Britischer Premier Cameron:Wir brauchen den allerbesten Kandidaten - nicht Juncker

European Heads of state and government

Jean-Claude Juncker war der konservative Spitzenkandidat bei der Europawahl und soll nach Wunsch des Europaparlaments nächster Kommissionspräsident werden - ein Verfahren, das nie vom Rat beschlossen wurde.

(Foto: dpa)

Nichts gegen Jean-Claude Juncker, aber er sollte nicht Chef der EU-Kommission werden. Die Bürger, die zur Wahl gingen, haben das getan, um ihren Europaabgeordneten zu wählen - und nicht den Kommissionspräsidenten.

Ein Gastbeitrag von David Cameron

David Cameron, 47, ist Vorsitzender der Konservativen Partei und seit Mai 2010 Premierminister von Großbritannien.

Viele Europäer interessieren sich jetzt vor allem dafür, wer die Fußball-Weltmeisterschaft gewinnt. Die wenigsten werden die Debatte über den neuen Präsidenten der EU-Kommission verfolgen. Aber diese Debatte ist wichtig, denn hier geht es ganz zentral um die Art und Weise, wie die EU Politik macht, um die Notwendigkeit, sich an die Regeln zu halten, und um das richtige Verhältnis zwischen den europäischen Nationalstaaten und den Institutionen der EU.

Die Bürger haben bei der Europawahl im vergangenen Monat ein klares Zeichen gesetzt. Sie sind mit den Verfahren in Europa unzufrieden und fordern Reformen. Europa soll sich auf die Themen konzentrieren, die ihnen wichtig sind: Wachstum und Arbeitsplätze. Und sie wollen, dass die EU ihnen dient, statt sie zu bevormunden. Das zeigte sich am Aufstieg der EU-feindlichen Parteien, dem Rückgang der Wahlbeteiligung in den meisten Ländern und der schrumpfenden Unterstützung für die großen Fraktionen im Europäischen Parlament. Für Europas Politiker stellt sich nun die Frage, wie sie darauf reagieren sollen.

Die Wahlergebnisse sollten die Politiker in ganz Europa wachrütteln. Die Zukunft der Europäischen Union steht auf dem Spiel. Entweder sie reformiert sich, oder es geht weiter abwärts mit ihr. Großbritanniens Position ist klar: Wir wünschen uns, dass die Union Erfolg hat. Dass sie Freiheit, Frieden und Demokratie auf unserem Kontinent hochhält und den Wohlstand fördert. Das ist die große Aufgabe, vor der die Europäische Union heute steht. Und hierzu muss sie offener, nach außen orientiert, flexibler und wettbewerbsfähiger werden. Das setzt eine mutige Führung voraus, welche die Sorgen der Wähler ernst nimmt und die Herausforderungen, vor denen Europa steht, anpackt.

Das Konzept der Spitzenkandidaten wurde nie vom Rat beschlossen

Der erste Test ist die Ernennung des nächsten Präsidenten der Europäischen Kommission. Nach dem EU-Vertrag, der von den nationalen Parlamenten ratifiziert wurde, steht es den Regierungschefs der EU-Staaten zu, den Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission vorzuschlagen, wobei sie das Ergebnis der Europawahlen "berücksichtigen" müssen. Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments (MEPs) stimmen dann über diesen Kandidaten in geheimer Abstimmung ab. Das ist der Prozess, der im Vertrag von Lissabon nach langwierigen Verhandlungen über die richtige Balance zwischen den Nationalstaaten und dem Europäischen Parlament verankert wurde.

Nun haben einige MEPs sich ein neues Verfahren ausgedacht, wonach sie den Kandidaten sowohl aussuchen wie auch wählen. Die großen Fraktionen haben während des Wahlkampfs Spitzenkandidaten ins Feld geschickt und dann im Hinterzimmer verabredet, sich nach den Wahlen gemeinsam hinter den Kandidaten der stärksten Fraktion zu stellen. Das Konzept ist im Europäischen Rat nie beschlossen worden. Es wurde weder zwischen den europäischen Institutionen ausgehandelt noch von den nationalen Parlamenten ratifiziert.

Dennoch argumentieren die Anhänger der Spitzenkandidaten, die Bürger Europas hätten gewählt, sie hätten sich klar für Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsidenten ausgesprochen, und es wäre nun undemokratisch, wenn die nationalen Regierungschefs einen anderen Kandidaten vorschlagen würden.

Nichts gegen Herrn Juncker, einen erfahrenen europäischen Politiker, aber diese Argumentation ist Unsinn. Die meisten Europäer sind nicht zur Europawahl gegangen. Die Wahlbeteiligung ist in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten zurückgegangen. Jean-Claude Juncker stand nirgendwo auf dem Wahlzettel. Selbst in Deutschland, wo das Konzept der Spitzenkandidaten am meisten Sendezeit bekam, wussten nur 15 Prozent der Wähler, dass Juncker ein Spitzenkandidat war. Er hat nicht alle Mitgliedstaaten besucht. Die Bürger, die zur Wahl gingen, wollten ihren Europaabgeordneten wählen, nicht den Kommissionspräsidenten. Juncker kandidierte nirgendwo und wurde von niemandem gewählt.

Die Bürger, die zur Wahl gingen, wollten ihren Europaabgeordneten wählen

Das einfach so zu akzeptieren, wäre aus unserer Sicht äußerst schädlich für Europa und würde die demokratische Legitimation der EU eher unterminieren als stärken.

Es würde ohne Zustimmung der Wähler die Macht von den nationalen Regierungen zum Europäischen Parlament hin verlagern. Es würde faktisch verhindern, dass ein amtierender Premierminister oder Präsident jemals die Europäische Kommission leiten würde, und den Pool von Talenten künstlich verkleinern, wo die EU doch den allerbesten Kandidaten braucht. Und die Europäische Kommission würde politisiert, eine Gefahr, vor der schon Giscard d'Estaing vor über zehn Jahren warnte.

Viele Menschen haben gravierende Bedenken gegen dieses Vorgehen, gegen diesen Griff nach der Macht durch die Hintertür. Wir sollten in dieser Sache nicht nachgeben, sonst wird ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen. Wir müssen uns darauf konzentrieren, den besten Kandidaten zu finden. Jemanden, der Reformen durchsetzen kann, Wachstum und Beschäftigung fördert, der akzeptiert, dass die Dinge in Europa manchmal am besten auf nationaler Ebene geregelt werden. Einen ehrlichen Makler, dem alle vertrauen.

Großbritannien hat den Ruf, für die Demokratie einzustehen und für seine nationalen Interessen zu kämpfen. Aber hier kämpfen wir um die europäischen Interessen. Und in dieser Sache sind sich die drei großen politischen Parteien in Großbritannien einig. Jetzt sollten Europas Regierungschefs den Mut aufbringen, sich zu ihren Überzeugungen zu bekennen, ihre Rolle in der EU zu behaupten und für das einzustehen, was für die Zukunft der EU das Richtige ist. Sie sollten jetzt einen Kandidaten benennen, der Europas Wähler überzeugen kann, dass wir uns ihrer Sorgen annehmen.

Die politischen Ereignisse der jüngsten Zeit erinnern uns daran, welchen Preis europäische Staaten im Kampf um Freiheit und Demokratie gezahlt haben. Wir sind schon weit gekommen: Wir respektieren unsere Meinungsverschiedenheiten, halten die Regeln ein und bemühen uns geduldig, den Kurs gemeinsam abzustecken, im Geiste Europas. Und so sollten wir es auch weiter halten.

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