Brüssel:Mitten ins Herz

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Europa sichert Belgien seine Unterstützung zu, fragt sich aber auch, warum das Land die Islamisten im Brüsseler Stadtteil Molenbeek nicht in den Griff kriegt.

Von S. Braun, D. Brössler und C. Wernicke

Europa sei, das sagen viele an diesem Tag, ins Herz getroffen worden. Wie sehr das stimmt, zeigt ein Blick auf die Karte. Der Brüsseler Flughafen ist keine zehn Autominuten vom Nato-Hauptquartier entfernt. Die Metrostation Maelbeek, wo etwa 20 Menschen ums Leben kamen, befindet sich keine 500 Meter vom Berlaymont, dem Sitz der Europäischen Kommission, sowie dem Gebäude des Europäischen Rates, wo noch am Freitagabend alle Staats- und Regierungschefs der EU versammelt waren. "EU erwidert Brüssel Solidarität & wird Brüssel, Belgien & Europa im Kampf gegen den Terror helfen", twittert EU-Ratspräsident Donald Tusk in mehreren Sprachen. "Hier, in der Hauptstadt Europas, stehen wir zusammen in voller Solidarität mit den Menschen von Brüssel", sagt der Sprecher von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

"Der Tatort Brüssel erinnert uns ganz besonders daran: Die Täter sind Feinde aller Werte, für die Europa heute steht und zu denen wir uns gemeinsam als Mitglieder der Europäischen Union bekennen - und zwar gerade an diesem Tag mit großem Stolz", erklärt Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin. "Unsere Kraft liegt in unserer Einigkeit und so werden sich unsere freien Gesellschaften als stärker erweisen als der Terrorismus", sagt sie. So und ähnlich wird es von vielen formuliert an diesem schwarzen Dienstag. Europa, das so zerstritten und schwach gewirkt hat in den vergangenen Monaten, ringt um ein Zeichen der Stärke. In Berlin sollte am Abend das Brandenburger Tor, in Paris der Eiffelturm in den belgischen Farben leuchten.

Die Straße vor der U-Bahn-Station Maelbeek ist kurz nach der Explosion von Rettungsfahrzeugen blockiert. (Foto: Virginia Mayo/AP)

Präsident Hollande muss schon wieder seine schwarze Krawatte tragen

Gegen Mittag tritt François Hollande, der französische Präsident, im Elysée-Palast ans Mikrofon. Der Sozialist sieht exakt aus wie in den Stunden nach dem 13. November, als der Terror seine Hauptstadt Paris heimsuchte: dieselben schmalen Augen, der identisch ernste, entschlossene Blick. Hollande, seit nunmehr 130 Tagen ein Kriegs-Präsident, steckt im gleichen dunkelgrauen Anzug, trägt dieselbe schwarze Krawatte wie vor mehr als 18 Wochen. "Der Terror hat Brüssel getroffen, aber er zielt auf Europa", sagt der Präsident. Kurz drauf fügt er hinzu: "Frankreich und Belgien sind miteinander verbunden: Verbunden durch den Horror, den wir - wieder einmal - teilen." Links neben ihm hängen zwei Flaggen, die Trikolore und die blaue EU-Fahne mit den Sternen.

Zwei Stunden zuvor hatte das französische Krisenkabinett getagt, "Verteidigungsrat" genannt. Die Sitzung begann keine 120 Minuten nach den ersten Explosionen am Flughafen von Zaventem. Paris hat Terror-Routine, lebt seit mehr als vier Monaten im Anti-Terror-Notstand. Premierminister Manuel Valls, Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian , Innenminister Bernard Cazeneuve sowie Außenminister Jean-Marc Ayrault haben mit ihren belgischen Kollegen telefoniert. Man kennt sich, man ist ja ständig in Kontakt, da die Jagd auf das IS-Terror-Netzwerk von Paris immer wieder ins nördliche Nachbarland führte. In die Brüsseler Stadtteile Schaerbeek, Forêt und natürlich nach Molenbeek, das mutmaßliche Sammelbecken dschihadistischer Aktivisten. Erst am Freitag war dort Salah Abdeslam, der zehnte Attentäter von Paris, aus seinem Versteck in einen schwarzen VW der belgischen Ermittler gezerrt worden.

Deutschland verschärft die Grenzkontrollen zum Nachbarn Belgien

Frankreich verspricht, den belgischen Nachbarn "mit allen nötigen Mitteln" (Hollande) beizustehen. Auch wenn das bedeutet, dass erst einmal alle Züge nach Belgien gestoppt werden, das Erziehungsministerium verbietet alle Schulausflüge ins Nachbarland. Innenminister Cazeneuve mobilisiert nochmals 1600 zusätzliche Polizisten und Gendarmen, um die Plätze, Bahnhöfe und Flugplätze noch strenger zu bewachen - zusätzlich zu den mehr als 5000 Beamten, die seit November die französischen Grenzen kontrollieren. Und zusätzlich zu den bis zu 10 000 Soldaten, die alltäglich bewaffnet in Frankreichs Metropolen patroullieren oder vor Synagogen Wachdienst schieben. Als "extrem erhöhtes Risiko" definiert Cazeneuve die aktuelle Sicherheitslage. Regierungschef Manuel Valls beschreibt die Situation martialisch: "Wir sind im Krieg. Seit Monaten erleben wir in Europa Akte eines Krieges."

Auch der Präsident spricht vom Krieg. Hollande wendet sich nicht nur an seine Franzosen, er wendet sich an den gesamten Kontinent. "Der Krieg gegen den Terrorismus muss in ganz Europa geführt werden", sagt Hollande mit ruhiger Stimme. Das verlange "Kaltblütigkeit, Klarheit und Entschlossenheit - denn dieser Krieg wird lange dauern." Hollande holt Luft, er wirkt matt und müde, da er noch eine Mahnung ausspricht: "Mehr denn je müssen wir darauf bedacht sein, auf europäischer Ebene unsere Einheit zu wahren."

(Foto: sz grafik)

Das Gefühl des Betroffenseins ist, wenn auch in geringerem Maße, auch in Berlin zu spüren. Verbindungen oder Spuren nach Deutschland gibt es, wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière sagt, erst einmal nicht. Dies könne allerdings nur ein Zwischenstand sein. Vor wenigen Wochen war bekannt geworden, dass der am Freitag verhaftete Salah Abdeslam vor den Pariser Anschlägen mindestens zweimal in Ulm gewesen ist.

In Deutschland werden nach den ersten Meldungen aus Brüssel die Sicherheitsmaßnahmen an Bahnhöfen und Flughäfen verschärft. Polizisten bekommen stärkere Bewaffnung, öffentliche Plätze werden noch intensiver beobachtet. Darüber hinaus werden die Kontrollen im Grenzgebiet zu Belgien verschärft, gleiches gilt für die Grenzregionen nach Luxemburg, Frankreich und zu den Niederlanden. Auf der Autobahn München-Salzburg werden drei Kosovaren festgenommen, wegen des "Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat. Ein Sprecher des bayerischen Landeskriminalamts sagt, die Verdächtigen seien zwar mit einem in Belgien zugelassenen Wagen aus Brüssel gekommen, es gebe aber keine Hinweise auf einen Zusammenhang mit den Anschlägen von Brüssel. Hinter der Fassade europäischer Solidarität mit Belgien wird aber auch Unmut erkennbar. Der Salafismus im Brüsseler Stadtteil Molenbeek sei seit vielen Jahren gewachsen "und man hätte möglicherweise eher eingreifen müssen", sagt etwa der Innenminister des an Belgien grenzenden Nordrhein-Westfalen, Ralf Jäger (SPD).

© SZ vom 23.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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