Brexit:Keine Vision in Sicht

EU-Chefunterhändler Barnier warnt Großbritannien, die Übergangsphase nach dem Brexit zu riskieren. Für das künftige Verhältnis zu Europa liefere London keine Ideen.

Von Daniel Brössler und Björn Finke, Brüssel/London

EU-Chefunterhändler Michel Barnier hat Großbritannien davor gewarnt, die zum Schutz der heimischen Wirtschaft dringend benötigte Übergangsphase für die Zeit nach dem Brexit aufs Spiel zu setzen. Mehrere britische Forderungen gefährdeten eine Einigung, sagte Barnier am Freitag nach Abschluss einer Verhandlungsrunde in Brüssel. "Wenn diese Meinungsverschiedenheiten nicht beigelegt werden, ist die Übergangsphase keine sichere Sache. Die Zeit ist sehr knapp, wir haben keine Minute zu verlieren", sagte der Franzose.

Großbritannien tritt Ende März 2019 aus der EU aus. In einer knapp zweijährigen Übergangsphase soll Großbritannien aber Teil von Binnenmarkt und Zollunion bleiben, um Unternehmen und Bürgern Planungssicherheit zu geben. In dieser Zeit müssten die EU und Großbritannien den Rahmen für ihr künftiges Verhältnis schaffen. Barnier beklagte, dass die britische Regierung dafür immer noch keine Vision vorgelegt habe. Ein für Freitagvormittag geplantes Treffen zu diesem Thema habe die britische Seite "aus Termingründen" abgesagt. In Brüssel herrscht schon seit geraumer Zeit Verärgerung über die Unfähigkeit der Regierung von Premierministerin Theresa May, eine klare Konzeption für den Brexit vorzulegen.

Brexit-Minister Davis beklagt, dass Brüssel eine "unhöfliche Sprache" spreche

Die Einigung zur Übergangsphase steht aus Barniers Sicht unter anderem wieder infrage, weil Großbritannien EU-Bürgern, die in dieser Zeit ins Land kommen, keine über diese Zeit hinausreichenden Aufenthaltsrechte gewähren will. "Das ist ein großes Thema für uns und auch das Europäische Parlament", warnte Barnier. Die EU lehne außerdem die von Großbritannien geforderten Einspruchsrechte für Regeln und Gesetze der EU ab, die während der Übergangsphase in Kraft treten. Der Standpunkt der EU sei "sehr logisch", sagte Barnier. "Wenn Großbritannien die Vorteile des Binnenmarktes, der Zollunion und der gemeinsamen Politiken genießen will, muss es bis zum Ende der Übergangsphase auch alle Regeln und Verpflichtungen akzeptieren", betonte er.

Immer noch brisant ist auch das Thema Irland. "Eine britische Entscheidung, den Binnenmarkt und die Zollunion zu verlassen, würde Grenzkontrollen unabwendbar machen", stellte Barnier klar. Solche Kontrollen zwischen der zur EU gehörenden Republik Irland und Nordirland wolle man verhindern. Einziger Ausweg sei kurzfristig die von Großbritannien in Aussicht gestellte "Angleichung" an EU-Recht. Dafür müssten aber Vorkehrungen im Austrittsvertrag getroffen werden, sagte er.

Dass London Barnier bisher keine Vision für das künftige Verhältnis präsentieren konnte, hat einen einfachen Grund: Das Kabinett und Mays Konservative Partei sind bei dem Thema zerstritten. Die Premierministerin traf sich in dieser Woche zweimal mit den zehn Ministern ihres Brexit-Kabinetts, um über Differenzen zu reden und eine gemeinsame Position zu entwickeln. Die Fortschritte waren bescheiden, weswegen May nun eine Klausurtagung noch im Februar plant.

Hauptstreitpunkt ist, ob Großbritannien dauerhaft in einer Zollunion mit der EU bleiben soll. Um eine Rebellion der Brexit-Enthusiasten ihrer Partei abzuwenden, wiederholte May ihr Bekenntnis, dass das Land keine Zollunion anstrebe. Stattdessen will May eine innovative Zollpartnerschaft mit der EU eingehen: ein Modell, das viele Vorteile einer Zollunion ohne deren Nachteile bietet. Ob so ein noch nie erprobter Ansatz umsetzbar ist, gilt als fraglich. Brüssel hält nichts von dieser Idee.

Brexit-Minister David Davis beklagte sich unterdessen über "unhöfliche Sprache" und einen Mangel an "Treu und Glauben" von Seiten Brüssels. Er reagierte damit auf die Veröffentlichung eines EU-Dokuments, das Strafen auflistet für den Fall, dass sich London nicht an die Abmachungen für die Übergangsphase hält. Die Stimmung war schon einmal besser.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: