Brexit-Übergangsphase:Ein mutiges Angebot, Mrs May!

Britain Politics

Wie ein Käfer liegt sie auf dem Rücken und strampelt verzweifelt - aber von alleine wird sie es nicht mehr auf die Füße schaffen. Theresa May hat mit ihrer Rede die europäischen Partner um Hilfe gebeten.

(Foto: picture alliance/AP Photo)

Die britische Premierministerin hat Ideen geliefert, wie der Brexit ablaufen könnte. Die EU sollte sich darauf einlassen - und das Land nicht noch zusätzlich abstrafen.

Kommentar von Stefan Kornelius

Theresa May ist in einer bemitleidenswerten Position. Wie ein Käfer liegt sie auf dem Rücken und strampelt verzweifelt - aber von alleine wird sie es nicht mehr auf die Füße schaffen. Welche magische Kraft auch immer in der italienischen Stadt Florenz stecken mag - als Symbol der Renaissance oder Sinnbild für Europas emotionale Zusammengehörigkeit -, die britische Premierministerin musste diese Kraft beschwören, um einen Hilferuf loszulassen, verpackt mit dem letzten bisschen Selbstbewusstsein, das ihr geblieben ist.

May hat sich mit der vorgezogenen Wahl am 8. Juni ungewollt ihr eigenes Todesurteil ausgestellt. Die Nachfolger stehen bereit, aber zögern, weil auch sie am Grunddilemma der britischen Politik scheitern werden: Für den Brexit gibt es keine Mehrheit im Parlament, im Gegenteil. Es gibt eine Mehrheit gegen den Brexit, und nur die Parteidisziplin verhindert, dass diese Mehrheit zusammenfindet und einen vernünftigen Weg geht.

Diese Selbstblockade muss nicht ewig halten. Im Gegenteil, an ihrer Auflösung wird bereits im Hintergrund massiv gearbeitet. Besonders die britische Wirtschaft hat die Faxen dicke und will nicht länger ungebremst auf den Abgrund zulaufen. Es formiert sich eine Koalition der Mächtigen im Land, die dem Brexit-Irrsinn nicht mehr zuschauen mag.

Es ist denkbar, dass sich eine Koalition der Gemäßigten bildet

Sollte May gestürzt und etwa durch Boris Johnson ersetzt werden, ist es durchaus denkbar, dass sich eine neue Partei gründet, eine Allianz der Gemäßigten, die nicht nur die Mehrheit im Land bekäme, sondern auch Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur hinter sich wüsste. Ein populistisches Gespenst hat den Brexit ermöglicht, aber es wird nicht noch einmal gruseln können. Jetzt muss es zurück in die Flasche. Aber wie? Mays Rede hat erste Ideen dazu geliefert.

Die Premierministerin hat ein erstaunlich mutiges Angebot unterbreitet. Ihre Festlegung auf eine zweijährige Übergangsfrist darf von den Freunden eines harten Brexit als klare Kriegserklärung verstanden werden. Wer den harten Brexit will, also die Loslösung Großbritanniens von allen Rechten und Pflichten ohne künftige Bindung, nicht mal an den Binnenmarkt, der muss schnell und brutal sein. Jeder Tag länger spielt den Gemäßigten in die Hand.

Zweitens hat Theresa May mit der Zusage einer finanziellen Kompensation für diese Übergangszeit ein Signal des guten Willens gesetzt. Wohlgemerkt: Es handelt sich nicht um die Abschlussrechnung, sondern um eine finanzielle Leistung, die Großbritannien erbringen will, um die selbst verursachte Lücke im EU-Budget zu schließen.

Mays Angebot kommt mit einer klaren Bitte daher: Ich habe mich entschieden, mich exponiert und mich damit verwundbar gemacht, jetzt müsst ihr mir helfen. Ihr, das sind die Resteuropäer und ganz besonders die Brüsseler Großwortführer sowie die Bundesregierung. In Großbritannien verfestigt sich nämlich gerade die Meinung, dass die EU das Land eigentlich ganz gerne draußen hat und auch noch abzustrafen gedenkt für all die Unannehmlichkeiten, die der Brexit verursacht.

Bleibt dieser Eindruck, ob gerechtfertigt oder nicht, dann haben Leute wie Theresa May mit ihrem vorsichtigen Vernunftangebot keine Überlebenschance. Das Ziel der EU muss es aber sein, Großbritannien so eng wie möglich an die Gemeinschaft zu binden, so wie etwa Norwegen gebunden ist. Theresa May hat den Weg gewiesen. Jetzt braucht sie Unterstützung. Die Zeit der Schuldzuweisungen und Schneidigkeiten muss enden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: