Brexit:Zwischen Geld und Güte

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Blau, blau, blau sind alle meine Kleider: In einer „Stop-Brexit“-Demonstration in Manchester drücken Menschen ihre Zugehörigkeit zu Europa aus. (Foto: Peter Byrne/AP)

Europäische Vertreter erinnern an die finanziellen Verpflichtungen Londons. EU-Ratspräsident will vermitteln.

Von Cathrin Kahlweit und Alexander Mühlauer, Brüssel/London

Noch zehn Tage sind es bis zum Gipfel. Zeit also für Donald Tusk, die Staats- und Regierungschefs zu fragen, wie sie es nun mit dem Brexit halten wollen. Diese Woche reist der EU-Ratspräsident in sieben Hauptstädte, darunter die nicht ganz unwichtigen Paris, Berlin und Rom. Tusk will ausloten, zu was der ein oder die andere bereit wäre - denn klar ist: Dass die EU bei ihrem Treffen am 19./20. Oktober beschließt, mit Großbritannien über die künftige Beziehung zu verhandeln, scheint derzeit unmöglich zu sein. Solange das Vereinigte Königreich sich nicht dazu bekennt, welche finanzielle Verpflichtungen es übernimmt, sind die EU-Staaten nicht bereit, auf London zuzugehen und über ein Handelsabkommen zu sprechen.

Die zentrale Frage ist aus Brüsseler Sicht: Wird sich May überhaupt halten können?

In Brüssel ist das ein wenig anders. EU-Chefunterhändler Michel Barnier wurde zuletzt nicht müde, die "neue Dynamik" zu loben, die Premierministerin Theresa May mit ihrer florentinischen Rede in die Verhandlungen gebracht habe. Beim Treffen mit den EU-Botschaftern am Freitag skizzierte Barnier die potenziellen Vorteile, würde man bereits jetzt über die künftige Beziehung sprechen. So könnten sich etwa Verhandlungsspielräume ergeben, um die großen Differenzen bei der Brexit-Rechnung besser zu lösen. Doch dieser Ansatz wurde allen voran von Deutschland und Frankreich abgeschmettert. "Wir sind nicht da, um die Tory-Partei zu retten", brachte ein EU-Diplomat die Gefühlslage ziemlich präzise auf den Punkt.

Um May wenigstens ein Signal zu geben, dass die EU ihren konstruktiveren Ton und die bislang überschaubaren Fortschritte in den Verhandlungen würdigt, wird nun ein Kompromiss diskutiert. Die Staats- und Regierungschefs könnten sich dazu bekennen, dass die EU im Kreis der 27 verbleibenden Mitgliedstaaten schon jetzt bereit ist, an der Ausgestaltung der künftigen Beziehung zu arbeiten. Ob es so weit kommt, hängt auch von den Ergebnissen ab, die in der fünften Brexit-Verhandlungsrunde erreicht werden.

An diesem Montag kommt die britische Delegation erneut nach Brüssel. Aus Verhandlungskreisen hieß es, dass ein Durchbruch bei den Bürgerrechten möglich sei. Offen ist im Kern nur noch die Rolle des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), dessen Rechtsprechung die Briten nach einem Brexit nicht mehr akzeptieren wollen. Die EU-Seite forciert deshalb einen Kompromiss. Demnach könnten britische Gerichte den EuGH in Streitfragen anrufen - wenn sie das wollen. Tun sie dies, ist dessen Urteil aber bindend. Nur der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs (Supreme Court) soll frei in seiner Entscheidung sein. Dies wäre ein Zeichen der EU, die Souveränität des künftigen Drittstaates anzuerkennen. Wobei den Verhandlern in Brüssel bewusst ist, dass etwa ein Land wie Polen dagegen Einspruch erheben könnte.

Beim Thema Geld gibt es hingegen keine Bewegung. Und in der heiklen Irland-Frage beschränkt sich der Fortschritt darauf, dass beide Seiten das Karfreitagsabkommen und die Common Travel Area, die ein freies Reisen zwischen Nordirland und Irland garantiert, nicht antasten wollen. Wie aber soll es gelingen, dass die Grenze unsichtbar bleibt? Bislang sehen die Verhandler nur die Möglichkeit, die Grenzkontrollen ans Meer zu verlagern. Die unsicherste Brexit-Frage ist aus Brüsseler Sicht aber ohnehin eine andere: Wird sich May überhaupt halten können?

In Großbritannien hat sich die Aufmerksamkeit von der Conference Season, der mehr als dreiwöchigen Serie von Parteitagen, wieder auf den EU-Austritt zurückverlagert. Die politische Hysterie über die von Stimmproblemen und Unterbrechungen überschattete Rede der Premierministerin auf dem Parteitag der Tories hat sich gelegt. Die Stimmen, die ihren Rücktritt fordern, sind leiser geworden, für eine Palastrevolte hatten sich nicht genug Unterstützer gefunden. Nun wird, stattdessen, darüber diskutiert, ob Außenminister Boris Johnson, der zuletzt mit zahlreichen Alleingängen in Sachen Brexit aufgefallen war, schlicht den falschen Job habe und man ihn in die Verhandlungen einbinden sollte. Johnson hatte allerdings vor dem Parteitag der Tories in einem Interview "rote Linien" für die Verhandlungen formuliert, die einen Verbleib des Königreichs im gemeinsamen Markt nach dem Austritt im März 2019 in einer Art "Transitionsphase" erschweren würden; diese Phase dürfe keinesfalls einem Status quo gleichen.

Hinter den Kulissen redet Brüssel vorsichtshalber schon mal mit Labour

Johnson in anderer Funktion, eine größere Kabinettsumbildung, eine Verjüngung des Teams um May - all das ist Teil des Versuchs, nach dem desaströsen Parteitag wieder in Tritt zu kommen, aber die Brexit-Verhandlungen bringt es nicht weiter. Während Theresa May wieder und wieder darauf beharrt, ihre mit vagen Kompromissen angereicherte Rede in Florenz habe die Tür für eine Einigung geöffnet, geht der Spin im politischen London in zwei entgegengesetzte Richtungen. Die Times meldet, der Druck auf May wachse, den Abgeordneten und der Nation alle rechtlichen Möglichkeiten darzulegen, wie ein Brexit noch zu vermeiden wäre. Andere Medien melden wiederum, die Bereitschaft für einen Ausstieg ohne Deal wachse wieder, weil jede Einigung mit Brüssel vor allem zulasten des Königreichs gehen werde. Der Telegraph machte am Sonntag gar mit der Schlagzeile auf, May sei bereit, Milliarden Pfund dafür auszugeben, Großbritannien ohne Deal aus der EU zu führen.

Das Chaos in Regierung und Regierungspartei hat vorerst nur eine einzige konkrete Folge: Labour-Chef Jeremy Corbyn ist in Umfragen an May vorbeigezogen. Und dem Vernehmen nach redet Brüssel, hinter den Kulissen, vorsichtshalber auch schon mal mit Labour über den Brexit.

© SZ vom 09.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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