Brexit:Raus! Aber wie? Die EU ringt um den Brexit

EU und Großbritannien

In Brüssel kümmert sich eine EU-Kommission um den Brexit. Die verbliebenen Staaten suchen nach einer gemeinsamen Linie.

(Foto: dpa)
  • Die Gesandten aus den EU-Ländern tagen in Brüssel darüber, wie der Austritt Großbritanniens gestaltet werden könnte.
  • Das Verfahren ist komplex: 23 Beamte bereiten die Verhandlungen für den Chefunterhändler Banier vor.
  • Doch einige EU-Staaten wollen den Prozess nicht nur formell begleiten. Das stößt auf Widerstand.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Es hat sich, seit die Briten für den Austritt aus der Europäischen Union votiert haben, eine gewisse Routine in Brüssel ergeben. Morgens werden, oft mit einem gewissen Gruseln, die neuesten Nachrichten aus London gescannt.

Welche unhaltbare Ankündigung hat Außenminister Boris Johnson wieder gemacht? Hat Premierministerin Theresa May den Prozess noch unter Kontrolle? Was, wenn das Parlament wirklich mitentscheiden darf? Dieser Fokus auf die britische Nachrichtenlage hat einen Nebeneffekt: Er lenkt davon ab, dass in Sachen Brexit auch in Brüssel Gerangel herrscht.

Barniers Team soll das Geflecht entspinnen

Seit Beginn der Woche finden in der EU-Hauptstadt in einer Art Beichtstuhlverfahren Sitzungen mit den "Sherpas", den EU-Beratern der Staats- und Regierungschefs, statt. Zum jeweils einstündigen Gespräch geladen hat Piotr Serafin, der Kabinettschef von EU-Ratspräsident Donald Tusk. Mit dabei ist der Brexit-Chefunterhändler der EU-Kommission, der Franzose Michel Barnier, und Tusks eigener Brexit-Beauftragter, der Belgier Didier Seeuws. Die Abgesandten aus den EU-Ländern sollen sagen, wie sie sich die Brexit-Verhandlungen vorstellen. Die Frage ist sensibel, denn die Staats- und Regierungschefs haben nach dem Brexit-Votum klargestellt, dass sie auf penibler Kontrolle der Verhandlungen bestehen.

Zwar ist unbestritten, dass die Fäden bei Barnier zusammenlaufen, den Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ernannt hat. 23 Beamte arbeiten bereits für Barniers Team. Nur in der EU-Kommission existiert ausreichend Know-how, um die äußerst komplexen Verhandlungen zu führen, in denen es darum gehen wird, eine in vier Jahrzehnten gewachsene wirtschaftliche und rechtliche Beziehung zu entflechten. Das erkennen auch die EU-Staaten an. Sie wollen sich aber nicht damit zufrieden geben, gelegentlich auf Ebene der Sherpas auf den letzten Stand gebracht zu werden.

Welche Rolle spielt das Europäische Parlament?

So wollen die 27 Staaten der Rest-EU eine formelle Arbeitsgruppe auf Botschafterebene schaffen, die die Verhandlungen fortlaufend begleitet. Auch gibt es die Idee, den Rat für Allgemeine Angelegenheiten in der 27er-Formation regelmäßig zu den Brexit-Verhandlungen tagen zu lassen. Barnier, so ist aus den Gesprächen zu hören, ist der Idee gar nicht so abgeneigt. Einige Mitgliedstaaten aber haben klar gemacht, dass sie auch bei den eigentlichen Verhandlungen dabei sein wollen - was nach Angaben von Insidern auf beträchtlichen Widerstand aus der EU-Kommission stößt. Vor allem Martin Selmayr, Junckers mächtiger Kabinettschef, stemme sich gegen zu viel Einfluss der Staaten auf die Verhandlungen.

Noch zu klären ist auch die Rolle des Europäischen Parlaments. Im mittlerweile berühmten Artikel 50 des EU-Vertrages gilt ihr nur ein halber, aber doch entscheidender Satz. Es sind demnach die EU-Staaten, die über das Abkommen zum Austritt eines Mitglieds mit qualifizierter Mehrheit abstimmen, allerdings "nach Zustimmung des Europäischen Parlaments". Das rückt den Chef der Liberalen im EU-Parlament, Guy Verhofstadt, in den Mittelpunkt. Er soll die Abgeordneten in Sachen Brexit vertreten.

Anders als in London muss das Parlament seine Beteiligung zwar nicht vor Gericht einklagen, sieht aber doch die Notwendigkeit, seinen Anspruch unmissverständlich geltend zu machen. Öffentlich hält sich Verhofstadt zwar zurück, intern aber macht er klar, dass die Abgeordneten das Vertragswerk nicht einfach am Ende abnicken werden. Auch hier ist die Frage, ob Verhofstadt und seine Leute einfach nur unterrichtet oder in Verhandlungen dabei sein werden.

Austrittsverhandlungen könnten im Sommer starten

Bis Ende Februar sollen nun erst einmal alle Parlamentsausschüsse in Dossiers darlegen, welche Fragen und Probleme der Brexit in ihren Bereichen aufwirft. Das gilt für so naheliegende Themen wie Binnenmarkt und Haushalt, aber eben auch für Verkehr, Fischerei oder auch Kultur und Bildung. Nach Vorstellungen des Parlaments sollen diese Überlegungen dann bereits in die Verhandlungen einfließen.

Langsam zeichnet sich auch so etwas wie ein Fahrplan für die Reise der Briten heraus aus der EU ab. Sollte Theresa May tatsächlich im März das Austrittsgesuch samt einer Klarstellung, welcher Art das künftige Verhältnis zur EU sein soll, einreichen, könnten die Staats- und Regierungschefs im April die Richtlinien für die Verhandlungen beschließen, was wohl zu einem Beginn der eigentlichen Verhandlungen im Mai oder Juni führen würde, für die Artikel 50 zwei Jahre ab Antragstellung gewährt. In Wahrheit blieben aber nur 13 oder 14 Monate, wird aus dem Parlament gewarnt. Schließlich brauche das Zustimmungsverfahren ja auch seine Zeit.

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