Buch der FDP-Politiker Genscher und Lindner:Viele Worte, wenig Klarheit

Genscher und Lindner

Christian Lindner und Hans-Dietrich Genscher haben gemeinsam ein Buch veröffentlicht. "Brückenschläge" heißt der Titel.

(Foto: dpa)

Hans-Dietrich Genscher, die einstige Leitfigur der Liberalen, wechselt seine Favoriten schnell aus. Nach Bahr und Rösler lobt er jetzt in einem gemeinsamen Buch Partei-Vize Christian Lindner - offen ist, ob er ihm damit hilft oder schadet.

Von Stefan Braun

Man kann sich das gut vorstellen. Hier Hans-Dietrich Genscher im gelben Pullunder, dort Christian Lindner mit blauer Krawatte. Und beide unterhalten sich prächtig. Über die Zukunft des Liberalismus und über die Zukunft Christian Lindners. Vornehmlich die Zukunft in der FDP, jener Partei also, die seit Jahrzehnten - welch ein Zufall - mit der gelben und der blauen Farbe in die Schlacht zieht.

Ja, so soll alles entstanden sein, "irgendwann im vergangenen Jahr", als sich Genscher und Lindner immer wieder zum Mittagessen trafen. Sie plauderten und plauderten, bis sie überzeugt waren, dass man das Plaudern auch zwischen zwei Buchdeckel packen könnte. Zur Organisation suchte man einen Journalisten, der klug moderieren, aber sonst nicht weiter auftauchen sollte. Das Ergebnis ist am Mittwoch unter dem Titel "Brückenschläge" erschienen.

Nun könnte man das einfach als mehr oder weniger kluge Buchidee beschreiben. Doch weil Genscher und Lindner im Spiel sind, noch dazu in einer Partei, die seit Jahren davon beherrscht wird, Machtkämpfe zu beenden, um alsbald neue zu beginnen, kann das Gemeinschaftswerk des Übervaters mit der Zukunftshoffnung nicht davon losgelöst werden. Ganz gleich, was sich Genscher bei dem Buch noch gedacht hat: Dass er Lindner höchste Weihen verleiht, indem er sich mit ihm auf einem Buchtitel verewigt, steht außer Frage. Offen ist nur, ob Lindner das heutzutage mehr hilft oder mehr schadet.

Die zentrale Botschaft ist leicht zu finden

Denn während Hans-Dietrich Genscher noch vor wenigen Jahren tatsächlich die große Leitfigur war für viele junge Politiker der Liberalen, lassen seine Positionswechsel in den vergangenen Monaten Zweifel aufkommen, ob er seiner FDP mit der schnell wechselnden Unterstützung mal für Rainer Brüderle, mal für Daniel Bahr, mal für Philipp Rösler und dann mal wieder für Christian Lindner noch hilft, oder sie in immer größere Verwirrung stürzt.

Die zentrale Botschaft des Buches ist leicht zu finden, dazu braucht man vor allem die allerletzte Seite. Lindner endet dort mit der Botschaft: "Unsere Partei sollte Brücken bauen, statt Gräben zu festigen." Und Genscher ergänzt dies mit seinen Schlusssätzen: "Ja, schlagen Sie Brücken, Herr Lindner. Sie können das." Sie können das - ein Satz ist das, den sonst nur Franz Müntefering in solcher Kürze zelebrieren könnte. Es ist ein Satz, der Lindner noch ziemlich schwer um den Hals hängen könnte.

Lindner lobt die sozialliberale Koalition

Leicht hingegen ist die Frage zu beantworten, was Genscher und Lindner mit ihrem Titel "Brückenschläge" gemeint haben könnten. Genscher nämlich redet viel und ausführlich über die Zeit der sozialliberalen Koalition. Er erinnert sogar daran, wie wichtig es in den 1950-er und 60-er Jahren gewesen sei, "die FDP aus der Alternative Opposition oder Regierungspartei mit der CDU zu befreien". Derlei ist sehr bemerkenswert angesichts Genschers Rolle beim Machtwechsel vom SPD-Kanzler Helmut Schmidt zum CDU-Kanzler Helmut Kohl.

Wenig Spannendes über die Zukunft des Liberalismus

Und Lindner? Er lobt die Leistungen der sozialliberalen Koalition und erinnert keck daran, dass er in der SPD genau so viele Gesprächspartner habe wie bei den Christdemokraten. Da mögen beide die grundsätzliche Nähe und Treue zur Union hervorheben. Interessant ist ihre andere Botschaft, und das wissen beide. Wer darüber hinaus Spannendes über die Zukunft des Liberalismus erfahren möchte, bleibt - vorsichtig ausgedrückt - erschöpft und unbefriedigt zurück. Dabei weiß man nicht, ob Genschers Kunst, im Ungefähren zu bleiben, hier obsiegt. Oder ob es daran liegt, dass Lindner zwar viele Worte findet, aber wenig Klarheit bietet. In langen Passagen sprechen beide über die Rolle des Staates und die Macht der Märkte. Aber ihre Botschaft bleibt furchtbar vage.

An einer Stelle erklärt Lindner: "Der Markt ist ein künstlicher Ort. Er wird erst geschaffen durch die Regeln, die wir ihm geben. Die ordnungspolitische Schlüsselaufgabe ist deshalb ein neues Marktdesign, damit nicht mehr wir alle zur Geisel weniger werden können." Und was antwortet Genscher? "Daran sollten die Experten der FDP Tag und Nacht arbeiten. Im übrigen brauchen wir eine globale Ordnung, die den Selbstverständlichkeiten folgt, die wir heute diskutieren: mehr Markttransparenz und Regeln, die geschaffen werden, indem man Rahmenbedingungen festlegt." Noch Fragen? Ja! Viele!

Das Buch hätte große Wirkung entfalten können

Ein ganz klein wenig mehr Klarheit immerhin bietet Genscher in der Debatte um mögliche Lohnuntergrenzen. Der FDP-Ehrenvorsitzende sagt über sich, er erwarte für ein Land wie Deutschland, das sich als "sozialer Rechtsstaat" verstehe, dass "ein Vollzeiteinkommen ausreicht, um davon leben zu können." Das ist eine berechtigte Erwartung, keine Frage. Man würde nur gerne wissen, was er tun will, wenn das nicht mehr gegeben ist.

Und was antwortet Lindner? "Ja, die Notwendigkeit tariflicher Lohnuntergrenzen - das Attribut und der Plural sind wichtig - muss man prüfen, wenn die Tarifbindung in bestimmten Branchen und Regionen zurückgeht." Angesichts solcher vagen Andeutungen ist man schon froh, dass beide in einem Kapitel über die digitale Gesellschaft immerhin darüber nachdenken, ob und, wenn ja, wann eine Begrenzung der Marktmacht mancher Akteure nötig werden könnte.

Am Ende sind es fast 260 Seiten geworden. Und wäre die Lage in der FDP noch jene, wie sie sich Ende vergangenen Jahres zeigte, hätte das Buch trotz seiner Allgemeinplätze große Wirkung entfalten können. Inzwischen aber führen Parteichef Philipp Rösler und Spitzenkandidat Rainer Brüderle die Partei ziemlich stabil in den Wahlkampf. Und den beiden Autoren bleibt die Möglichkeit, weiter über die Zukunft der FDP nachzudenken.

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