Britische Elite:"Die armen Leute wissen nicht, wie man kocht"

Machen britische Politiker sich über einfache Arbeiter lustig? In Großbritannien kursieren Koch-Tipps einer "Schnäppchen-Baronin" und das Foto eines weißen Lieferwagens als Beleg.

Von Christian Zaschke, London

Baroness Anne Jenkin of Kennington pflegt einen vornehmen Akzent, wie man ihn von einem Mitglied des britischen Oberhauses erwarten kann. Zudem kann sie mit kleinstem Budget köstlichste Gerichte kochen. Das stellte sie 2012 in einer Sonderausgabe der Kochsendung "Come Dine with Me" unter Beweis, in der sie nur ein Pfund pro Person in Zutaten investieren durfte. Lady Jenkin radelte zum Supermarkt, kaufte ein, kochte ein viergängiges Menü, und die Gäste waren begeistert. Sie lobten die "Bargain Baroness", die Schnäppchen-Baronin. Lady Jenkin stand beispielhaft dafür, dass Menschen aus der Oberschicht nicht die Bodenhaftung verlieren müssen.

Nun steht sie für das Gegenteil. Lady Jenkin war Mitglied eines parteiübergreifenden Teams, das einen Report zur steigenden Zahl der Essensausgaben für Bedürftige vorstellte. 2010 unterhielt der Trussell Trust 50 "food banks" im Land, heute sind es 420. Dazu kommen genauso viele Ausgabestellen anderer Organisationen, hauptsächlich der Kirchen. In ihrem vornehmen Akzent sagte die Konservative: "Die armen Leute wissen nicht, wie man kocht." Sie selbst habe morgens eine große Schüssel selbstzubereitetes Porridge gegessen. Das habe vier Pence gekostet. Eine Schüssel überzuckerter Fertigcerealien koste hingegen 25 Pence.

In der Labour-Partei hob Empörung an: Die Menschen seien gezwungen, die Essensausgaben zu nutzen, weil die Regierung die Sozialleistungen zusammenstreiche, nicht, weil sie nicht kochen könnten. Eine Parlamentarierin sagte, man lebe in Großbritannien wegen der Politik der Tories in einem "Zeitalter des Hungers".

Hat die Politik die Verbindung zu den Bürgern verloren?

Die Äußerungen von Lady Jenkin befeuern eine weiter reichende Debatte: Hat die Politik die Verbindung zu den Bürgern verloren? Dafür gibt es Anhaltspunkte. Im November hatte die Labour-Abgeordnete Emily Thornberry auf Twitter ein Foto von einem mit England-Fahnen geschmückten Reihenhaus verbreitet, vor dem ein weißer Lieferwagen parkte.

"Bild aus Rochester", schrieb sie dazu. Mehr nicht. Und doch brach ein Sturm der Entrüstung los, da die weißen Lieferwagen in England sinnbildlich für die Arbeiterklasse stehen, weil sie überwiegend von Kleinunternehmern wie Klempnern gefahren werden - und die Arbeiterklasse, so das Klischee, hängt gerne England-Fahnen auf. Die Politik, hieß es nach Thornberrys Botschaft, mache sich über einfache Arbeiter lustig.

Ebenfalls im November entschied ein Gericht, dass der konservative Abgeordnete Andrew Mitchell Polizisten 2012 tatsächlich als "Scheiß-Plebejer" beschimpft hat. Er hatte das bestritten und gegen die Polizisten geklagt. Entscheidend ist die Bezeichnung Plebejer: Sie zeige, so die allgemeine Lesart, dass die politische Elite sich als etwas Besseres sehe, nicht mehr als Diener der Bürger.

Lady Jenkin hat sich rasch entschuldigt, als sie bemerkte, wie ihre Äußerungen aufgenommen wurden. "Mir ist bewusst, dass ich einen Fehler gemacht habe", sagte sie. Und schob hinterher, dass sie im Grunde doch recht habe: Könnten die Menschen besser kochen, äßen sie weniger Fertigkost.

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