Bündnis 90/Die Grünen:Eloge auf Cem

Auf ihrem Parteitag feiern die Südwest-Grünen ihr realpolitisch orientiertes Spitzenpersonal - Ministerpräsident Winfried Kretschmann lässt auch mit bald 70 noch keine Lust am Aufhören erkennen.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Bündnis 90/Die Grünen: Cem Özdemir 2017 als Bundesvorsitzender, mit Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Würde sich Özdemir eine Rückkehr in die "Provinz" antun wollen?

Cem Özdemir 2017 als Bundesvorsitzender, mit Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Würde sich Özdemir eine Rückkehr in die "Provinz" antun wollen?

(Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Schwer angeschlagen kehrte Winfried Kretschmann von den gescheiterten Jamaika-Sondierungen aus Berlin heim nach Stuttgart. Zum einen hatte Kretschmann aus staatspolitischen Gründen gerade in der Flüchtlingsfrage auf einen breiten Konsens von FDP, CSU, CDU bis hin zu den Grünen gehofft. Zum anderen wollte er seine grüne Bundespartei wieder an der Macht sehen - mit seinem grün-schwarzen Bündnis in Baden-Württemberg als treibender Kraft, wenn es um die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie geht. Und nun: alles perdu. Der Ministerpräsident verfiel in tiefe Grübelei.

Am Samstag wurde Kretschmann beim Landesparteitag der Südwest-Grünen in Heidenheim stürmisch gefeiert, Seite an Seite mit Cem Özdemir. Eine naheliegende Assoziation: der Ministerpräsident und sein potenzieller Nachfolger. Özdemir hat als Spitzenkandidat und Sondierer derart an Statur gewonnen, dass er im neuen Deutschland-Trend der ARD auf Rang zwei der beliebtesten deutschen Politiker kletterte, hinter Außenminister Sigmar Gabriel und vor Kanzlerin Angela Merkel. Und wer sonst außer dem 51-jährigen Schwaben hätte bei den Grünen die Statur, Kretschmann nachzufolgen?

Özdemir dementierte alle Spekulationen. Er sehe seine Zukunft weiterhin in der Bundespolitik, sagt er. Aber wo genau? Als Parteichef tritt er bald ab, und bei der Wahl zum Fraktionsvorsitzenden scheint er keine Chance zu haben; die Reala Kathrin Göring-Eckardt ist offenbar gesetzt, nach grüner Logik fiele der männliche Part der Doppelspitze somit dem linken Flügel zu. Wegen dieser Logik den renommiertesten Politiker der Grünen zu versenken, findet Kretschmann, gelinde ausgedrückt, absurd. Er hielt in Heidenheim eine wahre Eloge auf Özdemir und schloss: "Dass du weiter eine führende Rolle spielst im Bund, das wollen wir."

Winfried Kretschmann feiert bald seinen 70. Geburtstag. Vom Abtreten aber spricht er nicht

Die Bundespartei soll den in den Sondierungen eingeschlagenen pragmatischen Kurs fortsetzen, mit Özdemir in führender Funktion. Das war die klare Botschaft, die vom Landesparteitag ausging. Cem Özdemir selbst sagte, den Grünen hätten sich in den vergangenen Wochen viele Türen hinein in Wirtschaft und Gesellschaft geöffnet. Diesen Chance müsse die Partei nun nutzen, nach dem Vorbild der Südwest-Grünen. Im Übrigen hoffe er, dass Winfried Kretschmann noch lange Ministerpräsident bleibe.

Kretschmann wird nächsten Mai 70, das zweite Enkelkind ist unterwegs. Ob er zur Hälfte der Legislaturperiode aufhören könnte? Ja, aber erst zur Hälfte der nächsten Legislaturperiode, ist aus seinem Umfeld zu hören. Seine gelegentlichen Anfälle von Endzeitstimmung sind wohlbekannt und werden nicht mehr ganz ernst genommen. Niemand in seiner Partei mag ausschließen, dass Kretschmann zur Wahl 2021 noch einmal antritt. Und Widerstand ist nicht zu erwarten, obwohl er mit seinem konservativen Kurs auch seiner pragmatisch gestimmten Landespartei einiges zumutet.

Im Dreieck zwischen Regierung, Fraktion und Partei gebe es durchaus Spannungen, "aber die halten wir aus", sagt die grüne Landesvorsitzende Sandra Detzer, die in Heidenheim ebenso wiedergewählt wurde wie Oliver Hildenbrand als Vertreter des linken Flügels. Auszuhalten galt es zuletzt ein neues Antiterrorgesetz, das der Polizei Datenüberwachungsrechte wie in kaum einem anderen Bundesland gewährt. Aushalten muss die grüne Basis auch die zögerliche Haltung der Regierung gegenüber Diesel-Fahrverboten. Als Verdienst ihrer Partei wertet es Detzer, dass Grün-Schwarz das Fahrverbotsurteil des Stuttgarter Verwaltungsgerichts zumindest inhaltlich anerkannte und nur in die Revision ging. "Die CDU wollte das nicht", sagt Detzer. Sie macht kein Hehl daraus, dass sie sich wünscht, der grüne Teil der Regierung möge der CDU mehr Widerstand leisten.

Ob sie Bammel davor gehabt hätte, im Land die Kompromisse verteidigen zu müssen, die die Grünen in Berlin eingegangen wären? Kretschmann war es ja in den Sondierungen nicht einmal gelungen, sein Herzensanliegen einer blauen Plakette durchzusetzen; gegen diese Form von Fahrverboten für alte Diesel wehrte sich die CSU mit Händen und Füßen. "Das Thema hätte bestimmt in Koalitionsverhandlungen noch einmal eine Rolle gespielt", will Sandra Detzer glauben. Ansonsten seien Kernthemen wie Kohle-Ausstieg und Waffen-Stopp für Saudi-Arabien durchgesetzt worden. Alles in allem: "Wir hätten gern regiert."

Nein zu Glyphosat

Nach dem deutschen Ja zu einer weiteren Zulassung des Unkrautvernichters Glyphosat in der EU machen die Grünen Druck für nationale Beschränkungen. Im Entwurf eines Antrags für den Bundestag fordern sie einen "Ausstiegsplan mit umweltverträglichen Alternativen". Zudem sei sofort der Einsatz zum privaten Gebrauch und auf öffentlichen Flächen zu verbieten. Für die Landwirtschaft seien "größtmögliche Anwendungsbeschränkungen" nötig. dpa

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