksbühne lädt. Untertitel: "Antworten auf die zentralen Fragen der Zukunft: Wirtschaft, Arbeit und Kinder."

Zwei Stunden lang sitzt die Ministerin auf dem Podium und lässt - das große Kinn stolz gereckt - keinen Zweifel daran, dass sie sich gewappnet sieht, die Zukunft der Grünen an verantwortlicher Stelle zu meistern, den Generationswechsel zu moderieren. Nur die Frage, ob sie den Fraktionsvorsitz übernehmen wolle, verschlägt ihr kurz die Sprache.

Ein Profi meldet Ansprüche eben nicht zu früh öffentlich an - "man hat schon Pferde kotzen sehen", sagt Künast auf solche spekulativen Fragen gern und redet gleich wieder über die Neuwahlen: "Wir Grüne sind jetzt nicht verbraucht, sondern befreit."

Befreit sieht sich vor allem Künast. Sie ist nach Fischer die bekannteste und beliebteste Grüne. Nach dem Abgang des Außenministers wäre sie die Nummer eins.

Formation der Wildgänse

Wie zwangsläufig der Fraktionsvorsitz auf Renate Künast zuzulaufen scheint, hat schon die vergangene Woche gezeigt. Bei der Feier zum 50. Geburtstag von Parteichefin Roth meldeten sich die ersten Grünen, die Künast neben Fischer zur Spitzenkandidatin erklären wollten.

Bei der Fortsetzung der Feier in einer Weinstube mehrten sich diese Stimmen. Am nächsten Tag forderten einige Abgeordnete dann sogar offen in der Fraktionssitzung ein Duo an der Spitze. Fischer zog verärgert von dannen. Künast wies die Forderung generös von sich - und genoss die Aufmerksamkeit sichtlich.

Vor der letzten Bundestagswahl hatte die Ministerin für die Grünen-Führung noch das Bild vom Formationsflug der Wildgänse mit Fischer an der Spitze erfunden. Jetzt will sie selbst ganz vorne fliegen. Zur Not auch gemeinsam mit Kuhn. "Wir haben schon als Bundesvorsitzende gut zusammengearbeitet", sagte Künast vieldeutig - und verschwand in die Berliner Nacht.

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