Ungarn:Affären setzen Orbán zu

Ungarn: Geschädigt: Quästor-Investoren wollen wissen, warum die Fidesz-Partei frühzeitig von der Pleite wusste.

Geschädigt: Quästor-Investoren wollen wissen, warum die Fidesz-Partei frühzeitig von der Pleite wusste.

(Foto: Zsolt Szigetvary/AP)

Bei einer Nachwahl in Ungarn siegt ein Rechtsradikaler. Die lange übermächtige Regierungspartei zahlt für Fehler und Korruptionsfälle.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Eine Nachwahl zum ungarischen Parlament hat zu einer politischen Überraschung geführt, die sowohl die regierende Fidesz-Partei von Ministerpräsident Viktor Orbán als auch die linke Opposition schockiert hat: Im westungarischen Tapolca hat ein Kandidat der rechtsradikalen Jobbik-Partei am Sonntag das Direktmandat errungen. Zwar steht das Endergebnis noch nicht fest, weil nicht alle Briefwahlstimmen ausgezählt sind, aber am Montag war bereits klar: Jobbik-Mann Lajos Rig liegt mit mehr als 35 Prozent der Stimmen knapp vor dem Vertreter der Regierungspartei, der Kandidat der linksliberalen Opposition kam abgeschlagen auf 26 Prozent.

Fidesz hatte bei der letzten Nachwahl im Februar bereits einen Parlamentssitz verloren, in diesem Fall an die Linke - und damit die Zweidrittelmehrheit. Diesmal griff der Premier selbst in den Wahlkampf ein, denn die verfassungsändernde Mehrheit zurückzugewinnen war mehr als ein Prestigeprojekt; schließlich hatte Fidesz in den vergangenen Jahren mit seiner satten Mehrheit im Budapester Parlament praktisch durchregiert.

Doch letzte Umfragen hatten bereits angedeutet, was sich jetzt in Tapolca manifestierte: Die rechtsnationale Jobbik-Partei, die im Parlament bei der Wahl 2014 etwa 20 Prozent erhalten hatte, konnte zuletzt stark zulegen - vor allem wegen des radikalen Rückgangs der Unterstützung für Orbán und seine Politik. Derzeit kommt die offen antisemitische, rassistische und antiziganistische Partei landesweit auf 28 Prozent der Stimmen. Die linke Opposition konnte bisher von der Schwäche der Regierung nicht in großem Rahmen profitieren.

Ein Finanzskandal schwächt die Regierung zusätzlich

Der Niedergang der Sympathiewerte für den lange Zeit praktisch unschlagbar erscheinenden Ministerpräsidenten hat viele Gründe: Immer mehr Korruptionsfälle, in die Fidesz-Leute verwickelt sind, kommen an die Öffentlichkeit. Fehlentscheidungen wie die Ankündigung einer Internetsteuer oder das Verkaufsverbot an Sonntagen brachten die Mittelschicht und Kleinunternehmer auf. Ein Grund für die jüngste Wahlniederlage dürfte auch in einem Finanzskandal liegen, der das Land seit Wochen durchrüttelt, der Tausende Demonstranten auf die Straße bringt und auch an Orbáns persönlicher Integrität kratzt: der sogenannten Quästor-Affäre.

Ende März war bekannt geworden, dass drei Investmentfirmen, zuerst Buda-Cash und Hungaria Ertekpapir, später dann auch Quästor, betrügerische Machenschaften vorgeworfen wurden; alle drei sind zahlungsunfähig. Zehntausende Ungarn, aber auch Kommunen und Regionalverwaltungen sowie Ministerien waren auf ein Schneeball-System hereingefallen, bei dem etwa das Broker-Haus Quästor mehr als sechs Prozent Zinsen für fiktive Anleihen versprochen hatte. Kurz vor dem Konkurs hatte der Eigentümer von Quästor, der erst Wochen nach Bekanntwerden der Vorwürfe in Haft genommen wurde, noch sein Vermögen in Sicherheit bringen und Beweise vernichten können.

Etwa 150 000 Kleinanleger sind betroffen, sie stehen nun bei der Entschädigung für ihre Verluste an letzter Stelle. Besonders pikant: Der Gründer von Quästor hatte enge Verbindungen zum Außenministerium, das kurz vor der drohenden Pleite noch alles dort investierte Geld sicherheitshalber abzog. Nicht nur das: Orbán selbst machte später öffentlich, dass Regierungskreise ihre Einlagen deshalb sichern konnten, weil der Quästor-Chef sie brieflich über die Schieflage des Unternehmens informiert habe. Seither protestieren die Kleinanleger im ganzen Land gegen die Ausnutzung von Insider-Informationen durch Fidesz sowie dagegen, dass die Regierung Staatsvermögen gesichert, den Verlust der Ersparnisse vieler Ungarn aber in Kauf genommen habe. Orbán argumentierte, man habe eine drohende Panik vermeiden und damit die Beschleunigung der Pleite vermeiden wollen.

Am Freitag brachte Fidesz einen Vorschlag zur Entschädigung der Opfer des Finanzskandals im Parlament ein. Demnach sollen alle Verluste bis zu einer Höhe von 30 Millionen Forint (100 000 Euro) zurückgezahlt werden. Die Opposition fordert eine komplette Rückerstattung an die Kleinanleger.

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