Brüssel:Sondergipfel zu Flüchtlingen blendet Quotenstreit aus

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Ist von der Idee des Sondergipfels nicht überzeugt: EU-Ratspräsident Donald Tusk (Foto: REUTERS)
  • EU-Ratspräsident Donald Tusk hat die Staats- und Regierungschefs kommenden Mittwoch zum Sondergipfel nach Brüssel geladen.
  • Zwischen den Zeilen wird deutlich, dass Tusk selber nicht überzeugt ist von der Idee des Gipfels.
  • In Brüssel steigt derweil die Nervosität. Fast stündlich geben osteuropäische Quotengegner ihre Standhaftigkeit zu Protokoll.

Von Thomas Kirchner und Daniel Brössler, Brüssel

Wieder steht Brüssel vor großen Entscheidungen. Die EU-Innenminister wollen am Dienstag endlich festlegen, wie 120 000 Flüchtlinge in Europa verteilt werden können. Diese Woche hatten sie sich nur im Grundsatz auf die Verteilung verständigt. Das "wie" ist ungelöst, weil es zur Kernfrage führt: Beugen sich alle Staaten der Quotenvorgabe der EU-Kommission, womit sie eine Änderung des Dublin-Systems, vor allem aber eine Einschränkung ihrer Souveränität akzeptieren? Oder bestimmen sie weiterhin selbst, wie viele Flüchtlinge sie aufnehmen?

Obwohl noch nicht klar ist, ob und worauf sich die Innenminister einigen, hat Ratspräsident Donald Tusk die Staats- und Regierungschefs nun für Mittwoch zum Sondergipfel nach Brüssel geladen. Dies geschehe auf Ersuchen einiger Regierungschefs, "insbesondere der Kanzler Deutschlands und Österreichs", heißt es in einem Schreiben von Tusks Kabinettschef Piotr Serafin an die Regierungen, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Zwischen den Zeilen wird so deutlich, dass Tusk selber nicht überzeugt ist von der Idee des Gipfels. Den Quotenstreit will er überhaupt nicht erörtern und sich stattdessen auf andere Fragen konzentrieren, "die dringend angepackt werden müssen, wenn wir die Lage unter Kontrolle kriegen wollen".

Unruhe in Brüssel wächste

In Brüssel steigt derweil die Nervosität. Fast stündlich geben osteuropäische Quotengegner ihre Standhaftigkeit zu Protokoll. Diese Debatte sei "unproduktiv", so der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka. Die EU-Kommission dementierte am Donnerstag eine Meldung, sie habe sich von verpflichtenden Quoten verabschiedet. Um den Osteuropäern entgegenzukommen, setze man jetzt auf Freiwilligkeit, hatte es unter Berufung auf einen "Kommissionsvertreter" geheißen.

Das sei falsch, sagte eine Sprecherin der SZ. In der Kommission werde vieles besprochen, aber der ursprüngliche Vorschlag bleibe auf dem Tisch. "Unser Plan ist der einzig glaubwürdige", schnaubte Chefsprecher Margaritis Schinas, "oder sehen Sie irgendwo einen besseren?" Gleichzeitig weiß man natürlich auch in der Kommission, wie es um die politische Realität bestellt ist. Statt sich auf die Quote zu versteifen und damit in Kauf zu nehmen, dass ein Teil der Union ausschert, könnte es am Ende ergiebiger sein, die Freiwilligkeit zuzugestehen und auf diese Weise der Zahl 120 000 wirklich nahe zu kommen.

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat mehrmals deutlich gemacht, dass er eine Einigung bevorzugen würde, die alle einschließt. Die Bundesregierung wird solche Rechnungen solange wie möglich von sich weisen, doch fehlt ihr ein wirksames Druckmittel gegen die Osteuropäer.

SZ-Grafik (Foto: N/A)

Zustimmung im Eilverfahren

Das Europäische Parlament stimmte dem noch viele andere Punkte umfassenden Plan der Kommission zur Lösung der Flüchtlingskrise am Donnerstag mit großer Mehrheit zu - im Eilverfahren und unter Verzicht auf jegliche Änderung, um bloß nicht im Weg zu stehen.

In Brüssel wächst derweil die Einsicht, dass viel mehr Geld nötig ist, um den Flüchtlingsansturm zu bewältigen. Die Hilfe für die Türkei wolle die EU-Kommission nun auf bis zu einer Milliarde Euro verdoppeln, sagte der für Nachbarschaftspolitik zuständige Kommissar Johannes Hahn. Dafür könne unter anderem Geld zur Heranführung der Türkei an die EU umgeschichtet werden.

Lauter werden die Stimmen, die die Knausrigkeit der Union mitverantwortlich machen für die Flüchtlingsströme. UN-Flüchtlingskommissar António Guterres schilderte Europaabgeordneten jüngst noch einmal die dramatische Lage in den Lagern rund um Syrien. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok (CDU), nannte es "skandalös", wie wenig EU-Geld bislang für die Flüchtlingslager und die Registrierungsstellen an den EU-Außengrenzen geflossen sei. Über einen Nachtragshaushalt müsse das nun schleunigst korrigiert werden.

© SZ vom 18.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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