Brexit:Strategiewechsel für den Brexit

Philip Hammond, britischer Finanzminister, auf dem Weg ins Parlament.

Philip Hammond, britischer Finanzminister, auf dem Weg ins Parlament.

(Foto: Luke MacGregor/Bloomberg)
  • Die britische Regierung versucht weiter, das Chaos der Brexit-Verhandlungen zu bändigen.
  • Premierministerin May steht unter Druck und muss bald einen Erfolg vorweisen - zum Beispiel den Beginn von Gesprächen zu einem Handelsabkommen.
  • Verschiedene Punkte bereiten den Unterhändlern aber noch Kopfzerbrechen, besonders die Frage nach der Grenze zwischen Großbritannien und Irland.

Von Cathrin Kahlweit, London, und Stefan Kornelius

Es waren die Hustentabletten, die Philip Hammond Pluspunkte brachten. Nicht seine Lyrik über ein Post-Brexit-Königreich. Nicht die zusätzlichen drei Milliarden Pfund, die er für die Vorbereitung des Brexit, aber auch für die Eventualität eines Verhandlungsabbruchs zur Seite legen will. Schon gar nicht die reduzierten Wachstumsprognosen oder die enttäuschende Vorhersage für die Produktivitätsrate.

Sympathiepunkte gab es erst, als die Premierministerin ihrem Finanzminister bei seiner Vorstellung des Haushalts eine Packung Hustenpastillen überreichte und die Abgeordneten im Unterhaus in Gelächter ausbrachen. Die Aktion war offenbar abgesprochen und sollte selbstironisch an die desaströse Rede von Theresa May auf dem Tory-Parteitag erinnern, als die Premierministerin vor lauter Husten kaum sprechen konnte und Hammond ihr ein Lutschbonbon ans Rednerpult brachte.

Schlechte Wachstumsprognosen lassen Brexit-Gegner triumphieren

Ansonsten redete der Minister an diesem Mittwochmittag um sein politisches Überleben. Hammond, bis zum Referendum EU-Austrittsgegner, musste die hohe Kunst meistern, einen Haushalt vorzulegen, der sowohl den Hardlinern als auch den Anhängern eines weichen Brexit zusagte, und den die angriffslustige Opposition nicht zerpflücken würde.

Angesichts der Senkung der Wachstumsprognose von zwei auf 1,5 Prozent in diesem und auf 1,3 Prozent in den kommenden Jahren blieb aber nicht viel Raum für Freude über mehr Investitionen in den Wohnungsbau oder in fahrerlose Autos; die schlechten Nachrichten ließen vielmehr umgehend das Pfund absacken und Brexit-Gegner, die Langfrist-Schäden für die Wirtschaft vorhersagen, triumphieren.

Hammonds Auftritt war der sichtbare Teil eines neuen Versuchs der Regierung, das Chaos der Brexit-Verhandlungen zu bändigen und Struktur in den Ausstieg aus der EU zu bringen. Während der Schatzkanzler sprach, machten sich beamtete Mitarbeiter der Premierministerin auf den Weg in die wichtigsten Hauptstädte der EU, um Vorverhandlungen für die Brexit-Gespräche zu treffen. Mit im Gepäck: ein Vorschlag zur finanziellen Abwicklung der Austrittskosten. Von mindestens 40 Milliarden Euro ist die Rede, das letzte Angebot lag bei 20 Milliarden. Die EU war einst von etwa 80 Milliarden Euro Abwicklungsgeld und Restschulden ausgegangen.

Die Briten verhandeln jetzt mehrgleisig

Interessant an den jüngsten Gesprächsrunden ist, dass Brexit-Minister David Davis nicht im Zentrum steht, sondern enge Berater der Regierungschefin. Außerdem wird deutlich, dass eine wichtige EU-Bedingung - verhandelt wird nur über den zuständigen Kommissar Michel Barnier - nicht mehr eingehalten wird. Barnier hatte sich bei der letzten Runde Mitte Oktober einen Rüffel aus den Hauptstädten eingefangen, als er vorschnell einen Durchbruch verkündet hatte und den Beginn der zweiten Verhandlungsphase über die Gestaltung der künftigen Beziehungen einläuten wollte.

May braucht einen Erfolg

Die Briten fahren jetzt mehrgleisig, senden Experten nach Berlin und Paris. May selbst wird am Freitag mit Ratspräsident Donald Tusk beraten, eine Woche später will sie offenbar ihr Angebot aus Anlass eines Treffens mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker öffentlich machen.

Nach Vorstellung der britischen Verhandler soll ein Zug-um-Zug-Verfahren greifen: Die Vorgespräche sollen so weit abgeschlossen sein, dass May unmittelbar nach ihrer Präsentation eine Zusage erwarten kann, wonach die zweite Phase der Verhandlungen über die künftigen Beziehungen zwischen EU und Großbritannien spätestens mit dem nächsten EU-Rat am 14. Dezember beginnt. Eine längere Nachdenkpause der EU kann ihr innenpolitisch gefährlich werden; sie muss unmittelbar einen Erfolg vorweisen können, sagen an den Verhandlungen beteiligte Diplomaten.

Das Irland-Thema wird zum Albtraum der Verhandler

Der Streit ums Geld gerät dabei immer mehr zur Nebensache. Ernstes Kopfzerbrechen bereiten die beiden anderen vorab zu lösenden Themen: Wie werden Grenzfragen zwischen Großbritannien und Irland gelöst; und erfüllt London die Bedingung, wonach EU-Bürger lebenslang EU-Recht unterliegen, auch wenn sie nach dem Brexit weiter in Großbritannien wohnen bleiben. Es geht um die letztinstanzliche Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs. Die Rechtsfrage ist besonders der deutschen Bundesregierung ein Anliegen.

Das Irland-Thema entwickelt sich immer mehr zum Albtraum der Verhandler, weil eine nicht kontrollierte Grenze Einfallstor wäre für Produkte, die dann womöglich nicht mehr EU-Standards unterliegen. Der irische Premier Leo Varadkar hatte unverhohlene Drohungen ausgestoßen, dass sein Land einen Deal blockieren werde, wenn London nicht schriftlich garantiere, dass es keine harte Grenze zu Nordirland geben werde. Offenbar habe die britische Regierung diese Problematik bis heute "nicht ganz durchdacht". Varadkar sprach sogar von einem möglichen Veto, sollte die endgültige Regelung den irischen und mittelbar auch den nordirischen Interessen zuwiderlaufen. Andere Verhandler sprechen davon, dass London das Grenzproblem in einen "gordischen Knoten" überführt habe.

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