Brüssel:Zwischen rastlos und ratlos

EU-Kommissionschef Juncker und Kanzlerin Merkel versuchen, gelassen zu bleiben - doch was nach dem Sonntag passieren soll, weiß noch keiner. Frankreichs Präsident Hollande versucht, den Druck auf Griechenland zu erhöhen.

Von Alexander Mühlauer, Christian Wernicke, Daniel Brössler, Cerstin Gammelin

Jean-Claude Juncker ließ seiner Enttäuschung noch einmal freien Lauf. Er werde wohl nie den Wirtschaftsnobelpreis bekommen, sagte er in einer geschlossenen Sitzung mit Abgeordneten der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament - aber er verdiene einen in der Disziplin Geduld. Der Kommissionspräsident schilderte noch einmal, wie sehr er sich um eine Lösung bemüht habe und wie nah man einer Einigung mit Griechenland angeblich gewesen sei. Etwa 75 Minuten sprach Juncker am Dienstagabend mit den Abgeordneten, nur eine Frage ließ er dabei völlig offen: Wie soll es am Montag, am Tag nach dem Referendum, weitergehen?

"Präsident Juncker ist in Gedanken beim griechischen Volk. Er unterstützt vollkommen die Entschlossenheit, ein Teil Europas und der Euro-Zone zu bleiben", ließ er seinen Sprecher am Donnerstag verkünden. Und: Es werde keine weiteren Gespräche vor dem Referendum geben. "Wir werden jetzt einfach das Ergebnis des Referendums am Sonntag abwarten und berücksichtigen", sagte er. Was auf dem Spiel stehe, habe Juncker ja bereits am Montag klargestellt. In einem emotionalen Auftritt hatte Juncker die Griechen beschworen, im Referendum Ja zum Euro und zur EU zu sagen. "Dies ist der Moment, in dem das griechische Volk über seine Zukunft entscheiden muss", sagte der Sprecher.

Was das praktisch heißt, blieb in Brüssel aber völlig offen. Ziemlich klar war nur, dass die Frage auf höchster politischer Ebene entschieden werden muss. So wenig die Staats- und Regierungschefs sich zuletzt in die Einzelheiten der komplizierten Verhandlungen zwischen Gläubigern und Griechen einmischen wollten, so wenig werden sie sich nach dem Referendum der Verantwortung entziehen können, eine Richtung vorzugeben. In der Umgebung von EU-Ratspräsident Donald Tusk bereitete man sich auf die Möglichkeit eines Sondergipfels kommende Woche vor.

In Berlin bemühten sich die Verantwortlichen indes um Ruhe. Das Referendum sei "keine Entscheidung über Euro oder Nicht-Euro". Wer so diskutiere, führe ein Stück weit "eine Phantomdiskussion", hieß es. Gedanklich sind viele bereits beim Montag. Man werde "mit jeder klaren Entscheidung arbeiten", hieß es. Verantwortliche bezeichneten einen 49/51-Ausgang des Referendums als "Worst-Case-Szenario".

Die Sprecherin von Bundespräsident Joachim Gauck bestätigte am Donnerstag, dass der griechische Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos seinen für Dienstag geplanten Antrittsbesuch in Berlin abgesagt habe. Pavlopoulos ist seit fünf Monaten im Amt. Sollte die griechische Regierung am kommenden Sonntag bei dem Referendum eine Niederlage erleiden, gilt ihr Rücktritt als wahrscheinlich . Der Präsident würde dann dringend in Athen gebraucht.

"Wenn es aber ein Nein wird, dann betreten wir unbekanntes Gelände"

Gelassen oder nicht - die Krise beschäftigte Kanzlerin Angela Merkel offenkundig auch am Donnerstag ununterbrochen. Als sie am Morgen ein Grußwort vor dem Deutschen Seniorentag in Frankfurt sprach, offenbarte das ein Lapsus: "Der Oberbürgermeister von Frankreich hat . . .", sagte sie und hielt inne. Dann: "Von Frankreich sage ich schon. Von Frankfurt! Sehen Sie, ich habe heute früh schon wieder mit dem französischen Präsidenten telefoniert - das kommt davon."

Im Telefonat mit François Hollande ging es wieder um Griechenland. Und um die Aufregung, die eine Einlassung des Franzosen am Mittwoch ausgelöst hatte. Hollande hatte verlangt, Europa müsse noch vor dem Referendum mit Athen einen Kompromiss finden. Etwas, was Merkel längst ausgeschlossen hatte. Hinter den Kulissen versuchte der Sozialist sogar, dem griechischen Premier Tsipras das Volksvotum auszureden - oder wenigstens davon abzubringen, offen für ein Nein zu werben. Im Gegenzug drängte Frankreich in der Euro-Gruppe dazu, Athen eine Neuverhandlung der griechischen Altschulden in Aussicht zu stellen.

Diesen Plan hat Tsipras am Mittwochabend dann selbst zerschlagen. Am Donnerstag betont ein Élysée- Berater, mit Berlin gebe es "vielleicht Unterschiede in der Mentalität, aber keine strategische Divergenzen". Wie zum Beweis erhöhte Hollande, zur Zeit auf Afrika-Reise, den Druck auf Athen. Falls die Griechen am Sonntag mit Ja stimmten, "können die Verhandlungen einfach wieder beginnen", sprach der Franzose in Benin, "wenn es aber ein Nein wird, dann betreten wir unbekanntes Gelände. Es ist Sache der Griechen, zu antworten." Worum es geht, hatten Hollande wie auch Juncker den Griechen bereits am Montag glasklar gesagt: "das Risiko des Austritts" aus der Euro-Zone.

Egal wie das Referendum am Sonntag ausgeht, eines ist sicher: Griechenland braucht ein drittes Hilfspaket. Athens Regierungschef Alexis Tsipras hat den Antrag in seinem Brief vom 30. Juni auch bereits gestellt. Nun liegt es zunächst an den Euro-Finanzministern, diesen Antrag anzunehmen. Was folgt, ist das, was die griechische Regierung in den vergangenen Monaten schon intensiv erlebt hat: die Zusammenarbeit mit den drei Institutionen aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF). Deren Fachleute müssen prüfen, ob Griechenland seine Schulden selbst tragen kann.

Der IWF teilte mit, damit sie tragbar sind, müssten die griechischen Schulden um 30 Prozent verringert werden. Falls nicht, empfehlen sie entsprechende Maßnahmen.

Geht es nach der griechischen Regierung, ist schon klar, woher das Geld kommen soll: vom europäischen Rettungsfonds ESM. Dort liegen 500 Milliarden Euro, um die Stabilität der Euro-Zone zu gewährleisten. Griechenland könnte ein 30-jähriges Darlehen bekommen; und könnte dies auch nutzen, um im Sommer fällige Zahlungen an die EZB zu begleichen.

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