Brüderle und die Atomlüge:Problembär erlegt sich selbst

Bis vor wenigen Tagen galt Wirtschaftsminister Rainer Brüderle als potentieller Nachfolger von FDP-Chef Westerwelle. Doch mit seiner Ehrlichkeit in der Atomfrage katapultiert er sich aus dem Spiel - und rettet den Mann, der die Partei in den Abgrund führt.

Thorsten Denkler, Berlin

Für einen Kronprinzen ist Rainer Brüderle dann doch zu alt. Man könnte ihn mit seinen 65 Jahren aber durchaus als Krononkel für das schrumpfende liberale Königreich durchgehen lassen. Bis vor einer Woche noch galt Bundeswirtschaftsminister Bürderle hinter FDP-Chef Guido Westerwelle als eine Art Parteivorsitzender on Demand, jederzeit zur Machtübernahme bereit - solange er es nicht sein muss, der Westerwelle den entscheidenden Schlag versetzt.

Opel- Spitzentreffen

Bis vor kurzem galt Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) als potentieller Nachfolger von Parteichef Guido Westerwelle. Mit seinen "Nur-Wahlkampf"-Plaudereien hat sich das geändert.

(Foto: picture alliance / dpa)

Das ist jetzt vorbei. Mit einem Satz hat Brüderle sich wieder dahin zurückkatapultiert, wo er zu Beginn seiner Amtszeit schon einmal war: in die Rolle des Problembären.

Vor den Spitzenvertretern des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) machte Brüderle aus seiner Haltung keinen Hehl, dass das Atommoratorium mehr dem Wahlkampf geschuldet sei, als echter Überzeugung. Wörtlich steht im Sitzungsprotokoll, das die Süddeutsche Zeitung am Donnerstag veröffentlichte und das in der Koalition für helle Aufregung sorgt: "Der Minister bestätigte dies (gemeint ist das Moratorium; Anm. d. Red.) und wies erläuternd darauf hin, dass angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen Druck auf der Politik laste und die Entscheidungen daher nicht immer rational seien."

Brüderle dementiert, spricht von einem fehlerhaften Protokoll. Damit macht er es nur noch schlimmer. Inzwischen ist BDI-Hauptgeschäftsführer Werner Schnappauf, ein CSU-Mann, zurückgetreten. Er war Brüderle noch hastig zur Seite gesprungen. Was wohl keine so gute Idee war. Ein Sitzungsteilnehmer bestätigt schließlich der Süddeutschen Zeitung, dass Brüderle in dem Protokoll richtig wiedergegeben worden sei.

Schon einmal hat sich Brüderle zum Verdruss der Kanzlerin gehörig verplappert. Im Mai vergangenen Jahres gab er auf einer Dienstreise im fernen Brasilien Zahlen über die geplante Hilfen an Griechenland an Journalisten weiter: Dreimal 45 Milliarden Euro sollten angeblich von Deutschland zugeschossen werden. Damit hatte er kurzerhand ein Staatsgeheimnis herausposaunt. Im Umfeld von Angela Merkel war damals zu hören, Brüderle habe Glück, in der FDP zu sein, sonst hätte ihn die CDU-Chefin umgehend rausgeworfen. Als Problembär hatte Brüderle einst seinen Vorvorgänger im Amt, den leicht überforderten CSU-Mann Michael Glos, bezeichnet. Nach seinem Brasilien-Trip fiel ihm das Wort selbst vor die Füße.

Erst danach hat sich der von Kabinettskollegen auch als "Dampfplauderer" gescholtene Brüderle etwas gefangen. Als der US-Autobauer General Motors ankündigte, keine deutschen Staatshilfen für seine angeschlagene Tochter Opel beantragen zu wollen, war Brüderle plötzlich der ordnungspolitische Held der FDP.

Auch aus dem Streit um die schwarz-gelben Laufzeitverlängerungen mit Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) im vergangenen Herbst ging er als Sieger hervor. Der ehemalige rheinland-pfälzische Weinbauminister gilt seit jeher als glühender Verfechter atomarer Energien und verhinderte, dass sich Röttgen mit seiner Vorstellung von plus acht Jahren durchsetzen konnte. Es wurden dann durchschnittlich zwölf Jahre.

Vom Problembären zum anerkannten Politiker - und wieder zurück

Und noch vor drei Wochen düpierte er seinen Lieblingsgegner Röttgen im Getöse um den Biokraftstoff E10. Nicht Röttgen lud zum Krisengipfel ein - nein, es war der nicht zuständige Rainer Brüderle, der alle Beteiligten, inklusive Röttgen, an einen Tisch brachte. Das Ergebnis war zwar mau, das Thema aber vorerst entschärft.

Brüderle hatte sich zu einem manchmal belächelten, aber nicht zu unterschätzenden Wirtschaftsminister gemausert. Als Ende des vergangenen Jahres bis zum Dreikönigstreffen der Liberalen am 6. Januar in Stuttgart eine Wutwelle nach der anderen Parteichef Westerwelle wegzuspülen drohte, da tauchte Brüderles Name immer wieder auf. Er sollte das Parteiamt übernehmen, sollte der ungeliebte Vorsitzende gestürzt werden. So soll es Mitte Dezember im verschwiegenen Schaumburger Kreis besprochen worden sein, einem einflussreichen Zusammenschluss wirtschaftsliberaler FDPler in der Bundestagsfraktion. Brüderle soll bei dem Treffen dabei gewesen sein.

Er war offenbar der Einzige, dem zugetraut wurde, die Partei zu führen - wenn auch nur für eine Übergangszeit.

Glück im Unglück hat nur Westerwelle

Damit ist auch schon das Kernproblem der potentiellen Putschisten in der FDP beschrieben. Sie halten Westerwelle für nicht mehr in der Lage, die FDP aus dem Umfragekeller zu holen, in den er die Partei mit Dekadenz-Debatte, Hotel-Steuer und nicht eingehaltener Wahlversprechen gestoßen hat. Der Unmut ist groß. Nur haben sie keine überzeugende personelle Alternative zu bieten, die auch noch bereit wäre, selbst den Königsmörder zu geben.

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger würde vielleicht wollen, dürfte sich aber als Bürgerrechtlerin kaum gegen die Wirtschaftsliberalen und notorischen Steuersenker in ihrer Partei durchsetzen können. Gesundheitsminister Philipp Rösler wird nachgesagt, in seinem Amt mehr als ausgelastet zu sein. NRW-Landeschef Daniel Bahr muss sich erst noch beweisen. Bleibt noch Generalsekretär Christian Lindner. Den würden viele nehmen - in fünf bis zehn Jahren. Mit seinen 32 Jahren ist er vielen noch zu jung.

Guido Westerwelle hat Glück im Unglück

Sollte Brüderle noch Ambitionen auf das Amt des FDP-Vorsitzenden gehabt haben, kann er diese jetzt vergessen. Gut möglich, dass seine zwar ehrliche, aber wahlkampftaktisch unpassende Äußerung entscheidende Wählerstimmen kostet. In Baden-Württemberg steht am Sonntag nicht nur die Regierungsmehrheit von Schwarz-Gelb in Frage. Die FDP muss sogar um den Einzug ins Landesparlament fürchten. Knapp könnte es auch in Rheinland-Pfalz werden.

Glück im Unglück hat dabei nur Westerwelle. Er muss nicht mehr fürchten, für die drohenden Wahlniederlagen alleine den Kopf hinhalten zu müssen. Den Atomkurs hat die gesamte FDP mitgetragen. Selbst hartgesottene Westerwelle-Gegner würden nicht auf die Idee kommen, den Bonner Anwaltssprössling auch noch für Erdbeben, Tsunami und Fukushima verantwortlich zu machen.

Im Mai trifft sich eine vermutlich angeschlagene und verunsicherte FDP zu ihrem Bundestreffen in Rostock. Da wird auch der Parteivorsitzende neu gewählt. Die Delegierten werden Westerwelle wählen. Nicht weil sie ihm zutrauen, die FDP wieder stark zu machen. Sie haben einfach keinen anderen. Schlimm genug, dass ihre letzte Hoffnung Rainer Brüderle hieß. Aber die ist ja jetzt auch zerstört.

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